Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Held der Arbeit

Held der Arbeit

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Es war schon später Nachmittag, als Josef Cap zum ersten Mal kurz zum Durchschnaufen kam. Sein Terminkalender las sich heute wieder einmal wie Dantes Inferno. Aber beklagte sich ein Josef Cap über die Unbilden, die ihm das Leben ohne Unterlass auf erlegte? Nein. Man wurde schließlich nicht zur linken Ikone, die in den Geschichtsbüchern der Sozialdemokratie jetzt schon ein eigenes Kapitel war, ohne, dass das durchaus mit Arbeit verbunden war.

Nach dem täglichen Morgenlauf hatte er mit jenem Menschen ein langes Brainstorm-Frühstück abgehalten, deren geistvolle Gesellschaft er schätzte wie kein anderer: mit Josef Cap. Er hatte sich dabei ausnehmend gut mit sich verstanden und auf wie immer hohem Niveau darüber sinniert, wie er demnächst dem neoliberalen Raubtierkapitalismus endgültig die Maske von der hässlichen Fratze reißen könnte.

Dann war es doch schon gegen Mittag gegangen und Josef hatte sich in den SPÖ-Parlamentsklub verfügt. Es war zwar eine zum Himmel und vor allem zu Viktor Adler schreiende Schande, dass es nicht mehr Josefs Parlamentsklub war, aber der Wohnbaustadtrat, der aus unerfindlichen Gründen Bundeskanzler spielen durfte, wurde ja wahrscheinlich ohnehin täglich mit tausenden Protestbriefen wütender Genossen zugeschüttet, die das auch nicht verstanden. Im Klub hatte Josef dann Wolfgang Katzian einen brechend komischen Witz mit einer intellektuellen Pointe erzählt – und dann war es auch schon wieder höchste Zeit für einen kleinen Brunch gewesen. Nur was Leichtes, Josef aß nicht gern schwer, wenn es ihn so herumriss.

Am frühen Nachmittag wäre der Tag beinahe schon gelaufen gewesen, weil ihn die Nagelstylistin bei der Maniküre mit der Feile gestochen hatte. Josef war ausgezuckt – und in so einem Zustand funktionierte das größte Kapital, das die österreichische Sozialdemokratie hatte, leider nicht so brillant wie sonst: sein Hirn. Erst, als ihm die Chefin versichert hatte, dass sich diese fleischgewordene Beleidigung der Arbeiterklasse morgen beim AMS wiederfinden würde, hatte er sich wieder beruhigt. Und hastete dann atemlos ins Renner-Institut, wo er jetzt eben zum ersten Mal kurz zum Durchschnaufen kam, bevor er sich seinem zweiten nicht allzu gut bezahlten 80-Stunden-Job widmen würde – der programmatischen Erneuerung der SPÖ. Schließlich hatten sie nur mehr 27 Prozent – und wer, wenn nicht Josef, konnte hier die Trendwende einleiten?

Er löschte ein Mail, in dem irgendein reaktionärer Troll geschrieben hatte: „Wenn Sie wirklich eine Trendwende einleiten wollen, dann verstecken Sie sich am besten so gut, dass Sie nie wieder auch nur ein einziger Wähler zu Gesicht bekommt. Das wäre ein Anfang.“ Er war aber nicht sonderlich aufgebracht darüber. Kümmerte es die Eiche, wenn sich die Schweine an ihr rieben? Eben. Josef lächelte gütig sein Spiegelbild an, das die blitzsaubere Glasplatte seines leeren Schreibtisches anmutig in den Raum zurückwarf. Und dann flüsterte er ihm ein Zitat von Fred Sinowatz zu – das er aber, wegen des doch augenfälligen Unterschieds zwischen dem braven Fredl und ihm, ein wenig adaptiert hatte: „Ohne mich ist die Partei nichts.“
Für den frühen Abend plante er, die ausgebeuteten Massen in seinem Heimatbezirk Hernals mit dem Vortrag „Wie ich demnächst der hässlichen Fratze des neoliberalen Raubtierkapitalismus die Maske vom Gesicht reißen werde“ zu begeistern. Es würde allerdings knapp werden, anschließend rechtzeitig zur Brunello-Blindverkostung zu kommen, weil man ja die unausbleiblichen Standing Ovations nicht einfach so abdrehen konnte, wegen Volksnähe und so. Trotzdem wäre es schade, weil was, wenn sie da unter Umständen gleich mit einem 85er anfingen – und er nicht dabei?

Aber jetzt musste er einmal mit der Rettung der Partei beginnen. Für den Anfang wollte er sich gleich einmal das alte Parteilogo vornehmen. Diese drei Pfeile im Ring, die mochten ja als Kampfsymbol gegen die Faschisten einst ihre Berechtigung gehabt haben. Aber jetzt reichte dafür das Smartphone von Laura Rudas. Josef ließ sich von einer hoffentlich prekär beschäftigten Bürokraft ein Blatt Papier bringen und begann mit seinem Entwurf. Er ging ihm gut von der Hand. Andere mochten für so etwas Tage oder Wochen brauchen – aber bei Josef dauerte es selten eine zweistellige Minutenanzahl, bis seine strategischen Überlegungen auch schon ein hoch zufriedenstellendes Ergebnis zeitigten.

Ja. Das hatte was. Genau so musste das neue Logo aussehen. Es war sogar nichts weniger als die optische Umsetzung seiner gesamten politischen Arbeit seit jener schicksalsschwangeren Minute vor 30 Jahren, in der die Vorzugsstimmen fertig ausgezählt waren. Wirklich jeder würde auf den ersten Blick erkennen, was die SPÖ eines Josef Cap, dieses strahlenden Hoffnungsträgers für alle Unterprivilegierten, den Österreichern zu sagen hatte.

Denn man konnte das nun einmal nicht klarer und offener zum Ausdruck bringen als mit einem riesengroßen, tiefroten, gestreckten Mittelfinger.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort