Imperialismus 2.0

Vor unseren Augen wird die internationale Ordnung mit atemberaubender Geschwindigkeit zerlegt. Ein Blick auf vier Hauptakteure – Ali Khamenei, Benjamin Netanjahu, Wladimir Putin und Donald Trump – fördert verstörende Auffälligkeiten zutage.

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Zeitgleich stehen diese so unterschiedlichen Staatenlenker an den Hebeln der Weltpolitik. Zeitgleich trägt jeder von ihnen auf seine Weise dazu bei, die bisherige Ordnung aus den Angeln zu heben. Maßgeblich haben sie Völkerrechtsverletzungen, Bomben- und Raketenhagel, menschliches Leid zu verantworten. Zufall? Eine sarkastische Wendung der Weltgeschichte?

Seit Jahren, ja Jahrzehnten, bespielen diese vier 70-plus-Jährigen die Bühne der Weltpolitik. Als Oberbefehlshaber ihrer jeweiligen Armeen befehligen sie hochgerüstete Militärmaschinen. Drei der vier haben Nuklearwaffen, der Vierte will sie auch. Völkerrecht und internationale Regeln treten sie bei Bedarf mit Füßen. Den Einsatz von roher Gewalt scheut keiner von ihnen. Eigennutz vor Gemeinwohl, lautet die Devise, die Lüge ist Werkzeug. Institutionen und Verfahren sind Bremsen, die es wegzuräumen gilt, notfalls mit der Kettensäge.

Die vier prononciert rechtsnationalistischen Chefs kommen aus politischen Systemen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei von ihnen entstammen hoch entwickelten, ausgereiften Demokratien, die beiden anderen autokratisch-diktatorischen Strukturen. Mit beklemmender Synchronizität entscheiden sie in unserer Zeit über Krieg und Frieden, Grenzen und Zukunft.

Religion ist zurück in der Politik. Im Nahen Osten führen der israelische Premier und der iranische oberste Revolutionsführer jeweils eine nationalreligiöse Regierung an. Auch Trump und Putin kennen keine Hemmung, Gott für ihre militärisch waghalsigen und politisch potenziell halsbrecherischen „Operationen“ einzuspannen.

Noch können wir nicht einmal einschätzen, welche fatalen Dynamiken die aktuellen Kriege und Militäraktionen auslösen werden. Existieren die alten Bündnisse noch? Entstehen neue? Und wo? Was bleibt von der amerikanisch-europäischen Sicherheitsallianz? Sind Trump und Putin die Partner von morgen? Khamenei und Putin mehr als Waffen-Geschäftspartner? Israel und die USA – zusammengeschmiedet durch den konzertierten Angriff auf den Iran? Und wer hat jetzt Nordkorea im Blick und die anderen „informellen“ Atommächte Indien, Pakistan und Israel, die dem Atomwaffensperrvertrag gar nicht angehören? Gibt es die neue autokratische Achse „CRINK“ (China, Russland, Iran und Nordkorea) tatsächlich? Und wenn ja, was will sie, was kann sie?

Nur Demokratien haben die Kraft zur rechtzeitigen Kurskorrektur. Gewalt darf nicht die neue Normalität der internationalen Beziehungen werden. „Faustrecht“ ist Faust ohne Recht.

Jeder der vier Staatenlenker huldigt erstaunlich unverblümt einer Art „Imperialismus 2.0“.

Wenn nötig, üben sie ihre Macht aus in offener Missachtung der geltenden internationalen Regeln und Rechtsvorschriften. Für ihre Entscheidungen über Kriege oder völkerrechtswidrige Aktionen sehen sie keine Notwendigkeit für ein Mandat der eigenen Bevölkerung. Die UNO, der inklusive Multilateralismus und die Menschenrechte zählen nicht. Russland und die USA sind ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates, ausgerechnet desjenigen Organs, das den Weltfrieden wahren soll.

Im Wahlkampf versprach Trump, Amerika in keinen neuen Krieg zu verstricken. Er sah sich schon als Gewinner des Friedensnobelpreises. Der Bruch der UN-Charta und des Atomwaffensperrvertrags durch den Angriff „auf das iranische Atomprogramm“ sind wohl keine tauglichen Erfolgsnachweise für die begehrte Trophäe. Auch wenn das iranische Atomprogramm jetzt zur akuten globalen Hauptbedrohung erklärt wird – übrigens entgegen der Einschätzung der US-Geheimdienste und der IAEA.

Putin überzieht indes die Ukraine seit mehr als drei Jahren Tag für Tag mit seinem blutigen Angriffskrieg. Aus Rache für den Verlust des sowjetischen Imperiums in einem anderen Jahrhundert. Dem überfallenen Nachbarn und UNO-Mitglied Ukraine spricht er das Existenzrecht ab. Am Schlachtfeld will er über die neuen Grenzen entscheiden. Gewalt und Vernichtung statt Verhandlungen.

Jeder der vier Staatenlenker huldigt erstaunlich unverblümt einer Art „Imperialismus 2.0“. Wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung und Umsetzungsintensität. So kontrolliert der oberste Führer des Iran über seine Milizen einen Teil der Politik im Irak, er finanziert und organisiert durch seine regionalen Stellvertreter Hizbullah, Hamas und Huthi Angriffe gegen Israel. Die Vernichtung der „zionistischen Entität“, wie Israel im offiziellen iranischen Sprachgebrauch genannt wird, ist seit Jahrzehnten Staatsdoktrin der islamischen Theokratie.

Netanjahu arbeitet im Windschatten seines Iran-Angriffs an der Annexion der Westbank. Er setzt seinen gnadenlosen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung in Gaza mit unverminderter Intensität fort. Und Trump, der Entertainer mit Königs-ambition, erweitert in seinen Gewaltfantasien das US-Territorium um Kanada, Panama und Grönland. Spätestens nach seinem Angriff auf den Iran ist der Welt das Lachen darüber vergangen.

Ursula  Plassnik

Ursula Plassnik

Ursula Plassnik war österreichische Außen- und Europaministerin von 2004 bis 2008.