Robert Treichler: Bart Whitaker darf leben

Ein spektakulärer Fall lässt das Ende der Todesstrafe in den USA näher rücken.

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Vergangenen Donnerstag um 18 Uhr Ortszeit hätte Bart Whitaker, 38, in Huntsville, Texas, getötet werden sollen. Er war wegen Mordes zum Tod verurteilt worden. Dann geschah so etwas wie ein Wunder.

Weniger als eine Stunde vor der Vollstreckung gab der Gouverneur des Bundesstaates, Greg Abbott, bekannt, dass er die Todesstrafe in lebenslange Haft umwandle. Der Republikaner beeilte sich hinzuzufügen, dass er bestimmt kein Gegner von Hinrichtungen sei: „In knapp mehr als drei Jahren als Gouverneur habe ich 30 Exekutionen gebilligt. Ich habe bisher keine einzige Umwandlung einer Todesstrafe gestattet.“ Abbott, auch innerhalb der Republikanischen Partei ein Hardliner, kandidiert im Herbst dieses Jahres neuerlich als Gouverneur. Die Entscheidung muss ihm schwer gefallen sein. Was hatte den erbitterten Anhänger der Todesstrafe zu dem Gnadenakt bewogen?

Das Verbrechen geschah am 10. Dezember 2003. Die Familie Whitaker – Vater Kent, Mutter Patricia, die Brüder Kevin und Bart – kamen von einem Restaurantbesuch nach Hause. Dort stießen sie auf einen maskierten Mann, der sofort das Feuer eröffnete. Kevin und seine Mutter wurden tödlich getroffen, Vater Kent überlebte schwer verletzt. Bart erlitt nur eine Schussverletzung am Arm.

Die Ermittlungen förderten Ungereimtheiten zutage, der vermeintliche Raubmord erwies sich als vorgetäuscht. Der Verdacht fiel auf Bart Whitaker, 23, einen verkrachten Studenten. Er lebte nach der Tat mit seinem genesenen Vater zusammen. Schließlich wurde seine Schuld bewiesen. Bart hatte einen Auftragsmörder und einen Fahrer für die Flucht angeheuert, das Motiv war laut Anklage eine Erbschaft, die sich Bart Whitaker von seinen wohlhabenden Eltern erhofft haben soll. Der Killer legte ein Geständnis ab und bekam lebenslang, Bart wurde als Anstifter zum Tod verurteilt.

Doch Kent Whitaker, der durch das Komplott seines Sohnes fast das Leben verloren hatte, wollte sich diesem Schicksal nicht fügen. Bart war der Letzte aus seiner unmittelbaren Familie, den er noch hatte – auch wenn er ein Mörder war. Der überzeugte Christ vergab seinem Sohn und beschloss, um dessen Leben zu kämpfen.

Alle Anträge wurden abgelehnt. Am Ende blieb nur noch ein Gnadengesuch an das Texas Board of Pardons and Paroles, das Gremium, das über Begnadigungen und Bewährungen entscheidet. Es hatte in der Vergangenheit noch nie wegen der formellen Bitte eines Angehörigen des zu Exekutierenden Gnade befürwortet. Doch Kent Whitaker argumentierte, er habe als einziges überlebendes Opfer das Recht, dass sein Wunsch in die Entscheidung einfließe. Seine Hoffnung war nicht sehr groß; das Panel besteht aus sieben Personen, allesamt Befürworter der Todesstrafe. Am Dienstag vergangener Woche gab das Texas Board of Pardons and Paroles seine Entscheidung bekannt: 7:0 für die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft. Am Donnerstagabend schließlich erfolgte die endgültige Rettung durch den Gouverneur. Bart Whitaker darf weiterleben.

Und dieses Wunder hat sich ausgerechnet in Texas ereignet, dem Bundesstaat, der die Statistik der Exekutionen in den USA anführt. Ist das mehr als ein Einzelfall?

Die Zahl der Hinrichtungen ist in den vergangenen Jahren stark gesunken.

Ja. Die Zahl der Hinrichtungen ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Im Jahr 2016 waren es 20, im vergangenen Jahr 23; noch in den Nullerjahren dieses Jahrhunderts waren es vier Mal so viele gewesen. Das wiederum korreliert mit einem Wandel in der Meinung der Bevölkerung: Nur noch 49 Prozent der US-Amerikaner befürworten die Todesstrafe, 1995 waren es 80 Prozent.

Die Geschichte zeigt, dass spektakuläre Prozesse das Ende der Todesstrafe beschleunigen können. In Großbritannien war es etwa der Fall Ruth Ellis – eine zweifache Mutter, die ihren Freund ermordet hatte. Sie war jung, schön und sympathisch, ihr Opfer war gewalttätig gewesen, die Presse liebte sie. Am 13. Juli 1955 wurde sie als letzte Frau in Großbritannien gehenkt. In Frankreich geriet das Verfahren gegen den jungen Kindermörder Patrick Henry 1977 zu einem finalen Prozess über die Todesstrafe. Verteidiger Robert Badinter, der spätere Justizminister, wandte sich an die Geschworenen und hielt ihnen den Tag der Hinrichtung vor Augen: „Wenn Sie beschließen, Patrick Henry zu töten, werde ich jeden Einzelnen von Ihnen im Morgengrauen sehen. Und ich werde mir sagen, dass Sie es sind, Sie allein, die entschieden haben.“

Es waren keine Justizirrtümer, die der Todesstrafe ein Ende bereiteten. Ruth Ellis war ebenso schuldig wie Patrick Henry. Je mehr die Öffentlichkeit in den Bann dieser Fälle gezogen wurde, umso mehr beschäftigte sie sich mit der Person, der eine Exekution drohte. Musste die zweifache Mutter sterben? Hätte man den 22-jährigen Patrick Henry töten sollen? Und: Wem hätte der Tod von Bart Whitaker geholfen? Eindringliche Worte von Robert Badinter, einem humanistischen Sozialisten, und Kent Whitaker, einem gläubigen Christen, entfalten Wirkung.

Noch ist die Todesstrafe in den USA nicht überwunden. Am selben Tag, als Bart Whitaker Gnade fand, wurde Eric Branch in Florida mittels Giftspritze hingerichtet. Den drei Männern, die ihn töteten, schrie er entgegen: „Mörder!“

Die USA warten auf einen weiteren Kent Whitaker oder einen Robert Badinter. Es ist dringend.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur