Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Freiheit im Seewinkel

Freiheit im Seewinkel

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Als sich Hans Niessl spätnachts vor seinem Gartentor in Frauenkirchen müde aus seinem bescheidenen Dienstwagen schälte, befiel ihn mit einem Mal ein heftiges subjektives Unsicherheitsgefühl. Im matten Schein einer mittels EU-Regionalförderung mehr als nur zum Glimmen gebrachten Straßenlaterne sah er zwei verdächtige Gestalten herumlungern. Hektisch schaute sich der besorgte Landesvater in alle Richtungen um. Wo war die nächste Patrouille? Seine Prätorianergarde, seine gestählten und bis an die Milchzähne bewaffneten Grundwehrdiener? Seine Baby-Seals, wie er sie zumindest im kleinen Kreis ­liebevoll zu nennen pflegte?

Sie waren nicht da. Sofort nahm sich Hans vor, beim Kanzler eine Verdoppelung, ach, wo dachte er hin, eine Verdrei­fachung der furchtlosen Elitetruppe einzufordern: dieser eiskalten Kampfmaschinen, die allein im vergangenen Jahr das Einsickern von gleich neun landesfremden Elementen, bei denen die akute Gefahr bestanden hatte, dass sie in Oggau oder auch Jennersdorf einen illegalen Kebab-Stand eröffnen würden, verhindert hatten.

Und er wusste, der Werner würde dafür ein offenes Ohr haben, denn schließlich galt es, mit allen Mitteln, ja, und warum sollte man es nicht sagen dürfen, auch und vor allem mit allen ­finanziellen Mitteln eine Gefahr abzuwehren, die wesentlich bedrohlicher war als Griechenland, Bankenkrise und alle isländischen Vulkane zusammen: den möglichen Verlust der absoluten Mehrheit der burgenländischen SPÖ.

Erst am Vormittag hatte er sich, als er aus dem Klofenster des Krankenhauses Kittsee auf die horrende 11,6 Kilometer entfernte Silhouette des nieder­österreichischen Krankenhauses Hainburg schaute, mit sorgenzerfurchter Stirn gedacht, was es denn bedeuten würde, wenn der Föderalismus nicht neben der Neutralität die zweite Staatsreligion Österreichs wäre.

Vor seinem geistigen Auge sah er plötzlich eine Pro­zession von Kranken und Siechen, wie sie verzweifelt die schier endlose Bundesstraße 60 entlanghinkten. Manche auf Krücken, manche mit einrädrigen Rollstühlen, manche mit blutbefleckten Ganzkörper-Mumienverbänden und schließlich die vielen, vielen Landeslehrer mit Burn-out-Syndrom und darob bis zum Nabel herunterhängenden Köpfen. Ein Kreuzweg der Hoffnungslosen, die niemals das ferne Hainburg erreichen würden und im Straßen­-graben den Geiern, die sich seit der Zentralisierung der neun Bundesländer-Jagdgesetze im feindlichen Wien ­explosionsartig vermehrt hatten, zum Opfer fallen würden.

Und selbst wenn sie es schaffen sollten, sich bis an die Pforte der blau-gelben Intensivstation durchzuschlagen, war klar, was dann passieren würde. Erwin Pröll würde den Eingang versperren und donnern: „Burgenlandler? Schneidts eana den Blinddarm mit’n Taschenfeitel auße!“
Und dann würde er mit irrlichterndem Blick noch hinzufügen: „Oba mit an stumpfen!“

Diese Vision war so schrecklich, dass der Landeshauptmann am Klo des Krankenhauses Kittsee völlig vergaß, sich die Hände zu waschen. Die zwei Gestalten lehnten da immer noch herum. Zum Glück, dachte Niessl, zum Glück sah man sie wenigstens. Mit einer anderen Bauordnung als der burgenländischen hätten sie jetzt vielleicht eine Nische, in der sie sich auch noch vor seinem wachsamen Auge verbergen könnten. Mit der Tiroler zum Beispiel. Oder der Kärntner. Nicht auszudenken – in Frauenkirchen dieselbe Bauordnung wie in Ferlach! Und dann noch ein anderes Jugendschutzgesetz als das weitblickende burgenländische dazu, vielleicht das Wiener oder gar das Salzburger, und die beiden Verdächtigen wären 15 und würden sich gerade Uhu injizieren oder so.

Das kalte Grauen kroch über den Rücken des Landeshauptmanns hoch und krallte sich schließlich an ­seinem Mittelscheitel fest. Unschlüssig nestelte er sein Handy hervor und überlegte, wen er jetzt anrufen sollte. Das Militärkommando? Die Polizei? Oder doch den Landespressedienst, der ihn dabei fotografieren könnte, wie er persönlich das Burgenland ein Stück sicherer machte?

Nein. Schließlich war Gefahr im Verzug. Niessl gab sich einen Ruck, nahm eine durchaus furchteinflößende Haltung ein und ging festen Schritts auf die beiden Elemente zu. Falls sie tatsächlich so gefährlich waren, wie man annehmen musste, könnte er sie ja als ehemaliger Fußballer mit einem geharnischten Sliding Tackling zu Fall bringen, sie dann mit einer Weinrebe fesseln und unter dem ohrenbetäubenden Jubel der ortsansässigen Bevölkerung den von Maria Fekter finanziell ausgehungerten und deshalb komplett ineffizienten Bundesbehörden übergeben.

Sein Herz klopfte zum Zerspringen, als er sich den Fremden näherte. Gleich würde es zum Kontakt kommen. Im matten Schein jener Lampe, die Brüssel zum Glück nicht Griechenland geschenkt hatte, standen zwei Grundwehrdiener und rauchten einen Joint. „Pfah, Oida!“, sagte der eine. „Des Zeug kann was. I hab jetzt kurz glaubt, i siech den Landeshauptmann.“

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort