Robert Treichler: Eine Frage der Ehre

Die USA brauchen die Republikanische Partei. Sie muss sich von Trump lösen.

Drucken

Schriftgröße

Mike, der kopflose Hahn, war ein gespenstisches und gleichzeitig lächerliches Wesen. Ein Bauer in Colorado hatte dem Tier 1945 beim Versuch, es zu schlachten, zwar fast den ganzen Kopf abgehackt, dabei jedoch die Halsschlagader verfehlt und das Stammhirn drangelassen. "Magic Mike" lebte noch 18 Monate als Zirkusattraktion weiter. Das Publikum begaffte etwas, das es eigentlich nicht geben konnte und das dennoch leibhaftig vor ihm stand.

Vergangenen Donnerstag trat im Weißen Haus US-Präsident Donald Trump vor die Presse und begann, trotz noch andauernder Auszählungen und ausstehender Ergebnisse von seinem Wahlsieg zu fantasieren, und davon, wie man im Begriff sei, ihm diesen zu stehlen. Er nannte das ein "Update unserer Bemühungen, die Integrität der Wahlen 2020 zu bewahren".Wie er da vor den Kameras stand und trotzig fabulierte, war Trump ein gespenstisches und gleichzeitig lächerliches Wesen. Wobei man hinzufügen muss, dass der Vergleich ein wenig ungerecht ist, denn "Magic Mike" war-im Gegensatz zu Trump-unverschuldet in seine missliche Lage geraten.

Bekanntermaßen fällt es schwer, von Desastern wie dem eines Präsidenten, der die Legitimität der wichtigsten demokratischen Institution-der Wahl-einfach so schreddert, weil ihm eine Niederlage droht, die Augen abzuwenden. Doch die TV-Networks ABC, CBS und NBC hatten Erbarmen mit ihrem Publikum und stiegen aus der Live-Übertragung der Pressekonferenz aus.

Die Gefahr, dass Donald Trump die USA in den Abgrund reißt, ist real. Doch zumindest bislang ist es ihm nicht gelungen. Seine verantwortungslosen Verschwörungstheorien haben die Leute nicht auf die Straße getrieben, der Auszählungsprozess wurde nicht gestoppt, wie Trump es verlangt hatte. Auch die Republikanische Partei lässt ihren Präsidenten weitgehend allein. Seine Söhne und ein paar unbeirrbare Parteifreunde wie Ted Cruz, Rudy Giuliani oder Pam Bondi bilden einen letzten Zirkel um den Präsidenten.
 

Doch die politischen Folgeschäden von Hurrikan Donald sind enorm. Noch ist nicht abzusehen, wie viele US-Bürger sich seiner Behauptung, die Wahl sei gestohlen worden, anschließen. Misstrauen in den demokratischen Prozess kommt einem bösartigen Tumor gleich. Ein-zu erwartender, aber noch nicht bestätigter-Sieg von Joe Biden würde dem Demokraten die Bürde auferlegen, das Vertrauen von zumindest einem großen Teil der fast 70 Millionen Trump-Wähler zurückzuerlangen; und zwar nicht das Vertrauen in Bidens Politik, sondern in die Rechtmäßigkeit seiner Präsidentschaft.

Schlimmer noch ist der Zustand der Republikanischen Partei. Vier Jahre lang folgte sie Trump, anfangs zum Teil widerwillig, später uneingeschränkt. All das, was der um sich schlagende Präsident bisher schon getan und gesagt hat, und all das, was er jetzt noch von sich gibt, geht auf das Konto der Grand Old Party. Sie hat damit ihre Ehre, ihre Reputation, ihr moralisches Kapital eingebüßt.

Häme wäre nicht gänzlich unangebracht, schließlich hat sich die Partei dies ganz allein selbst zuzuschreiben. Doch das Schicksal der Republikaner kann niemandem egal sein, dem die Demokratie in den USA am Herzen liegt. Ich habe in einem profil-Kommentar im Januar 2016 geschrieben, dass "die USA eine Republikanische Partei brauchen, und zwar eine, die zur Vernunft zurückgekehrt ist". Damals lag Donald Trump bei den Vorwahlen an der Spitze. Inzwischen ist viel passiert, doch der Befund bleibt derselbe: Eine rasche Erneuerung der Republikaner ist im Interesse aller.

Das liegt schon allein daran, dass die USA ein Zwei-Parteien-System haben, das auf Machtwechseln beruht. Mehrmals in der Geschichte lag eine der beiden Parteien am Boden, etwa die Demokraten 1984, als ihr Kandidat Walter Mondale von Ronald Reagan bei den Präsidentschaftswahlen mit 525 zu 13 Wahlmänner-Stimmen hinweggefegt wurde. Hier zeigt sich aber der wesentliche Unterschied zur aktuellen Situation: Heute sind die Republikaner desavouiert, aber gleichzeitig erfolgreich. Trump hat mehr als 47 Prozent der bundesweit abgegebenen Stimmen auf sich vereint, im Senat könnte die Partei die Mehrheit behalten.

Die derzeitige Desorientierung und Verkommenheit der Republikaner verdeckt, was Amerika an ihnen hatte: eine politische Kraft, die Rechte und Freiheit des Einzelnen betont, dazu Wettbewerb, Marktwirtschaft, Verfassungstreue, Patriotismus, eine starke Armee Egal ob man diese Werte auf seiner persönlichen Skala weit oben reiht oder nicht-es sind Bausteine des politischen Fundaments der USA.

Die Republikaner stehen an der Kreuzung. Sie können auch nach Trump eine populistische, destruktive Kraft bleiben oder sich ihrer Werte besinnen und sich erneuern. Der Ex-Präsident in spe wird es der Partei, die er gekapert hat, nicht leicht machen. Sich diskret zurückzuziehen, ist von ihm nicht zu erwarten. Eher wird er für die Republikaner das, was Jean-Marie Le Pen für den Front National war: ein hochnotpeinlicher Störenfried. Le Pen wurde schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Dasselbe sollten die Republikaner möglichst bald mit Trump tun. Andernfalls prägen Auftritte im Stil von Magic Mike, dem kopflosen Hahn, womöglich weiterhin das Bild der Partei von Abraham Lincoln.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur