Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Schwarz. Wild.

Schwarz. Wild.

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Michael hatte schon in der Früh gewusst, dass dieser Tag wieder einmal und ganz entschieden sein Tag werden würde. Dennoch hatte er sich sicherheitshalber noch einmal mit allen Wassern gewaschen. Mit dem, das er von der Wallfahrt nach Lourdes mitgebracht hatte, hatte er sogar gegurgelt. Und als er dann vor dem Badezimmerspiegel noch einmal kurz die Rede geprobt hatte, nach der heute Abend in seiner Partei endgültig jeder wissen musste, wer denn hier verdammt noch einmal der Chef war, da war ihm mit einem Mal aufgefallen, dass er in der Heldenpose der kantigen Unnachgiebigkeit an eine gefeierte historische Figur erinnerte: an Loriots Herrn Müller-Lüdenscheid natürlich.

Nach dieser Erkenntnis, die ihm endgültig alle Zweifel an sich selber raubte, hatte Michael seinem Spiegelbild provokant zugezwinkert und ihm dann kalt beschieden: „Die Ente bleibt draußen!“

Er fühlte sich gut. Und er war zu allem entschlossen.

Und dementsprechend verlief dann auch die Sitzung. Alle waren sie gekommen, die Landeshauptleute, die Chefs der Bünde, und alle hingen sie gespannt an seinen Lippen, denn alle wollten wissen, was er, der große Vorsitzende, entschieden hatte. Würde er wirklich Mitzi „First speak – then think!“ Fekter aus dem Finanzministerium werfen und sie auf Karlheinz Kopfs Klubobmannsessel setzen? Würde er Kopf wiederum großherzig das Amt des Zweiten Nationalratspräsidenten schenken – nachdem er es dem vor Angst jetzt schon schlotternden Fritz Neugebauer entzogen hatte? Die Spannung war zum Greifen, als Michael ans Rednerpult trat. Und was er sagte, ließ erwartungsgemäß den Raum erbeben:
„Nun ja!“

Wie Michael es aufgrund seines ausgeprägten politischen Gespürs natürlich vorausgeahnt hatte, zeigte Fritz Neugebauer angesichts der geharnischten Demonstration von unbeeindruckbarer Führungsstärke als Erster Wirkung. Fritz ließ sich gerade, weil er ja sonst bei seinem Terminkalender nie dazukam, von einer kürzlich pragmatisierten Sachbearbeiterin die Nägel maniküren – und er zog deutlich merkbar eine Augenbraue hoch. Und dann sagte er – und Michael hörte genau, wie seine Stimme dabei zitterte, wie ein achtlos weggeworfener Ärmelschoner im Frühlingswind: „Und sonst geht’s dir gut?“

Dass er sich anschließend wieder der vor ihm Knienden zuwandte und sagte: „Am kleinen Finger links, Pupperl. Da hab i eine ganz böse Nagelwurzen!“, deutete Michael völlig richtig als Ausdruck seiner inneren Zerrissenheit und galoppierenden Unsicherheit in der Konfrontation mit ­einem ihm in jeder Beziehung überlegenen politischen ­Gegner.

Auch der Vorarlberger Landeshauptmann, dessen Namen sich Michael nie merken konnte, obwohl er ihm durchaus zugestehen musste, dass er über ein ähnlich ausgeprägtes Charisma wie Michael selbst verfügte, dem es allerdings schon allein aufgrund seines mangelnden Rückhalts in
der Partei (Wie viele Einwohner hatte denn Vorarlberg schon? Und wie viele St. Pölten? Eben.) unmöglich war, Michael ein Duell auf Augenhöhe zu liefern, knickte sofort ein. Auch das hatte Michael klarerweise längst vorher antizipiert. Dennoch hätte er lügen müssen, wenn er behauptet hätte, dass ihm die Kapitulationserklärung des Westaußens nicht wie Öl runtergegangen wäre. Denn auch, wenn Michael das, was dort für Deutsch gehalten wurde, nicht rückhaltlos verstand, hörte es sich doch ziemlich deprimiert an: „Karlheinz Kopf merkebrü hüt i a winzeklee uit. Xi.“

Michael machte im Geist eine weitere Kerbe in den Schaft seiner Winchester und wandte sein grimmiges Lee-Marvin-Gesicht dem letzten Gegner zu. Denn jetzt blieb nur noch der Wirtschaftsbund, der die Fekter Mitzi, eine der Seinen, im Finanzministerium belassen wollte, aber klarerweise gegen die Naturgewalt aus der Hinterbrühl auf vollkommen verlorenem Posten stand. Hilflos murmelte Christoph Leitl: „Es hat da eine Überlegung gegeben, von der wurde nichts gehalten. Sie war aber auch gar nicht spruchreif. Wenn dieser Vorschlag gekommen wäre, hätte ich meine Bedenken schon zum Ausdruck gebracht.“

Michael überlegte kurz, ob er dazu etwas sagen sollte. Aber es widersprach seinem Naturell, gegen einen ohnehin schon am Boden liegenden Gegner auch noch nachzu­treten.

Damit war die Sache also klar. Das Match um die Regierungsumbildung war genau so ausgegangen, wie es nun wirklich jeder, der die ÖVP und ihren Zug zum Eigentor kannte, erwarten hatte dürfen.
Also trat am Ende dieses langen Tages der in seiner Position so was von gestärkte Triumphator Michael Spindelegger vor die Presse und sagte in seinem sanft schnurrenden Brustton, der nun wirklich jeden zwischen Rhein und March überzeugte: „Ich tue nur dann etwas, wenn ich es persönlich will, und nicht, wenn man mich zu etwas auffordert!“

Von rechts hinten schaute ihm Christoph Leitl über die Schulter und unterstrich die Aussagen seines in seiner vollen Autorität bestätigten Parteichefs mit einem kleinlauten: „Er bemüht sich sehr!“
Die Wahl konnte kommen. Die ÖVP war wieder einmal bereit.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort