Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Sieg der Gerechtigkeit

Sieg der Gerechtigkeit

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Der Herr Graf waren heute blendend aufgelegt. Er konnte zwar nicht leugnen, dass er – an sich ja in jeder Hinsicht einer der hervorragendsten Beweise dafür, dass es ein furchtbarer Fehler gewesen war, dem österreichischen Adel seine gottgegebenen Vorrechte zu entziehen – nach den schlimmen Strapazen, die seine Geschäftsreise mit sich gebracht hatte, Friedrich dem Schönen schon einmal ähnlicher gesehen hatte. Auch war weder sein Hemdkragen gestärkt noch der Gehrock gebügelt, und die Galoschen waren noch von der Fuchsjagd vor drei Wochen blutig – nur, weil er überraschend etwas früher zurückgekehrt war.
Aber nicht einmal die sich daraus unweigerlich ergebende Notwendigkeit, das gesamte Gesinde austauschen und sich wieder einmal an völlig neue, selbstredend ebenso überbezahlte wie unterqualifizierte Gesichter gewöhnen zu müssen, konnte seine Laune trüben.

Sein Trip nach Schweden war schließlich ein voller Erfolg gewesen. 17 Tage Untersuchungshaft – da würde die Kassa ja wieder ganz ordentlich klingeln. Da konnte man die Heizung in Dalnaglar Castle im Schottischen durchaus wieder ein bisschen höher drehen.
Graf Ali, den seine zahllosen besten Freunde ganz zwanglos Mensdorff-Pouilly nennen durften, scheuchte die Fußpflegerin mit einer nahezu freundlichen Handbewegung zu dieser unangenehmen Druckstelle an der linken Ferse, die ihm die an sich durchaus erquickenden Rundgänge im Gefängnishof in Uppsala doch ein wenig verleidet hatte.
Dann schloss er die Augen und dachte daran, wie alles angefangen hatte.

Er musste einräumen, dass er selbst mit seinem phänomenalen Weitblick, der ihm all seine guten und auch aus dem Blickwinkel der von ihm überaus geschätzten katholischen Morallehre vollkommen astreinen Geschäfte überhaupt erst ermöglicht hatte, nach seiner ersten Untersuchungshaft das sich ihm bietende neue Geschäftsfeld nicht gleich erkannt hatte. Und im Nachhinein betrachtet war es ja auch ungeheuer schade, dass er diese fünf Wochen in einem unterentwickelten Rechtssystem wie Österreich im Knast zubringen hatte müssen, wo die Haftentschädigung nicht einmal für einen in seinen besonderen Menschenrechten tief verletzten Aristokraten mehr als beleidigende 100 Euro pro Tag beträgt.

Aber auch als er dann ein Jahr später eine Woche im ­britischen Kerker zubringen musste, war ihm nicht sofort klar geworden, was das jetzt bedeutete. Zuerst musste er schließlich Haftbedingungen gewärtigen, wie sie in Guantanamo nicht schrecklicher sein konnten. Dass er damals ohne passende Unterwäsche einsaß, hatte vor allem seine Mitzi gestört, die sich bei den Besuchen von der knisternden Atmosphäre unter all diesen schlimmen Jungs doch einigermaßen erotisiert gezeigt hatte. Aber das Fehlen eines Kamms und eines ungebrauchten Einwegrasierers hätte ihn, der er bei seinen Jagdkameraden als besonders harter Hund bekannt war, der am Hochstand höchst selten nach einem Polstersitzmöbel verlangte, beinahe unstandesgemäß um Gnade winseln lassen.
Aber zum Glück bewies ja dann sein Auftraggeber British Aerospace mit einer Strafzahlung von nur 321 Millionen Euro hurtig Alis strahlend weiße Unschuld in sämtlichen Rüstungsdeals, in denen er seine hochwohlgeborenen Finger dringehabt hatte.

Als ihm diese Woche in London dann aber zusätzlich zur auch nicht gerade schlampigen Provision, die er von BAE kassiert hatte, noch einmal 430.000 Euro als Entschädigung für die völlig ungerechtfertigte Haft einbrachte, ging ihm ein Licht auf. Und er reiste seither nur in Länder, in denen sein Anwalt vorher anonyme Anzeigen gegen ihn eingebracht hatte.
Im kleinen Kreis nannte er das Ganze gern scherzhaft seine „Jailhouse-Bock-Tour“.

Au! Jetzt hatte ihm dieser Trampel von Fußpflegerin schon wieder wehgetan! Da war ja sein Zellengenosse in Prag, den er allerdings wirklich fürstlich für die Fußmassage bezahlt hatte, talentierter gewesen. Obwohl er an sich nur Erfahrung in Nasenmassagen mit geschlossener Faust aufzuweisen gehabt hatte – aber schließlich hat man nicht überall eine unbegrenzte Auswahl an Personal.

Das System war idiotensicher. Ali ließ sich, meist schon am Flughafen, widerstandslos festnehmen und dann nach ein, zwei Wochen seinen jeweiligen Auftraggebern über seinen Anwalt eine rührselige Geschichte zukommen, wie schlecht es ihm in der Haft nicht gehe und dass es sein könne, dass er unter diesen Umständen bald auspacken müsse. Und schon löhnten die und Ali war wieder draußen und sein Anwalt setzte schon den Schriftsatz für die Haftentschädigungsforderung auf.
Die gefeuerte Fußpflegerin verließ heulend den Raum. Wenn Ali etwas hasste, dann Unprofessionalität. Und er legte diesen hohen Maßstab ja schließlich auch bei sich selbst an. Nächsten Monat war übrigens die Schweiz dran. Aber vorher musste er sich wirklich noch ein wenig erholen. Denn wie hatte seine Mitzi, als sie ihm in Uppsala eine Sachertorte durch die Gitterstäbe schob, so treffend gesagt: „Ali, echt jetzt! Du arbeitest zu viel!“

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort