Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Hells Bells

Mit der Androhung eines Lockdowns nur für Ungeimpfte wird das glückliche Jetzt-aber-wirklich-Ende der Pandemie so was von dröhnend eingeläutet, aber hallo!

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Im Rückblick auf die erfolgreich bekämpfte und deshalb schließlich auch so glorreich besiegte Pandemie mussten im 22-er Jahr selbst die kritischsten Geister einräumen, dass der Game-Changer, also die entscheidende Wende, die Winteroffensive der Regierung gewesen war. Selbst jene immer an allem herummäkelnden Kommentatoren, die sich davor noch das Maul darüber zerrissen hatten, dass der heilige Sebastian, also unser damaliger Krisenkanzler, die Pandemie schon vor dem Sommer für beendet erklärt hatte. Mit einer Leichtigkeit, die er ansonsten nur in Chats an den Tag legte. Und dass man anschließend, dieser schönen Erkenntnis freudig folgend, möglicherweise nicht alle Register der sanfteren Impfmotivation gezogen habe, als noch Zeit dafür gewesen war. Und die natürlich erst recht darüber lästerten, dass die Regierung schon Ende Oktober, als die Impfquote urplötzlich mit einem Mal überfallsartig nicht anstieg, halt auch einmal ein bisserl strenger werden musste – und also den Ungeimpften einen Lockdown androhte. Der ja wiederum, wie die Obergescheiten sofort wussten, unkontrollierbar und somit undurchführbar wäre. Erst recht beim gar nicht so kleinen, ganz harten Kern, bei dem sich ja – befeuert von Herbert Kickl und moralisch ähnlich Gefestigten –  ohnehin schon längst eine mittelleichte Anti-Staats-Paranoia eingeschlichen hätte. Aufgrund derer man sich an einem Finger abzählen könne, was passieren würde, wenn man das tatsächlich durchzieht. Das alles wurde unseren Lenkern vorgeworfen. Nur Zauderer! Lauter Zweifler!

Aber wie wir heute zum Glück wissen: Die Geschichte gab unseren Lenkern recht. Strahlend recht!

Die Kritiker hatten nämlich die nachgerade ausufernde pädagogische Kompetenz der Regierung grob – wenn nicht sogar vorsätzlich! – unterschätzt. Sie hatten völlig außer Acht gelassen, wie weit man mit einem gerüttelt Maß an natürlicher Autorität kommen kann. Selbst bei einem vielleicht doch schon ein bisschen aufgewühlten Souverän. Wenn man über natürliche Autorität verfügt, dann reicht es nämlich, mit der Rute nur zu drohen. Da muss man ja dann überhaupt nicht hinhauen! Das weiß doch bitte jede halbwegs talentierte Domina! Und da soll es die Regierung nicht wissen? Ein bisschen mehr an Grundvertrauen wäre schon schön gewesen.

Denn es kam, wie es selbstverständlich kommen hatte müssen: Kaum, dass Schallenberg und Mückstein Ende Oktober laut und deutlich „Du, du!“ gesagt hatten, fiel es den Impfgegnern im ganzen Land auch schon reihenweise wie Balken von den Augen! Die Impfquote legte einen Anstieg hin, na frage nicht! Großglockner Hochalpenstraße Dreck dagegen! Gut, später, als dann der geschickt fragmentierende Lockdown trotzdem noch in Kraft treten musste, weil halt viele von den unwissenschaftlichen Bengeln leider immer noch zu spät gefolgt waren, da kamen durchaus noch einmal kleine Unsicherheiten auf, was denn jetzt passieren würde. Also ob jetzt endgültig der Bürgerkrieg losbricht oder so.

Aber tatsächlich verhielten sich die Ungeimpften dann ja eh wie im Modellversuch prognostiziert, den Magic Christian dem Ministerrat so überzeugend vorgeführt hatte. Die ungeimpften Hascherln konnten tatsächlich einfach nicht lange dabei zusehen, wie alle anderen in die Restaurants, Kinos, Swingerclubs oder auch einfach nur U-Bahnen strömten – während sie traurig zu Hause saßen und auf Netflix nun aber wirklich schon alles gesehen hatten. Zuerst waren es nur vereinzelte Ungeimpfte, die schon nach wenigen Tagen pädagogisch dermaßen zermürbt waren, dass sie mit erhobenen Händen aus der sozialen Isolation heraus und in die wohlige Wärme eines der Hunderten mit Girlanden und Disco-Kugeln geschmückten Niedrigschwelle-Impfzentren hineintaumelten. Aber sie wurden mehr, die Tröpfchen wurden Bäche, dann Ströme. Und bald waren es schier endlose, aber, wie es nun einmal in unserer Art liegt, akkuratest geformte Zweierreihen aus Bekehrten! Sie zogen sich durch

alle Städte, wanden sich durch jedes Dorf, gigantische Bandwürmer der Vernunft. Vor jedem Impfzentrum stand eine ekstatisch tanzende Menge von glücklichen 2G-Vorreitern Spalier und spendete jedem Neuankömmling frenetisch Beifall. Die Volksschulkinder hatten sich herausgeputzt, streuten Blumen und sagten süße Gedichte auf. Es war ein riesengroßes Fest der Gemeinsamkeit, eine Welle der nationalen Einigkeit, wie sie unser Land seit der Karl Schranz-Aufwallung 1972 nicht mehr gesehen hatte.

Wichtig ist jetzt, im glücklichen Rückblick aber auch, dass wir aus dieser Krise lernen. Für die nächste Krise – die wohl unweigerlich kommen wird. Mit den wichtigsten Erkenntnissen, auf die wir uns alle mittlerweile verständigt haben, sollte das aber auch kein Problem sein. In diesem Sinne: Auge um Auge! Ein Spiel dauert 90 Minuten. Soll gedeihen Korn und Wein, muss im Juni warm es sein. Und: Rosebud!

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort