Rainer Nikowitz: Ehe? Wehe!

Was auch immer der Verfassungsgerichtshof sagt: Die Ehe für alle widerspricht dem gesunden Volksempfinden. Also auch dem von Herbert Kickl.

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Die Welt war heute eine andere als gestern. Das spürte Herbert Kickl genau. Den meisten anderen fiel es wahrscheinlich nicht auf, aber die waren halt leider auch alle ziemliche Simpel. Die verfügten nicht über Herberts hochspezialisiertes Sensorium, mit dem er kleinste atmosphärische Abweichungen von der einzig gültigen Norm – seiner – sofort registrierte. Manchmal war es schon ein Fluch, mit dermaßen überbordendem Feinsinn geschlagen zu sein. Aber so hatte eben jeder sein Binkerl zu tragen. Andere hatten Geisteskrankheiten, waren also zum Beispiel liberal. Ein schreckliches Schicksal. Dann noch allemal lieber hypersensibel.

Es hatte schon am frühen Morgen begonnen. Als Herbert gedankenschwanger wie immer aus dem Fenster blickte und sah, wie der Sonnenaufgang den Himmel über dem nur für Insider wie ihn als höchst bedrohlich erkennbaren Geflecht von Chemtrails in ein krankes Rosa kippen ließ, wusste er gleich, was es geschlagen hatte. Schlimmer wäre eigentlich nur eine gerade Richtung Westen abziehende Front gewesen, die höhnisch mit einem Regenbogen winkte. Gestern hatte der Verfassungsgerichtshof sein Schandurteil zur Ehe für alle veröffentlicht, und Herbert bekam immer noch kaum Luft vor begreiflicher Gemütserregung. Was war diesen verqueeren Hermelinträgern da bloß eingefallen? Wie konnte man der Homo-Lobby, die wahrscheinlich noch mehr Lebensbereiche unterwandert hatte als die Ostküste, nur sehenden Auges einen derartigen Triumph bescheren? Natürlich war auch Herbert an sich sehr für Recht. Aber nur, wenn es auch Ordnung nach sich zog. Und zwar die, die er meinte! Wo kamen wir denn hin, wenn dieser Gleichheitsgrundsatz auf einmal auch für die gelten sollte, die nun einmal nicht gleich waren? Sondern auf eine unbegreifliche, eine … – das durfte man ja wohl noch sagen – eine widerwärtige Art anders. Außerdem konnten natürlich auch Gerichte irren. Da musste man nur an Nürnberg denken. Höchste Zeit, dass die Gerichte dem Volk zurückgegeben wurden. Dann würden auch die Urteile wieder weit gesünderes Empfinden zum Ausdruck bringen. Herbert setzte das schon einmal auf die To-do-Liste der in Bälde regierenden Koalition.

Wenigstens die katholische Kirche zeigte diesmal Kante. Ganz im Gegensatz zum künftigen Koalitionspartner, diesem Weichei von einer Rechtspartei.

Egal, wo er an diesem Tag hinsah, überall konnte er die verheerenden Folgen erkennen, die dieses unfassbare Urteil schon jetzt nach sich zog: Alles war mit einem Mal irgendwie verschwult. Tauschten die beiden Streifenpolizisten da nicht gerade einen verdächtig langen Blick aus ihren stahlgrauen Augen aus? Waren die Amseln, die sich am Straßenrand einträchtig eine Rosine aus einem weggeworfenen Stück Zimtschnecke teilten, statt einander, wie von der Natur für solche Fälle vorgesehen, die Augen im Kampf um dieselbe auszuhacken, nicht beide Männchen? Hatte dieser eine Mistkübler, als er eine Tonne hinten an den Lkw wuchtete, dabei nicht auffällig unauffällig den Hintern seines Kollegen gestreift? Wenn das so weiterging, dann bestanden heute die meisten Suchanfragen aus Österreich auf Pornhub garantiert nur aus einem Wort: Lesben. Herbert seufzte tief. Was hatten diese sogenannten Richter bloß aus seinem durch das letzte Wahlergebnis gerade noch auf dem Weg zu mehr Sauberkeit gewesenen Land gemacht? Wer würde noch rotbäckige, aufgeweckte und das Überleben des Volkskörpers sichernde Kinderleins machen, jetzt, wo wahrscheinlich alle zu Homos wurden, weil ihnen ja höchstgerichtlich eingeredet worden war, das sei eh ganz normal?

Wenigstens die katholische Kirche zeigte diesmal Kante. Ganz im Gegensatz zum künftigen Koalitionspartner, diesem Weichei von einer Rechtspartei. Und zum Glück auch im Gegensatz zu ihrer Linie bei anderen Dingen, wie zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage. Da überholten die Pfaffen ja sogar die Grünen links. Aber wenn es um die vorschriftsmäßige Ausübung von Sex ging, also das allerwichtigste Thema, das sie seit Jahr und Tag bewegte wie kein zweites, da war auf sie Verlass. Da konnte er ja dem HC durchaus wieder einmal ein Kruzifix zum Herumwacheln in die Hand drücken. Weil eine Zeit lang wäre das ja beinahe ehrenrührig gewesen. Also für den HC natürlich, nicht für die Kirche. Vielleicht kam ja auch wieder einmal ein so richtig vernünftiger Bischof, wenn in Rom nicht mehr dieser komische Befreiungstheologe das Sagen hatte. Ein neuer Krenn. Da würden sich dann noch mehr positive Synergien ergeben.

Herbert stieg aus dem Auto und machte sich auf, die letzten Meter zum Büro zu Fuß zurückzulegen. Vor dem Zebrastreifen musste er warten. Dann endlich wurde es grün. Aber, weil es sich ja um Wien handelte, natürlich kein normales. Eines dieser vermaledeiten Ampelpärchen leuchtete auf. Und beide Figuren trugen einen Rock. Herbert überquerte die Straße, blieb dann vor der Ampel stehen und zischte: „Schweindln!“ Ein Passant schaute ihn komisch an. Einstweilen durfte er das ja leider noch. Aber, wenn es nach Herbert ging: nicht mehr lange.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort