Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Irgendwas mit Medien

Das florierende Anzeigengeschäft des ÖVP-Wirtschaftsbundes in Vorarlberg war einem besonders engagierten Mitarbeiter zu verdanken.

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Den einäugigen Jimmy kannte jeder hier im Wilden Westen. Ob an den schroffen Hängen des Arlbergs oder in den bisher nie gekannten Tiefen der Rheinebene, überall wusste man, dass mit Jimmy nicht zu spaßen war. Keiner konnte ihm was vormachen, er kannte alle Tricks. Das musste auch so sein, in seiner Position. Schließlich schickte ihn der Bund. 

Jimmy war genau der Richtige für diesen Job. Seine landestypische  Emotionslosigkeit ließ gerade Beobachter aus dem doch irgendwie warmblütigeren Osten regelrecht erschaudern. Jimmy war ein eiskalter Alemanne, einer von jener Sorte, für die schon beredtes Schweigen einen ungeheuren Gefühlsausbruch darstellt. Er hätte ohne mit der Wimper zu zucken seine Großmutter gegen ein Nummernkonto in Vaduz eingetauscht – wenn er für sie nicht schon längst einen 7er BMW und ein Thermenwochenende bekommen hätte. Für einen so geschickten Geschäftsmann gab es in der Vorarlberger ÖVP natürlich immer etwas zu tun.

Wenn Jimmy bei einem Zwangsmitglied auftauchte – da fing es ja schon an: manche Schlaumeier glaubten partout, diesbezüglich gäbe es in Vorarlberg tatsächlich einen Unterschied zwischen Wirtschaftskammer und Wirtschaftsbund –, dann wusste dieses natürlich, was es geschlagen hatte. Denn Jimmy war beinhart. Da er nur ein Auge hatte, war er noch viel weniger geneigt, dieses zuzudrücken. „Ich kann dieses Mal kein Inserat schalten, Mann! Ich hatte ein Feuer im Lager, und der Umsatz ist mir weggebrochen!“ – „Ach ja? Mir kommen die Tränen! Aber leider weint die Tochter vom Landesrat auch um die Reitstunden, die er jetzt wegen dir nicht zahlen kann!“

Das andere Auge hatte Jimmy übrigens schon vor vielen Jahren verloren. Bei einem bedauerlichen Unfall. Sein Vater hatte in seiner Fleischerei ewig mit einem Interessensvertreter gestritten, weil er partout nicht für ein Inserat für Faschiertes in der Dachdeckerzeitung bezahlen hatte wollen. So lang hatten sie gestritten, bis die Sache auf einmal einen gewaltigen Haken bekommen hatte. Einen Fleischerhaken. Und der kleine Jimmy war halt leider zufällig daneben gestanden. 

Aber: Er hatte daraus gelernt. Zum Beispiel, dass es besser ist, den Haken selbst in der Hand zu halten. Und mit diesem Vorsatz und ein wenig Ehrgeiz hatte er es schließlich bis zum gefürchtetsten Mann von ganz Vorarlberg gebracht. Zu jenem Mann, der niemals grüßte, sondern immer sofort sagte: „Machen Sie mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann!“ Zum sagenumwobenen Midas der Medienbranche. Dem Mann, der jede freihändig erfundene Auflage zu Gold machen konnte. Zum Godfather – zum Anzeigenverkäufer des Vorarlberger Wirtschaftsbundes himself! 

Im Osten konnten sie es ja manchmal kaum glauben, wie ungeheuer erfolgreich sich heutzutage ein modernes Medienunternehmen in einem doch fordernden Umfeld behaupten konnte – wenn es über führende Mitarbeiter von der Qualität eines einäugigen Jimmy verfügte. Da konnte sich selbst Niederösterreich eine Scheibe abschneiden, was Organisationsstärke und spezifische Kundenbetreuung ausmachte. Aber die Niederösterreicher waren bei so was zum Glück ohnehin sehr lernbegierig. Das konnte also nicht mehr lange dauern. 

Manchmal tauchte ja ein Neuer auf der Bildfläche auf. Das war dann schon lustig. Also sofern in Vorarlberg jemals irgendetwas lustig war. Aber manchmal kam tatsächlich irgend so ein Grünschnabel von hinter den sieben Bergen daher, der von nichts eine Ahnung hatte. Und der sich genau deshalb einbildete, ausgerechnet er habe es nicht nötig, ein – wenn schon nicht viel gelesenes, so doch auf jeden Fall viel zerrissenes – Inserat in einer von sämtlichen Opinion Leadern zwischen Damüls und Gaschurn sehr gern zum Anzünden ihrer Kachelöfen verwendeten, unglaublichen Erfolgsstory von einer Zeitung zu schalten! 

Aber nicht mit Jimmy. 

Er hatte da seine eigene Art, diesen ungehobelten Burschen vom Land Manieren beizubringen. Er bestellte sie sehr gern ins Vereinslokal des Wirtschaftsbundes – das „Verdächtig“ in Höchst. Jimmy kam immer zu spät. Drückte sich schließlich schlecht gelaunt, einen zerkauten Zahnstocher im Mundwinkel, durch die Tür, ging wortlos zur Jukebox, warf eine manchmal blutige Münze ein und drückte B1: „Spiel mir das Lied vom Tod … jeglicher weiterer Landesaufträge“. Ein Klassiker hier im Wilden Westen. (Angeblich singt im Background-Chor sogar der Landeshauptmann mit. Der zweite Bass-Bariton von rechts. Ergreifend in der Phrasierung.) 

Die einzige Frage, die sich danach noch stellte, war: „Eine Seite? Drei?“ 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort