profil-Kolumnist Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz: Innsinn

Dass die Abschottung Tirols zu einer derartigen Erfolgsgeschichte werden würde, hatten selbst die kühnsten Epidemiologen nicht vorhergesehen.

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Schon in den ersten Wochen der Grenzschließung hatte sich herauskristallisiert, dass die Schützen das geringste Problem waren. Aber es hatten ja in Wirklichkeit ohnehin nur die Tiroler selbst geglaubt, dass die irgendwen beeindrucken würden. Tiroler tendierten ja generell dazu, ihren eigenen Legenden am inbrünstigsten selber zu glauben. Aber wenn es hart auf hart kam, war halt mit Männern in kurzen Hosen und lustigen Hüten leider selten ein Blumentopf zu gewinnen. Und jetzt waren diese Clowns zwar natürlich alle bewaffnet – aber tatsächlich war das Einzige, das sie mit ihren Gewehren konnten, einigermaßen tumb synchron in die Luft zu schießen. Allerdings wirklich bemerkenswert synchron, wie selbst die ansonsten recht nüchternen Vorarlberger Heimatschützer in ihren Einsatzberichten immer wieder einmal anmerkten. Und, dass die Tiroler dabei einmal einen Steinadler vom Himmel geholt hätten. Streng geschützt. Als der durchlöcherte Adler zwischen den Felsen eingeschlagen war, hatte es einen Moment betroffener Stille gegeben. Und dann hatte der Tiroler Kommandant gerufen: „Wir haben alles richtig gemacht!“

Ansonsten zeigten sich gerade die Vorarlberger von den Ausbruchsversuchen der Tiroler aber vollkommen unbeeindruckt.  Mit denen war eben nicht zu spaßen, schließlich waren es Vorarlberger, die wussten noch nie, wie man Spaß schreibt. Und darum hatten sie auch den Arlbergtunnel völlig humorlos bis zur Decke mit geschmolzenem Raclette-Käse geflutet und verstopft. Wobei: So humorlos war das ja dann eigentlich auch wieder nicht. Und auch die EU hatte einmal, dieses eine Mal Weitblick bewiesen, denn wer hätte schon gedacht, dass sich die hochsubventionierte Milchüberproduktion ausgerechnet in der Pandemiebekämpfung auszahlen würde?

Somit blieben den Tirolern nach links nur mehr drei Alpenpässe als mögliche Fluchtrouten. Da die Straßen aber klarerweise durch Felssprengungen blockiert waren, hätten sie über die Berge gemusst. Und das ging ja nicht. Weil, bis die die Seilbahn fertig hatten, war die Krise hoffentlich schon lange vorbei. Und eine andere Möglichkeit, auf einen Berg zu kommen, sah der moderne Tiroler ja schon längst nicht mehr.

Das war der eine Grund, warum die Skilehrer nicht zum Einsatz kamen. Der andere war, dass die eindeutig mehr für den Kampf im Untergrund  an der Heimatfront zuständig gewesen wären – im Fall einer Besetzung Tirols. Also leider des genauen Gegenteils von jetzt. Biologische Kriegsführung mittels Verteilung von Chlamydien an möglichst viele weibliche Besatzerinnen aus fremden Ländern war im Moment leider nicht so gefragt. Also gingen den Tirolern bald ihre Möglichkeiten aus, den Cordon sanitaire zu durchbrechen und endlich wieder einmal in ein unheiligeres Land ausreisen zu können. Egal in welches. Hauptsache raus.

Aber Deutsche und Italiener hatten natürlich sofort eine Mauer hochgezogen, mit der Donald Trump Präsident auf Lebenszeit geworden wäre. Und innerösterreichisch sah es auch schlecht aus, bei Vorarlbergern wie auch Salzburgern. Bei Letzteren hatte man zu Beginn am ehesten befürchtet, dass sie die Schwachstelle sein könnten. Aber nachdem Landeshauptmann Günther Platter seinem Salzburger Kollegen und Parteifreund Wilfried Haslauer gedroht hatte, er solle jetzt sofort die Grenzen öffnen, widrigenfalls er ihn bei der nächsten Landeshauptleutekonferenz mit dem Portier verwechseln werde, war auch hier der Ofen aus,

Weil ja schließlich auch keiner so wirklich verstand, warum die Tiroler so ein Theater darum machten, eine Weile nicht nur politisch Nordkorea zu sein, sondern auch reisetechnisch. Jahrzehntelang hatten sie so getan, als lebten sie im Himmel auf Erden, den man unbedingt besuchen musste, koste es, was es wolle. Wirklich alles hatten sie dafür getan, möglichst viele Fremde möglichst lang im Land zu halten – und jetzt, wo sie selber einmal dortbleiben sollten, war das plötzlich so ein Riesenproblem? Ein dermaßen großes, dass die Liftkaiser, diese von der Krise am allerhärtesten getroffenen Ärmsten der Armen, in Schlangen vor den verbarrikadierten Grenzübergängen standen und darum bettelten, aus humanitären Gründen rausgelassen zu werden?

Als sie mit ihrer Argumentation, ein Verzicht auf Golfurlaube in einem Land mit Sonne, einem interessanten Preis-Leistungs-Verhältnis im obersten Segment und der jeweils neuesten Covid-Mutation verstoße gegen die Menschenrechtskonvention, kein Gehör fanden, zogen sie ihre ultimative Waffe: Sie bewarfen die Grenzschützer hinter den Befestigungswällen auf der anderen Seite mit Geld, wollten dann durch – mussten aber vollkommen konsterniert feststellen, dass sie damit keinen Erfolg hatten. Die anderen interessierten sich nicht für das Geld.

So etwas kannten die Tiroler natürlich nicht. Und so kam auch diese Offensive zum Erliegen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort