Rainer Nikowitz: Entartete Kunst
Der iranische Präsident Hassan Rohani musste also bei seinem Besuch in Rom tatkräftig davor beschützt werden, durch den Anblick einer marmornen Brustwarze oder gar eines antiken Zumpferls eine rassistisch-kulturimperialistische Delle in seinem einzig wahren Glauben zu erleiden. Denn am Ende hätte die ja noch dazu geführt, dass ihm später bei der Unterzeichnung von Wirtschaftsverträgen im Ausmaß von 17 Milliarden Euro die Hand vor berechtigter Empörung dermaßen gezittert hätte, dass man seine Signatur genauso gut als „Donald Trump“, „Dolly Buster“ oder „Jack the Ripper“ lesen hätte können – mit verheerenden Folgen für das stolze, freie Italien.
Nun darf man aber natürlich nicht den Fehler machen, aus der von Rohani umgehend als Ausdruck wahrer Gastfreundschaft gewürdigten Verhüllung von Kunstwerken den Schluss zu ziehen, dass islamistische Staatsführungen überhaupt keinen Sinn für das Schöne und Erhabene hätten. Wenn zum Beispiel in Teheran die Leichen von ein paar auf Baukränen aufgeknüpften schwulen Volksschädlingen synchron im sanften Morgenwind pendeln, soll das schon so manchen Mullah zu einigen Zeilen zartester Lyrik inspiriert haben. Und der oberste Religionsgelehrte Saudi-Arabiens, Großmufti Scheich Abdulaziz Al al-Sheikh, soll angesichts der progressiven Street-Art-Spritzbilder, die in seinem Land am Freitag – aber bekanntlich leider nicht an jedem – in der in der internationalen Kunstwelt einzigartigen Köpfungstechnik hergestellt werden, schon einmal gemurmelt haben: „Dieser Nitsch ist ein blutiger Amateur.“
Wenn wir schon bei schlimmen Karikaturen sind: Mit den rassistischen Fehlentwicklungen im Satire-Sektor kann das ja natürlich auch nicht so weitergehen.
Der Saudi-Großmufti ist auch jener Herr, der jüngst das – einst von den Persern erfundene und von den Arabern verbreitete – Schachspiel als unislamisch verboten hat. Klar, Schach fördert ja wohl das Denkvermögen, und eine solche Störung der Geschäftsgrundlage kann sich natürlich kein Großmufti, der auf sich hält, bieten lassen. Also wäre im Moment die wohl größte vorstellbare islamophobe Beleidigung ein FKK-Schachturnier. Oder noch schlimmer: Ein FKK-Schachturnier in einer mit Davidsternen tapezierten Schwulenbar, bei dem der Sieger eine Flasche Bordeaux und ein „Charlie-Hebdo“-Abonnement gewinnt.
Wenn wir schon bei schlimmen Karikaturen sind: Mit den rassistischen Fehlentwicklungen im Satire-Sektor kann das ja natürlich auch nicht so weitergehen. Erst jüngst musste die Fachabteilung „Wer zuerst lacht, ist ein Nazi!“ des „Standard“ entsetzt konstatieren, dass es tatsächlich immer noch Satire gibt, die nicht ausschließlich der ihr vom Zentralrat für den wirklich guten Humor zugeteilten Aufgabe nachkommt: also voll kritische Witze über die katholische Kirche und die FPÖ zu machen.
„Die Intention der Karikatur oder des Witzes ist entscheidend, um ihn als rassistisch oder progressiv einordnen zu können“, wurde dem leider doch meistens ziemlich unbedarften Leser, der von schrecklichen Zweifeln geplagt wird, ob er eh an der richtigen Stelle lacht, ein erlösender Weg aus dem Dilemma gewiesen. Weil mehr gibt’s ja nun wirklich nicht in unserer tagtäglich simpler werdenden Welt: entweder progressiv – oder rassistisch. Und Satire ist generell natürlich sowieso nur zulässig, wenn sie keine Witze über „diskriminierte Gruppen“ macht. Als da wären: „Frauen, LGBTQ, ethnische Minderheiten oder religiöse Minderheiten. Geht ein Witz einzig auf Kosten dieser Gruppen, findet keine Auseinandersetzung mit Machtfragen statt, sondern eine Verstärkung der Ressentiments.“
Ich bin ja überhaupt dafür, gesetzlich festzulegen, dass man ausschließlich weiße Hetero-Männer verspotten darf.
Ganz genau. Ich bin ja überhaupt dafür, gesetzlich festzulegen, dass man ausschließlich weiße Hetero-Männer verspotten darf. Die haben sich diese Exklusivität schließlich redlich verdient. Hui, wird das lustig! Und ehrlich jetzt: Ich weiß, vor einem Jahr waren wir auf Facebook noch alle total mutige Charlies. Aber die brauchen dort in Wirklichkeit auch nicht groß herumheulen. Selber schuld.
Illustriert war die Warnung vor entartetem Humor in der Online-Ausgabe der – seit sogar schon der „Falter“ ur-arge rassistische Covers hat (und von diesem „profil“ rede ich lieber erst gar nicht) – praktisch letzten nicht rechtsradikalen Zeitung im Land übrigens ursprünglich mit einer Zeichnung des bekannten deutschen Karikaturisten Martin Perscheid zur Silvesternacht in Köln. Doch dann dürfte dem „Standard“ jemand geflüstert haben, dass der erstens bekannt und zweitens ein des sanktionierungsbedürftigen Rechtsabweichlertums bisher völlig Unverdächtiger ist – und die Karikatur verschwand in aller Stille wieder.
Doch auch eine solche Erkenntnis schützt vor der Abstrafung durch das in Permanenz tagende moralische Social-Media-Standgericht mitunter nur bedingt: Der meist breit gefeierte „Kurier“-Karikaturist Michael Pammesberger wurde für einen Cartoon, in dem er meinte, dass es in der Flüchtlingsdebatte nur mehr die Positionen „De Asylanten san alle Verbrecher“ oder „Die Flüchtlinge sind alle lieb und brav“ gebe und Differenzierungen von beiden Seiten nicht sonderlich gefragt seien, umgehend mit links durch Facebook geprügelt. Es sei nämlich erschreckend, dass er jetzt auch schon „rechte Narrative“ verbreite.
Dazu kann man eigentlich, in aller Ausführlichkeit, nur mehr eines sagen: Oida!