profil-Kolumnist Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz: Red Right Hand

Eine Hausdurchsuchung könnte einen Minister schon ein wenig erschüttern. Aber natürlich nicht einen wie Gernot Blümel.

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In jener Nacht hatte der Finanzminister wieder diesen Traum. Nicht den vom Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er vor Hunderten anderen Kapazundern ans Rednerpult trat, um ihnen seine profunde Einschätzung globaler ökonomischer Entwicklungen nahezubringen – und in der Sekunde mehr Lacher hatte als Farkas und Waldbrunn im gesamten Jahr 1964.

Nein, den anderen Traum. Den voll lässigen. In diesem Traum vergaß Gernot seine immer noch vom Wahlkampf gegen den,  wie niemand bestreiten wird, sehr unangenehmen Gegner Dominik Nepp geschwollene Law-and-Order-Ader – und ließ Wien Chicago werden. Chicago 1930, um genau zu sein. Gernot war nämlich einer von den coolen Jungs in Al Capones Gang – und beileibe nicht irgendeiner.

Denn der Boss brauchte einen geviften Hochfinanzexperten wie Gernot viel dringender als jede halbautomatische Bleispritze. Einen ausgeschlafenen Schlaumeier, der neben dem kleinen Einmaleins aus dem FF auch noch das geheime aus der VP beherrschte. Ein Superhirn, das seine Zahlen – und da natürlich wiederum vor allem die Zahlen, die andere zahlten – immer parat hatte. Auch und vor allem: ohne Laptop parat hatte!

Capone wollte wohl verhindern, dass er zwar mit allen seinen anderen Schweinereien, von denen es ja nun wirklich genügend gab, ungeschoren davonkam, aber dann am Ende vielleicht über eine vergleichsweise völlig läppische Geldsache stolperte. Das hätte gerade noch gefehlt. Das wäre seiner großen Karriere nicht im Geringsten gerecht geworden! Aber jetzt hatte er ja zum Glück den richtigen Mann in seinem Schatten, der niemals zulassen würde, dass so etwas passierte.

Die anderen Jungs in der Gang nannten Gernot wegen der relativ unsubtil vom Boss abgekupferten, rattenscharfen Anzüge und dem schlanken Fuß, den er quasi gewohnheitsmäßig machte, alle nur „Gamaschen-Gernot“. Bis auf den Boss. Der hatte natürlich einen eigenen Namen für ihn.

„Gerngross“, flüsterte der Boss, rau wie gewöhnlich; als Gernot bei ihm angefangen hatte, hatte der Boss ihn in genau diesem Tonfall noch einmal gefragt, ob er sich denn auch wirklich sicher sei („Weißt du, mein Junge: Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“); aber, nachdem er zu seinem Lieblingsschüler sprach, war seine Stimme fast auch schon wieder ein bisschen zärtlich.
 

Er schob sich den Borsalino auf seine unnachahmliche Art hinter die Ohren. „Gerngross, bist du wirklich sicher, dass sich deine Freunde an dich gewandt haben, weil sie meine Hilfe gegen die Italiener brauchen?“ Was sollte die Frage? Selbstverständlich war sich Gernot sicher. „Ja, Boss. Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, dass es dabei um einen Haufen große Scheine geht. Angeblich 60 Mille! Dafür muss ein anständiges Mädchen schon eine Menge schmutzige Wäsche waschen.“

Der Boss nickte bedeutungsschwer, wie es sonst nur Hutablagendackel zuwege bringen. Dann nahm er seinen Karottenstick aus dem Mund – andere kauten auf kalten Virginias herum; der Boss war auch da seiner Zeit weit voraus – und tippte Gernot damit dreimal auf die Brust. „Ich hab da nur ein Problem, Gerngross“, sagte er. „Die Italiener – das sind wir.“ Verdammt! Das war jetzt schon ein bisschen peinlich.

Da hatte Gernot wohl etwas durcheinandergebracht. Und so ein Klartraumseminar machte er jetzt garantiert nie wieder. „Aber mach dir nichts draus“, lachte der Boss dann. „Ist ja nur ein Traum! Erzähl mir lieber von der Spende, die deine Freunde planen. Das gefällt mir! Die machen ihre Kohle mit Glücksspiel? Das gefällt mir auch!  Bin ja selber ein Spieler, wie du dir sicher vorstellen kannst. Und eines kann ich dir sagen: Keiner blufft besser!“ Er ließ ein heiseres Lachen vom Stapel. „Frag doch mal Django. Oder Prinzessin Silverstone.“

Gernot wollte gerade ansetzen, den Boss über das großherzige Angebot seiner Freunde ins Bild zu setzen, als ihn ein plötzliches Geräusch stoppte. Ein dumpfes Pochen. Gernot schaute sich erschrocken um. War da draußen jemand? Waren ihnen etwa die Cops auf die Spur gekommen? Standen da am Ende Elliott Ness und – Gernot flüsterte tonlos den Namen dieser schrecklichen Truppe – „die Unbestechlichen“ vor der Tür? Und der schlimmste Verdacht: Hatte Gernot sie am Ende zum Boss geführt? Wieder das Pochen. Es wurde lauter. Immer lauter. Aber … von dort kam es gar nicht. Jetzt war es schon ein Hämmern und …

Mit einem erstickten Schrei fuhr Gernot aus dem Schlaf, setzte sich im Bett auf und blinzelte irritiert. Er kannte sich nicht aus. Doch da! Schon wieder! Das enervierende, heftige Klopfen – es war nicht in seinem Traum. Es war real. An seiner Tür. Jetzt? Gernot sah auf das Handy, das, wie er jetzt noch nicht wusste, bald nicht mehr seines sein würde. In aller Herrgottsfrühe? Wer konnte das bloß sein?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort