Satire

Vilimskys Schatten

Die FPÖ will also den „EU-Wahnsinn“ beenden. Klingt ja fast nach erfolgreicher Selbstdiagnose und erstem Schritt zur Heilung.

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Wären die Zeiten bessere, müsste man eher keine Lebenszeit dafür verwenden, sich TV-Duelle unter freundlichster Mitwirkung von Harald Vilimsky anzusehen. Aber wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen bekanntlich selbst Vilimskys lange Schatten – und sei es nur aufs Gemüt des alphabetisierten Teils der Bevölkerung. Der FPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl benimmt sich in diesen Debatten total milieutypisch, krakeelt und flegelt also weitgehend sinnentleert herum, damit wird schließlich auch in jedem Bierzelt, also der Keimzelle des Staates, den sie meinen, kurz vor der Sperrstunde beeindruckende Problemlösungskompetenz signalisiert.

Aber, wie soll man sagen: Wenn dir ein Mann, der sich in einem intellektuellen und charakterlichen Dauerzustand wie jenem von Harald Vilimsky befindet, im Fernsehen mit Scheibenwischergesten gegenübertritt und dir empfiehlt, dass du dich tunlichst therapieren lassen solltest, ist das ungefähr so, als sagte Quasimodo zu Esmeralda: „Oide, du bist schiach wie der Zins!“ (Ich weiß, das war jetzt ein langer und keineswegs einfacher Satz, Harald. Der Herbert soll ihn dir einfach noch einmal vorlesen.)

Wobei, die Klammerbemerkung war jetzt natürlich ungerecht. Denn Harald spricht nämlich zum Ausgleich für etwaige andere Insuffizienzen perfekt Emoji, also die Sprache der Dichter und Denker. Und für besagte Insuffizienzen kann er ja nicht einmal was, könnten diese doch durchaus auch damit zu tun haben, dass er die Folgen seines einstigen aufsehenerregenden Selbstversuches, sich mittels eines Tasers flachlegen zu lassen – weil er ja sonst diese Erfahrung selbst mit dem jetzigen, voll coolen „Tim und Struppi“-Haarimplantat niemals gemacht hätte –, noch nicht vollends überwunden hat.

Und eines ist ja wohl hoffentlich auch klar: Wer auf selbst für eine Verhaltensauffälligen-Selbsthilfegruppe wie die FPÖ mittelschwer entgleisten Plakaten in düsterer Kohlezeichnung Wolodymyr Selenskyj und Ursula von der Leyen als „Kriegstreiber“ bezeichnet, der muss klarerweise im Gegensatz zu allen anderen bei vollster geistiger Gesundheit sein. Möglicherweise ist er das ja sogar wirklich, man soll das von vornherein nicht gänzlich ausschließen. Aber dann lügt er halt einfach nur. Weil’s wurscht ist. In der FPÖ-eigenen Definition von „Anstand“ ist das schließlich der wichtigste Mosaikstein, darin unterscheidet sie sich nicht von jenem Psychopathen, der trotz eines astreinen Putschversuchs mit fünf Toten tatsächlich beste Chancen hat, ein weiteres Mal die Codes für das größte Atomwaffenarsenal der Welt in die Hand gedrückt zu bekommen. Selbstverständlich hat zum Beispiel Herbert Kickl in der Corona-Krise nicht eine Sekunde daran geglaubt, dass ein Pferdeentwurmungsmittel wirklich hilft. Es war ihm nur ganz offensichtlich vollkommen egal, was möglicherweise mit seinen Jüngern passiert, nachdem er es ihnen erfolgreich eingeredet hat. Zielgruppenpflege der anderen Art halt.

Bei den an die unschuldigen Anfänge der Zivilisation gemahnenden Manieren, die die Blauen gewohnheitsmäßig an den Tag legen, fragt man sich auch, wie sich FPÖler zum Beispiel gegenseitig begrüßen. Also einmal abgesehen von diversen Handzeichen, deren guter Leumund leider durch entmenschten linkslinken Revanchismus vollkommen ungerechterweise beschädigt wurde, deren Gebrauch sich aber freie Bürger selbst im jetzigen Unrechtssystem sicher nicht untersagen lassen. Zumindest, wenn keine verabscheuungswürdigen Blockwarte und Vernaderer dabei zusehen. Möglicherweise gilt es ja in diesen Kreisen als Zeichen höchster Wertschätzung und Höflichkeit, wenn man dem Gegenüber gleich zu Beginn einmal fröhlich ins Gesicht schlatzt. Beziehungsweise in jene amorphe Masse, die einige mit höchster Tapferkeit ausgefochtene Mensuren davon übrig gelassen haben. Dass es diese Begrüßungsformel dort tatsächlich gibt, kann nicht ausgeschlossen werden, über die Gewohnheiten in anderen obskuren Sekten weiß man schließlich auch nicht alles. Und zum Speichel als solchem hat die FPÖ ja generell ein sehr entspanntes Verhältnis, steht doch jener, den Wladimir Putin absondert, in der blauen Nahrungsmittelpyramide unangefochten auf Platz 1. Dann kommt lange nichts. Und dann ein Stamperl Desinfektionsmittel, vor allem nach einem schweren, also zum Beispiel schweinsschnitzellosen Essen.

Dennoch muss man Vilimsky für seine Mission, die EU endlich im Sinne seiner weitblickenden Reformpartei zu verändern, natürlich die Daumen drücken. Denn wenn erst einmal überall in Europa ebenso untadelige wie uneigennützige Patrioten an der Macht sind, Herbert Kickl also Wladimirs Statt-, Steigbügel- und Sockenhalter im westsowjetischen Oblast Ostmark ist und endlich die wichtigsten Probleme angehen kann – zu bunte Zebrastreifen, zu geringer CO2-Ausstoß und zu freie Wahlen –, dann wird ja garantiert alles gut.

Wie? Sie bezweifeln das? Sagen Sie, wie geht’s Ihnen überhaupt? Schon einmal an eine Therapie gedacht?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort