Robert Treichler: Ok, Boomerang!

Robert Treichler: Ok, Boomerang!

Über 50 oder unter 30: Wer hat recht im Generationenkonflikt?

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Hört mal her, 1990er und noch Jüngere! Hier spricht ein Vertreter der uralten, privilegierten, mächtigen und heillos uneinsichtigen Generation der sogenannten geburtenstarken Jahrgänge 1955–1969, vulgo: Baby-Boomer, oder kurz: Boomer. Wir sind die, denen ihr vorwerft, die Welt seit jeher schamlos für unsere egoistischen Zwecke zu missbrauchen und so nebenbei mittels CO2 für immer zu ruinieren. Seit Kurzem habt ihr eine Art Schlachtruf, um uns lächerlich zu machen: „Ok, Boomer!“ Soll in etwa heißen: „Spar dir den Atem, Alter, du kapierst es nicht.“

Die Phrase gilt im herrschenden Kontext der viralen Instant-Gekränktheit als „altersdiskriminierend“, aber das ist lächerlich. Wie soll eine junge Generation die vorhergehende beflegeln, ohne auf deren peinlich hohes Alter hinzuweisen? „Ok, Boomer“ ist das neue „Trau keinem über 30“, und beides ist so unausweichlich wie die Erdrotation – oder, für die Jüngeren: Wie ein Selfie bei Sonnenuntergang. Prinzipiell.

Bloß: Worauf ist die junge Generation so sauer? Hat sie recht? Wie schlimm waren und sind wir Boomer?

Jeder weiß, was uns trennt: der Kampf gegen den Klimawandel

Im generationenübergreifenden Vergleich schneiden wir gar nicht so schlecht ab. Abgesehen davon, dass wir keinen Weltkrieg angezettelt haben, können wir einiges an Leistungen vorweisen: global die niedrigste Rate an Unterernährung, die größte Verbreitung der Demokratie, die höchste Umverteilung, die ausgeprägtesten Minderheiten-Rechte und die kleinste Geschlechterungleichheit der Geschichte …

Doch die Liste der Wohltaten nützt nichts, denn es hat sich eine Kluft zwischen uns Boomern und den jungen Generationen Y und Z aufgetan, und jeder weiß, was uns trennt: der Kampf gegen den Klimawandel. „Wir werden erwachsen, und uns wird klar, dass die Generationen vor uns beschlossen haben, unseren Planeten zu versauen“, formuliert es die 30 Jahre alte US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez.

Die Generation, die derzeit noch an der Macht ist, hat das Problem erkannt.

In Deutschland spricht Rezo, Musiker und YouTube-Comedy-Star mit blau gefärbten Haaren, Jahrgang 1992, für die unzufriedene Jugend. Seit er im Mai dieses Jahres in einem Video CDU und SPD angepflaumt hat, schreibt der „Rezoluzzer“ (©„Der Spiegel“) eine Kolumne auf „Zeit.de“. Darin attestiert er uns Boomern „überproportionale Macht“, gepaart mit „fehlenden Kompetenzen“ und fehlendem „Willen für nachhaltige Politik“.

Boomer-Eltern posten Fotos

Die jungen Leute tun das Richtige. Sie werden politisch mündig, stellen ein – global bedrohliches – Problem fest und benennen die Schuldigen: die bisher Verantwortlichen. Das sind in ihren Augen zu einem großen Teil wir Boomer. Allerdings übersehen sie etwas Wesentliches: Die Generation, die derzeit noch an der Macht ist, hat das Problem erkannt. Während die 68er mit ihren Forderungen nach einer Demokratisierung der Gesellschaft und der Aufarbeitung der Schuld am Zweiten Weltkrieg (in Deutschland und Österreich) beziehungsweise am Vietnamkrieg (in den USA) auf starken Widerstand der Nachkriegsgeneration stießen, stimmen weite Teile der Boomer darin überein, dass es dringend eine Lösung für den Klimawandel braucht.

Boomer-Eltern schreiben ihren Kindern eilfertig Entschuldigungen, wenn die Kleinen wegen einer Fridays-for-Future-Demonstration den Unterricht versäumen, und posten stolz Fotos der Kleinen mit ihren Transparenten. Die Behörden genehmigen selbstverständlich jede Demonstration. Repression? Keine. Die Klimaschutz-Galionsfigur Greta Thunberg wird von einem Regierungschef zum nächsten Staatspräsidenten gereicht (altersmäßig Boomer oder darüber). Die Grün-Parteien sind eine Erfindung der Boomer-Generation. Und die Klimakonferenz in Madrid Anfang Dezember ist bereits die 25. derartige Zusammenkunft.

Was die Kluft zwischen den Generationen so unüberwindlich erscheinen lässt, ist die Ungeduld, mit der die Jungen tiefgreifende Veränderungen erwarten.

Zwar gibt es Klimawandelleugner und Thunberg-Hasser, aber dergleichen bleibt bei keinem politischen Thema aus. Dass es im Falle Thunbergs ein adoleszentes Mädchen trifft, ist allerdings besonders verachtenswert.

Was die Kluft zwischen den Generationen so unüberwindlich erscheinen lässt, ist die Ungeduld, mit der die Jungen tiefgreifende Veränderungen erwarten. Das erscheint nicht unvernünftig, allerdings fehlt es bisher an einer Idee, welche Maßnahmen sowohl ausreichend und praktikabel als auch demokratisch durchsetzbar sind. Der lapidare Hinweis von Ocasio-Cortez und anderen, sie verfügten längst über fertige Pläne, ist noch keine Antwort darauf, wie die Zustimmung der Mehrheit gewonnen werden kann.

Die 68er-Generation hat die Demokratisierung vorangetrieben, die Klimaschutzbewegung jedoch droht autoritären Ideen zu verfallen, wenn sie rasches Handeln über demokratische Entscheidungsfindung stellt. Roger Hallam, Mitgründer der Klimaprotest-Bewegung Extinction Rebellion und, wenngleich altersmäßig mit 53 Jahren ein lupenreiner Boomer, Idol junger Demonstranten, vertritt höchst abstruse Ansichten. Demokratisch gewählte Regierungen will er de facto entmachten, die Klimasituation nennt er einen „globalen Holocaust“ (siehe Interview im aktuellen Heft).

Der aktuelle Konflikt hat eine wesentliche Besonderheit: Die junge Generation kann nicht warten, bis sie die alte abgelöst hat. So viel Zeit lässt der Klimawandel nicht. Tut uns leid, Rezo, Ocasio-Cortez, Thunberg und alle anderen: Ihr dürft uns als alte Säcke verspotten, aber danach müssen wir gemeinsam an die Arbeit gehen.

Das ist der Boomerang.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur