Satire

Lassen Sie mich durch, ich bin Insider!

Endlich: die allergeheimsten Geheimnisse und moralisch höchstwertigsten Urteile im Fall Teichtmeister!

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Ich weiß, Sie konnten es kaum noch erwarten. Aber heute ist es so weit: Endlich, endlich gebe auch ich meinen Senf zum Fall Teichtmeister dazu! Und es wird, so viel ist natürlich klar, der bei Weitem bedeutendste Senf von allen sein. Das werden jetzt zwar viele der zahllosen anderen Senfspender anders sehen, denn die gehen ja irrigerweise davon aus, es sei der ihrige. Aber das kann gar nicht sein, denn ich erfülle nämlich gleich zwei Zulassungsvoraussetzungen zum totalen Experten. Zum Ersten bin ich Qualitätsjournalist und als solcher schon qua Berufung die moralische Höchstinstanz im Lande. Und zum Zweiten bin ich auch noch der volle Insider. Denn: Ich bin nämlich auch Regisseur! 

Wie? Das wussten Sie gar nicht? Na ja. Diese ungeheure Ignoranz schaut Ihnen wieder einmal ähnlich. Aber zum Glück bietet sich Ihnen ja jetzt die Gelegenheit, Versäumtes nachzuholen. Dadurch, dass ich einfach nicht mehr schweigen kann und praktisch gezwungen werde, vor den Vorhang zu treten. Weil ich halt ein stets reines und generell qualitativ herausragendes Gewissen habe. Und nicht etwa, weil ich bloß ein gewohnheitsmäßiger Wichtigtuer bin, dessen künstlerische Bedeutung zwar im nicht messbaren Bereich liegt, der jetzt aber endlich die Chance auf seine Warhol’schen Fifteen Minutes of Fame wittert. Denn mein letzter abendfüllender Spielfilm, der meinen Aufenthalt in einem Zweieinhalb-Sterne-Pauschalresort in Gran Canaria zum Thema hat, hat die internationale Low-Budget-Indie-Szene gehörig durcheinandergewirbelt, jawohl. Ich hätte sogar bei den Filmfestspielen von Ouagadougou beinahe den bronzenen Nacktmull gewonnen! Am Ende hab ich den dann einzig und allein deshalb nicht gekriegt, weil ich ein alter weißer Mann bin. Und die haben’s dort halt leider noch nicht so mit Diversity. 

Aber: Morgen ruft Hollywood an, das spüre ich! Und selbst, wenn es das anonym tun sollte – Sie werden trotzdem die Ersten sein, denen ich die frohe Kunde auf Twitter zuraune, versprochen! Bedeutungsschwangeres Raunen über Anonymes auf Twitter ist ja in unserer Branche mittlerweile eine eigene Kunstform geworden. Manche Kolleg:innen machen eigentlich gar keine Filme –  die raunen quasi ausschließlich. Und das ist auch gut und richtig so, weil ansonsten wüsste die Öffentlichkeit vielleicht nicht einmal, wie man den Namen des Rauners schreibt. Selbst wenn er in seinem beeindruckenden Œuvre zum Beispiel schon auf nichts weniger als eine bahnbrechende Folge von „Blind ermittelt“ verweisen kann, über die sie im Filmclub Kukmirn noch heute reden.  

Ankläger, Richter und Henker in einem – so gute Leute wie mich muss man erst einmal bekommen!

Jedenfalls ist das jetzt also eine absolute Win-win-Situation für Sie. Zum einen bekommen Sie die Chance, sich endlich mit meinem Werk auseinandersetzen zu können. Und zum Zweiten dürfen Sie zu den allerletzten Teichtmeister-Geheimnissen vordringen. Und die lauten: Jeder hat es gewusst. Alle sind schuld (außer mir natürlich). Und der Film gehört selbstverständlich verboten. Wie ja überhaupt viel mehr verboten gehört. Man kann die Menschlein da draußen nicht einfach selbst entscheiden lassen, ob sie ihn ansehen oder nicht, dazu sind sie ja viel zu unbedarft. Das muss man ihnen abnehmen. Und wer wäre als Abnehmer besser geeignet als ich? 

Wie? Das haben Sie alles schon bis zum Erbrechen gehört? Na ja, das liegt leider daran, dass ich nicht schnell genug war mit meinem Interviewangebot an die befreundete Qualitätspresse. Dabei hätte ich der ganz genauso wie meine gefeierten Regiekollegen vorab versprochen, dass ich ihr ausschließlich das erzähle, was sie hören will. Also etwas, das der zum Glück stetig voranschreitenden Weiterentwicklung unseres doch ziemlich verstaubten Rechtssystems dient. Ich habe einmal gelesen, dass dieses im Kern auf die alten Römer zurückgeht. Echt jetzt? Dieser 2000 Jahre alte Topfen soll den Anforderungen unserer modernen Zeit gewachsen sein? Unschuldsvermutung, unabhängige Gerichte und das alles? Oder gar Beweise?? Wozu bitte? Es gibt doch uns! Solche Rechtspfleger hatten die damals ja nicht. Ankläger, Richter und Henker in einem – so gute Leute muss man bitte erst einmal bekommen!  Und auch das Social-Media-Korrektiv hat es damals noch nicht gegeben, diese ungeheure Schwarmintelligenz, die sich in meiner Blase ballt! Da fällt das Rechtsprechen natürlich leicht. 

Also Leute, die Sache läuft ab jetzt immer so: Sowie ein Verdacht auftaucht oder auch nur das leiseste Gerücht, muss sofort gehandelt werden. Dann wird umgehend zu Fackeln und Mistgabeln gegriffen, um das Leben des Betroffenen zu zerstören – und zwar nachhaltig. Und man muss klarerweise in der Sekunde alles canceln, zu dem er jemals auch nur hingerochen hat. Weil ich es sage. Punkt. 

Und wenn dabei wirklich einmal ein Unschuldiger zum Handkuss kommt, dann ist das zwar ein bedauerlicher Kollateralschaden – aber ich kann mich leider nicht um alles kümmern. Denn ich habe halt einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Auch wenn immer ein „Selbst-“ davorsteht. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort