Rainer Nikowitz: Brüssel statt Küssel

Die erste Rede, die der überzeugte Direktdemokrat HC Strache im EU-Parlament halten wird, ist schon so gut wie fertig.

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Mir ist sehr wohl bewusst, dass es die meisten von Ihnen nicht gutheißen, dass ich dieses Mandat angenommen habe. Dass Sie es, nach allem, was ich im sogenannten Ibiza-Video von mir gegeben habe, als Zumutung empfinden, sich eine Rede von mir in diesem Parlament anhören zu müssen. Und in ebendiesem Bewusstsein möchte ich Ihnen eines versichern: Abgesehen davon, dass ich sowieso immer schon völlig schmerzbefreit gewesen bin – ich meine, hey: Andere würden sich in meiner Situation nicht einmal zu den Anonymen Alkoholikern trauen; ich hingegen geh ins EU-Parlament! –, habe ich aus diesem Video und seiner Veröffentlichung auch etwas Wichtiges gelernt. Mir ist klar geworden, dass man als Politiker leider sehr oft Dinge sagt, die man nicht so meint. Das führt zu einer gewissen Entfremdung, zu einer allzu oft viel zu großen Distanz zum Wähler. Damit mache ich jetzt Schluss. Ich für meinen Teil habe mir nach den Erfahrungen, die ich jüngst gemacht habe, vorgenommen, nur mehr die Wahrheit zu sagen. Ehrlich währt am längsten. Und in diesem Sinne möchte ich euch zurufen: Ihr Scheißfiguren könnt mich alle kreuzweise!

45.000 Vorzugsstimmen, Ihr Luschen! Und schon heißt’s für mich: Brüssel statt Küssel! Wenn ich Englisch könnte, würde ich sagen: In yoah fehs! Eure moralischen Bedenken, euren Anstand, euren Antifaschismus und was weiß ich, was euch alles noch angeblich so bewegt: Könnt’s ihr euch alles einrexen! Schaut euch die Umfragen an: Die FPÖ ist schon wieder bei fast 20 Prozent. Auf unsere treuen Wähler ist eben Verlass. Die sind so unfassbar hirnverbrannt, dass selbst mir mit meinen 20 Jahren Bierzelterfahrung – in denen ich mit unfassbar vielen geistigen schwarzen Löchern konfrontiert war, Sie machen sich ja gar keine Vorstellung! – manchmal die Spucke wegbleibt. Jetzt haben diese Armutschgerln überdeutlich vor Augen geführt bekommen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin. Wie ich mir ein Österreich unter absoluter FPÖ-Herrschaft so vorstelle. Und dass mir der kleine Mann aus Schasklappersdorf, dem ja angeblich immer mein ganzes Denken und Wirken gegolten hat, in Wirklichkeit aber so was von am Arsch vorbeigeht. Und was macht der kleine Mann aus Schasklappersdorf? Er gibt mir eine Vorzugsstimme! Was für ein unglaublicher Koffer!

Gut, was natürlich noch dabei mithilft: Viele sind schon Überzeugungswähler auch. Die sind einfach nicht entsetzt von dem, was ich da dahergeredet habe. Nein: Die wollen das genau so! Die wollen einen Orbán – und dann endlich auf der Siegerseite stehen. Die wollen Korruption, wenn sie ihnen nützt. Die wollen, dass die anderen die Goschen zu halten haben. Mindestens – wenn nicht mehr! Und die würden vor alle einen Mistkübel voll mit der Tagesproduktion einer Kampfhundezone in Favoriten wählen, wenn man ihnen garantiert, dass der fest ausländerfeindlich ist.

Aber genug von diesen Würschteln, lassen Sie mich lieber zu einem wesentlich interessanteren Thema kommen, das mir auch weitaus mehr am Herzen liegt: zu mir. Nachdem ganz Europa Zeuge meines vermeintlichen Karriereendes war, will ich jetzt auch quasi vor Europa kurz skizzieren, wie es mit mir sehr wohl weitergehen wird. Das Hauptaugenmerk wird natürlich weiterhin auf der Aufarbeitung des tatsächlichen Skandals liegen: der Tatsache, dass es dieses Video gibt und es jemand gesehen hat. Und nicht etwa, was drin war. Es wird also weiter intensivst nach den Terroristen gesucht, die diesen politischen Mordanschlag auf mich verübt haben. Wir müssen diese elenden Stauffenbergs finden und sie ihrer gerechten Strafe zuführen, also mindestens dem gerechten Volkszorn aussetzen. Ich plane spätestens bei der Enthüllung meiner Büste, die mich gemeinsam mit anderen Opfern politischer Attentate wie Mussolini oder Franz Fuchs zeigt, stichhaltige Gerüchte über die wahren Täter präsentieren zu können.

Parallel dazu wird der Inhalt des von mir Gesagten schrittweise weiter downgegraded. Wie Sie wissen, war es anfangs noch eine peinliche Prahlerei vor einer scharfen Schnalle. Dann kam die Denkspiel-Variante in Verbindung mit einem stolz hingehauchten „Die Gedanken sind frei“. Nunmehr plane ich, mich hier über die Zwischenstationen „Ich habe nur sieben Stunden lang jemanden zitiert, aber die Quellenangabe wurde böswillig herausgeschnitten!“ und „Das Ganze war eigentlich ein Casting für eine Netflix-Serie“ bis hin zu „Ein Alien ist gegen die Einbahn des Verdauungstraktes in mich eingedrungen und hat die Kontrolle über meine Stimmbänder übernommen!“ vorzuarbeiten. Und ich kann Ihnen auch genau sagen, warum: Weil’s wurscht is!!

Dieses Video hat mich vollkommen befreit. Ich kann endlich wirklich tun und lassen, was ich will. Nichts kann mir etwas anhaben, nichts wird mir schaden. Und das Beste: Nach allem, was ich schon gesagt habe, gibt es für mich in Zukunft überhaupt nichts Unsagbares mehr! Man wird noch von mir hören. Viel.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort