Reinste Lehre

Andi Babler wird bei einer Nationalratswahl vielleicht nicht die meisten Stimmen bekommen. Aber dafür die richtigen!

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Heute war also der große Tag. Heute würde die viel zitierte linke Reichshälfte – deren persönlicher Bruch mit der harten Wirklichkeit allerdings zu einer etwas größeren Zahl im Nenner geführt hatte als bei ½ – endlich bekommen, was sie so dringend herbeigesehnt hatte: Andi Bablers Siegerinterview am Abend der Nationalratswahl. Der lange Marsch, der mit dem Triumph bei der SPÖ-Mitgliederbefragung begonnen hatte, war zu Ende. Sie waren am Ziel.

Babler wäre nicht Andi gewesen, hätte er nicht auch an diesem Tag den Kontakt mit seiner Basis gesucht. Er ging den Weg ins Wahlstudio des ORF zu Fuß, immer wieder hielt ihn die Basis in Person seiner treuesten Unterstützer auf, um ihm und sich auf die Schulter zu klopfen. So absehbar dieser rauschende Erfolg einerseits gewesen sein mochte, so sehr freuten sich jetzt dennoch alle ausgelassen. Seinetwegen waren sie damals in hellen Scharen in die vorher komatös dahindämmernde Partei eingetreten. Selbst in den entlegensten Winkeln des Landes hatten Revolutionäre fiebrig ihre Online-Formulare ausgefüllt, ob nun auf einer Dachterrasse innerhalb des Gürtels oder in der revitalisierten Zeitwohnsitzmühle im Waldviertel. Weil sie spürten, dass hier einer war, der endlich einmal denen eine starke Stimme geben würde, die sonst keine hatten: ihnen.  Sie hatten sogar für einen Moment tapfer beiseitegeschoben, dass sie eigentlich meistens Grünwähler waren und das wohl auch bleiben wollten. Doch dieses eine Stück des Weges wollten sie unbedingt mit der SPÖ gehen, galt es doch schließlich, die Partei uneigennützig vor einem gar schrecklichen Rechtsruck zu erretten und sie endlich glaubhaft in Richtung einer rot-grünen Koalition auszurichten – und sei es durch Fusionierung. 

Andi selbst hatte ja schon damals, in den Anfangstagen ihrer neuen machtvollen Graswurzelbewegung, die Richtung vorgegeben und sehr deutlichgemacht, worauf es wirklich ankam. Schon bei der Präsentation seines Programms für ein rotes Schlaraffia hatte er davon geträumt, dass es wieder so werden möge wie in den 1970er-Jahren. Das ging natürlich bei den Entrechteten runter wie Öl. Kreisky, verstaatlichte Industrie – und dazu noch Vintage-Glockenhosen. Wie cool! 

Dazu eine Millionärssteuer, mit der endlich eine wirklich soziale Politik betrieben werden konnte, also ein Universalpreisdeckel auf alles, gegenfinanziert durch die zahllosen Superreichen war das kein Problem, da reichte locker Kitzbühel, das hatte sicherlich irgendwer, äh, nachgerechnet. Auch gegen eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich konnte schon allein der Work-Life-Balance wegen wohl wirklich niemand etwas haben. Und da es ja im Moment in ganz vielen Branchen ohnehin ein krasses Überangebot an Fachkräften gab, würde es sicherlich auch ein leichtes sein, eventuell irgendwo übrig gebliebene Arbeitsstunden an andere freudig zupackende  Interessenten zu verteilen. 

Aber vor allem hatte Andi mit einem Satz ihr Herz gewonnen. Er klang zwar ein wenig nach einem sehr frühzeitigen Warnen vor allzu hohen Erwartungen prozentueller Natur bei einer Nationalratswahl – war aber in Wirklichkeit selbstverständlich nur Ausdruck des Reinheitsgebotes, das die SPÖ in Zeiten wie  diesen ganz dringend brauchte: „Wir sind kein Wahlbewegungsverein, der eine Wahl gewinnen muss – wir müssen Sozialdemokratinnen sein!“ Genau. Die Entscheidung zwischen Haben und Sein ist eine leichte. Weil: Die SPÖ und eine Wahl gewinnen? Wozu das denn bitte? 

Bezogen hatte Babler das vor allem auf den möglicherweise umstrittensten Punkt seines Programms, nämlich seine sehr offenherzige Position in Migrations- und Staatsbürgerschaftsfragen, von der damals befürchtet worden war, sie könnte in Österreich gelinde gesagt eher nicht mit großem Vorsprung mehrheitsfähig sein. 

Aber daran konnte das Ergebnis des heutigen Wahltages einfach nicht gelegen haben. An allem, aber nur nicht an dem. Das … musste man einfach noch genauer untersuchen.
Und eines musste man schon auch sagen: Selbst als der Andi, während noch der Kickl interviewt wurde, die Gratulationen von Werner Kogler entgegennahm, den er im Rennen der auch noch an den Start Gegangenen nun wirklich souverän auf Distanz gehalten hatte, blieb er so bescheiden wie immer. Er würde diesen großen Sieg später gebührend feiern. 
Denn es war sehr wohl einer. Die SPÖ mochte zwar von einer Regierungsbeteiligung so weit entfernt sein wie noch nie zuvor, weil sie halt leider nicht von den meisten Leuten gewählt worden ist. Bei Licht besehen nicht einmal von den zweitmeisten. Aber dafür: von den richtigen. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort