Rainer Nikowitz: August allein zu Haus

Die Kinder von „Gust“ Wöginger haben gefälligst ÖVP zu wählen. Und wenn nicht – aber dann!

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Mei, da waren ja die Wakolbingers! Die hatte der Wöginger Gust ja ewig nicht mehr gesehen. Trauten sich ja kaum mehr auf die Straße. Und mit was? Mit Recht! Alt waren sie geworden. Grau. Richtig gramgebeugt. Aber sie hatte es ja auch von allen Eltern der verlorenen Kinder wahrscheinlich am schlimmsten erwischt. Denn ihres hatte ja leider die Stirn, noch immer wieder einmal nach Hirnederlkirchen zurückzukehren und seine armen Eltern auch noch zu quälen. Der Bub hatte in der Zwischenzeit lange Haare, damit ja auch gleich ein jeder sehen konnte, was aus ihm geworden war. Und Ansichten hatte er, die hier nun wirklich keiner brauchen konnte. Und wenn er dann auch noch provokant durch das Dorf ging, dann konnte halt jeder die Schande der Wakolbingers aus nächster Nähe sehen.

Manchmal taten sie dem Gust fast ein bissl leid. Aber eben nur fast. Sie hatten gewusst, woran sie waren, jeder in Hirnederlkirchen wusste das, weil der Gust gab ihnen seine Info direkt. „Es kann nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean gehen und als Grüne zurückkommen. Wer in unserem Hause schlaft und isst hat auch die Volkspartei zu wählen“, hatte der Gust dekretiert. Und er hatte das verdammt ernst gemeint. Und die Wakolbingers hatten ihre Chance. Hätten sie halt was unternommen, damals, als bei ihren missratenen Bälgern Hopfen und Malz vielleicht noch nicht ganz verloren gewesen waren. Wozu gab es denn bitte die türkisen Erziehungsseminare? Weil dem Gust vielleicht fad im Schädel war oder was? Leider war die erfolgreiche Absolvierung zwar auch in Hirnederlkirchen noch immer nicht an den Bezug der Kinderbeihilfe gekoppelt – wiewohl der Gust fand, dass man über diese seine Idee schon noch einmal reden sollte –, aber jeder wusste doch, wie gern es die Partei sah, wenn man hinging. Und nicht umsonst hieß der wichtigste Satz dort: „Wehret den Anfängen!“ Aber waren die Wakolbingers etwa dort gewesen? Hatten sie gewehrt? Keine Spur! Tausend Ausreden hatten sie gehabt. Einmal war in der Schule zu viel zu tun, dann wieder der Urlaub schon gebucht und und und. Einmal hatten sie sogar der Oma angeschafft zu sterben, nur damit sie dann frisch wieder einen fadenscheinigen Grund hatten, um sich drücken zu können. Na ja, und irgendwann musste sich das ja negativ auswirken. Dann kam es halt, wie es hatte kommen müssen. Jetzt hatten die Wakolbingers den Scherm auf.

Wozu gab es denn bitte die türkisen Erziehungsseminare?

Und nicht, dass es nicht schon frühzeitig Hinweise darauf gegeben hätte, wie katastrophal das alles einmal enden würde. Der Gust hatte das genau beobachtet. Es fing schon einmal damit an, dass der Wakolbinger-Bankert nicht zu den Ministranten gehen wollte. Der Gust wollte es da noch im Guten probieren und setzte den alten Wakolbinger in der Kirche zu den Frauen, damit er vielleicht einmal darüber nachdachte, was er da großzog. Aber der Wakolbinger war halt schon auch ein bissl stur, der wollte sich nichts dreinreden lassen. Also strich ihm der dann schon gröber enttäuschte Gust im nächsten Schritt das Zuckerrübenkontigent, weil der junge Wakolbinger weder bei der Freiwilligen Feuerwehr noch beim Maibaumaufstellen mit dem Burschenbund anzutreffen war. Und erst recht nicht dem MKV beitrat!

Irgendwann schaffte der Bub dann die Matura, und das war natürlich auch nicht gut. Denn in der Schule legten diese ganzen grünversifften Lehrer ja meistens schon den Grundstein für die Misere, die danach folgte. Der Gust war sehr für Bildung, oh ja. Aber die konnte man den Jungen doch sicher auch so eintrichtern, dass sie gar nicht erst auf die Idee kamen, eigene Ideen zu haben. Früher war das doch auch gegangen!

Der junge Wakolbinger studierte dann natürlich auch nichts Gescheites. Irgendwas mit Politik. Als ob man das studieren musste, wo man doch auch einfach den Gust fragen konnte! Und dann Theaterwissenschaft auch noch. Spätestens da war dem Gust alles klar. Und deshalb hatte es ihn dann auch überhaupt nicht überrascht, wie der junge Wakolbinger, als die Zeit gekommen war und man ihm wie allen anderen im Dorf in der alljährlichen feierlichen Zeremonie im Festsaal der Gemeinde das Beitrittsformular der Jungen ÖVP hinlegte, kopfschüttelnd aufgestanden und gegangen war. Als Einziger seines ansonsten recht gelungenen Jahrgangs.

Der Gust sah den Wakolbingers noch lange nach, wie sie sich am Rand des Hauptplatzes entlangdrückten, damit sie möglichst niemand sah. Und erst recht keiner anredete. Dann bogen sie ab und verschwanden. Gust seufzte tief und ging dann auch nach Hause. Er zog die Tür hinter sich zu und sah sich um. Schön ruhig war es hier. Sicher, manchmal vermisste er das helle Kinderlachen von früher schon ein wenig. Aber das war lange her. Ein anderes Leben war das gewesen. Jetzt waren seine Kinder ja alle längst in Wien. Und sie würden garantiert nie mehr zurückkommen. Der Gust hielt nämlich die Linie. Da kannte er nichts. Er war ja nicht der Wakolbinger.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort