Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Ohne mich!

Ich bin klein, mein Herz ist rein. Darf nur die Neutralität hinein.

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Klaudia Tanner hat recht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich diesen Satz einmal so leichtherzig hinschreibe. Aber Ehre, wem Ehre gebührt. Klaudia Tanner hat Sie durchschaut – und mich erst recht: Ja, die Neutralität ist tatsächlich in meinem Herzen! Dort gehört sie auch hin. Und jeder, der das anders sieht, ist ein unpatriotischer Schuft, der wahrscheinlich auch Höchstpreise für Lipizzaner-Leberkäse bezahlen würde. 

Darum bin ich auch sehr froh, dass die Debatte über die Neutralität von höchster Stelle für beendet erklärt wurde, bevor jemand auf die ketzerische Idee verfallen konnte, sie zu eröffnen. Und mein Bundeskanzler hat auch drei gewichtige Argumente vorgebracht, warum: „Wir waren neutral, sind neutral, bleiben neutral.“ Das sehe ich sehr ähnlich. Denn auch bei mir bringt der Platz, den die Neutralität in meinem Herzen hat, klarerweise mit sich, dass sie nicht gleichzeitig in meinem Hirn sein kann.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie neutral ich bin. Wobei, Sie kennen das vielleicht eh, weil Sie sind ja auch Österreicher, und von irgendwoher müssen die 80 Prozent pro Neutralität in den Umfragen schließlich herkommen. Ich meine, das sind ja Werte, von denen kann man heutzutage eigentlich nur mehr träumen. In diese Sphären stieß früher maximal noch die Ablehnung eines österreichischen EU-Beitritts vor. Wie gut, dass damals auch beschlossen wurde, nicht weiter zu diskutieren! 

Ich bin so was von neutral, gegen mich ist jeder Schiedsrichter ein Rapid-Ultra. Wenn sich zwei streiten, freu ich mich, dass ich der Dritte bin. Wenn ich seh, wie eine Frau verprügelt wird, geh ich auf die andere Straßenseite. So neutral bin ich. Ich mein: Im Stillen halt ich natürlich schon zu ihr. Sie auch, oder? Eben. Man kann ja nicht so sein. Aber trotzdem würde ich mich nie einmischen. Ich würde ihr auch nicht meinen Taschenfeitel zuwerfen. Ich kann nämlich kein Blut sehen. Und wer weiß, was sie damit machen würde. 

Wobei ich einräumen muss: Meine Neutralität fußt gar nicht so sehr auf Pazifismus. Es ist mir nur ehrlich gesagt wurscht. Und dazu kommen dann natürlich auch die praktischen Erwägungen. Das ganze Geld, das wir uns ersparen, wenn wir uns von den anderen verteidigen lassen, bitte? Was brauchen wir eine Armee, wenn wir eh von NATO-Staaten umgeben sind? Jetzt wäre der Orbán aus prinzipiellen Gründen der Geistesverwandtschaft zwar möglicherweise bereit, den Putin bis nach Nickelsdorf durchzulassen. Dann könnte ihn nur mehr Klaudia Tanner aufhalten, das wäre eher unangenehm. Aber dieser Fall ist doch sehr unwahrscheinlich. Weil: Wozu? Was würde der Putin denn mit Österreich anfangen? Die Kneissl als Gouverneurin einsetzen und sie eine Fake-Volksabstimmung über den Anschluss an Russland machen lassen? Und mit der gemeinsamen Verteidigung von gemeinsamen Werten braucht mir auch keiner kommen. Nehmen wir an, der Putin holt sich Lettland. Dann müssten wir Soldaten schicken. Aber was geht uns das an, dass die Letten, diese Lappen, einmal Russen waren? 

Und weil uns jetzt das auch neutrale Schweden und Finnland vorgehalten werden: Die kann man doch überhaupt nicht mit uns vergleichen! Diese heißblütigen Skandinavier sind doch nun wirklich sattsam als kriegslüstern bekannt. Ich sage nur: Wikinger! Und Biathlon haben sie auch erfunden. Die schießen also sogar beim Langlaufen. Wir hingegen sind friedliebend, bei uns schießen höchstens die Tiroler Schützen. Und die in die Luft. 

Wenn man vergleicht, wie die Regierungen von Schweden und Finnland mit der Frage des NATO-Beitritts umgegangen sind und auch wie die öffentlichen Debatten dazu geführt wurden – da kann man wieder einmal froh sein, dass man als Österreicher auf unserer Insel der Seligen leben darf. Wir haben schließlich schon vor Jahrzehnten entschieden, in der Sicherheitspolitik ganz auf unser Herz zu hören, das ist uns ja nicht erst jetzt frisch eingefallen. Das wurde bei uns immer schon grundehrlich und total unpopulistisch abgehandelt. Darum haben wir ja auch eigentlich kein Heer – aber wenigstens die Allgemeine Wehrpflicht dafür. 

Ein Triumph der direkten Demokratie im Übrigen. Ich habe damals selbstverständlich auch für die Beibehaltung der Allgemeinen Wehrpflicht gestimmt, dies vor allem aus zwei wehrpolitisch wichtigen Gründen. Erstens schadet es den meist notorisch schlampigen Jungmännern aber sicher nicht, wenn ihnen endlich wer die Wadln virerichtet und sie gescheit Betten machen lernen. Und zweitens: Wer soll denn sonst die ganzen Sandsäcke bei einem Hochwasser vollschaufeln? Beziehungsweise, um ein wirklich drastischeres Bedrohungsszenario für unsere nationale Integrität heraufzubeschwören, das beinahe an die versuchte Einkreisung von Kiew herankommt: Wer sonst soll den ganzen möglicherweise auch noch ausgerechnet in der Nacht vor dem Rennen gefallenen Neuschnee aus der Streif in Kitzbühel wieder herausschaufeln? Die NATO? Dass ich nicht lache.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort