Rainer Nikowitz: Der Platzhalter

Rainer Nikowitz: Der Platzhalter

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Es war ja nun beileibe nicht so, dass Reinhold Mitterlehner nicht über ein gerüttelt Maß an Ehrgeiz verfügte. Jeder, der gegen ihn beim Tarockieren daheim im Mühlviertel schon einmal ein Solo Valat gewonnen hatte, konnte ein Lied davon singen, das sich garantiert in keinem der noch unter Wolfgang Schüssel produzierten ÖVP-Mitsingbücher voller lieblicher Volksweisen fand. Und wenn es schon früher nach Reinhold gegangen wäre, dann hätte die Partei seine ja an sich ohnehin für jedermann erkennbaren Talente auch nicht so schrecklich lange brach liegen gelassen. Gut, er war immerhin seit acht Jahren Minister. Aber hatte es nach Schüssel wirklich die Herren Molterer, Pröll und Spindelegger an der Spitze der ÖVP gebraucht, bevor endlich allen klar geworden war, dass es nur einen geben konnte? Einen, der nicht nur das Charisma und das gute Aussehen hatte, um die wankelmütige Bauersfrau ihre Seitensprungtendenzen mit Gigolo HC wieder ad acta legen zu lassen. Sondern auch Führungsqualität. Zug zum Tor. Absoluten Siegeswillen. Ihn.

Und jetzt? Nun ja. Den Willen hätte Reinhold an sich immer noch gehabt. Und er konnte beim Tarockieren immer noch von einer Sekunde auf die andere zum unglaublichen Hulk werden. Allein, wenn er Ähnliches bei ÖVP-Strategiesitzungen versuchte, erzielte er damit eher nicht mehr so den Effekt, den zu erwarten er ja wohl das Naturrecht hatte. Da wurde geschwätzt, ignoriert, ja manchmal ganz ungeniert und offen Insubordination betrieben. Reinhold Lopatka zum Beispiel durchforstete manisch alle Zeitungen auf der Suche nach dem einen Roten, den er in den vergangenen drei Wochen nicht angepinkelt hatte. Wolfgang Sobotka wiederum hing sowieso ständig am Smartphone. Immer, wenn er ein neues SMS bekam, spielte es die ersten vier Töne von Beethovens Schicksalssymphonie. Er war eben nicht nur Musiklehrer, sondern auch Niederösterreicher.

Am Anfang hatte Reinhold ja noch herzlich über das Kind gelacht.

Na ja, und dann war da noch das Kind. Reinhold hatte heute extra ein paar weltbewegende Worte zur Lage der Nation und zum segensreichen Beitrag der ÖVP zu ebendieser vorbereitet. Doch während er sprach, konnte er aus einem Augenwinkel ganz deutlich sehen, dass das Kind einen Taschenspiegel in der Hand hielt und Kameraposen übte. Mal das Profil von links, dann - deutlich länger - von rechts. Dann die Hände nach dem Vorbild der Merkelschen Raute zu einem kleinen Körbchen geformt vor dem Bauch. Und am Ende glaubte Reinhold deutlich zu sehen, dass sich das Kind selbst zuzwinkerte und sich ein kleines Küsschen schickte.

Am Anfang hatte Reinhold ja noch herzlich über das Kind gelacht. Wie es noch im vorletzten Wien-Wahlkampf als Chef der Jungen ÖVP im Geilomobil durch die Stadt gefahren war und das auch noch für irgendwie cool gehalten hatte. Reinhold war zwar, wie jeder anständige Schwarze, auch nie wirklich jung gewesen - aber dass der Coolnessfaktor dieser Aktion in etwa jenem eines gerade abgehenden Nierensteins glich, das war selbst ihm aufgefallen. Und auch als Michael Spindelegger, der in der historischen Betrachtung selbst aus der langen Reihe der Ritter mit den traurigen Gestalten, die die ÖVP im Lauf der Jahrzehnte schon geführt hatten, sofort deshalb herausstach, weil einen alleine sein Anblick garantiert sofort zum Weinen brachte, den Kleinen in die Regierung geholt hatte, war Reinhold nicht gleich bewusst geworden, was das dereinst für schlimme Auswirkungen auf ihn haben würde.

Er war der Chef. Der Reinhold aus dem Mühlviertel. Kantig, hart, unbeugsam.

Doch mittlerweile war leider eines völlig klar: Reinholds Chancen, bei einer Wahl sowohl Christian Kern als auch HC Strache zu schlagen, mochten nicht allzu rosig sein. Seine Chancen, bei dieser Wahl überhaupt antreten zu dürfen, lagen hingegen bei plus/minus null. Ja, es war sogar noch schlimmer: In Wirklichkeit war Reinhold, der an sich sehr Stolze, schon im Moment seiner Kür ein Auslaufmodell gewesen -wegen eines Kindes mit Brotkörbchenhänden und einer großen Goschen. Und alle, alle hatten es sofort gewusst. Nur Reinhold nicht.

Dabei hatte er es ja wirklich drauf. Er hatte Ideen. Klare Vorstellungen darüber, was sich in Österreich ändern musste. Konzepte für Europa. Alles. Er konnte auch ein mitreißender Redner sein, wenn er nicht gerade zu grantig dafür war. Und vielleicht, nein, sicher sogar, war jetzt der Moment, das den Parteifreunden zu beweisen. Es war hoch an der Zeit für ein paar klare, unmissverständliche Worte. Er war schließlich nicht irgendein dahergelaufener Kasperl. Er war der Chef. Der Reinhold aus dem Mühlviertel. Kantig, hart, unbeugsam. Er erhob sich also und sagte:

"Ich möchte außerdem die Gelegenheit nützen und dir, lieber Sebastian, ganz herzlich zu deinem 30. Geburtstag gratulieren. Unglaublich, dass du immer noch so jung bist. Wir sind sehr froh, dass wir dich haben!" Was folgte, war klar: stehende, nicht enden wollende Ovationen. Reinhold schloss die Augen und sog den Jubel tief in sich ein. Schließlich galt er ja wohl ihm.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort