Robert Treichler: Fehl-Pass

Dschihadisten staatenlos zu machen, ist ungesetzlich, feige und kontraproduktiv.

Drucken

Schriftgröße

Internationale Abkommen ziehen in Österreich im Wettstreit mit dem gesunden Menschenverstand derzeit sehr leicht den Kürzeren (wobei das, was sich als gesunder Menschenverstand ausgibt, üblicherweise auf Selbstbehauptung beruht). Es ist keine zwei Monate her, dass sich Innenminister Herbert Kickl nach eigenen Worten mit der Europäischen Menschenrechtskonvention „anlegen“ wollte. Das Recht habe der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht, lautete sein mittlerweile geflügeltes, wenn auch rechtlich gesehen flügellahmes Wort. Vergangene Woche machte sich der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) die Kickl-Doktrin zu eigen und trat seinerseits das 1961 beschlossene internationale „Abkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit“ verbal in die Tonne.

Die Republik Österreich ist diesem wenig bekannten völkerrechtlichen Vertrag 1972 beigetreten. Er listet Verpflichtungen auf, die ein Staat übernimmt, um zu vermeiden, dass Personen ohne Staatsbürgerschaft dastehen. „Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“, heißt es in Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Doskozil gesteht zu, dass es ein Interesse gebe, Bürger nicht durch Aberkennung der Staatsbürgerschaft staatenlos zu machen, doch er erkennt ein höherrangiges Ziel, nämlich: österreichischen Kämpfern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ die Staatsbürgerschaft zu entziehen, um sie an der Rückkehr nach Österreich zu hindern. Dieses Motiv sei wichtiger, „und darum ist es zu akzeptieren, dass dann jemand staatenlos ist“.

Simpel, nicht?

Wahrscheinlich findet Doskozils Vorschlag in der Bevölkerung durchaus Anklang – denn IS-Kämpfern etwas wegzunehmen, kann nie falsch sein, oder?

Doch indem man einem mutmaßlichen Verbrecher die Staatsbürgerschaft entzieht und ihm dadurch die Einreise verunmöglicht, entzieht man ihn auch der heimischen Justiz. Hat die Republik Österreich kein Interesse daran, Terroristen, die möglicherweise Morde und Kriegsverbrechen begangen haben, vor Gericht zu stellen? Oder meint der burgenländische Landeshauptmann, die Justiz anderer Länder sei besser geeignet, Recht zu sprechen? Im Fall der IS-Kämpfer wären das die Gerichte in Syrien und dem Irak.

Abgesehen von der Frage, warum Österreich seine Kriminellen nicht selbst verurteilen möchte, bleibt die Problematik, was mit ehemaligen IS-Kämpfern geschehen soll. Sind sie weniger gefährlich, wenn sie staatenlos umherziehen? Eigentlich sollte man annehmen, dass Instrumente des Strafvollzugs und der Deradikalisierung bei der Minimierung des Risikos vielversprechender sind als die Verbannung ins Ungewisse. Offenbar haben höchste Vertreter unseres Staates erstaunlich wenig Vertrauen in die ­eigenen Institutionen.

Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Österreich Terroristen eines fremden Staates auf seinem Staatsgebiet behalten möchte, weil der fremde Staat ihnen kurzerhand die Staatsbürgerschaft entzieht.

In Wahrheit steckt hinter der voreiligen Ankündigung der Aberkennung der Staatsbürgerschaft die trügerische Botschaft, für Sicherheit zu sorgen, indem ehemalige IS-Kämpfer nicht mehr einreisen dürfen.

Den Sozialdemokraten Doskozil könnte noch etwas stutzig machen: Nach den Attentaten des Jahres 2015 in Frankreich entbrannte auch dort die Debatte darüber, Terroristen die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Die sozialistische Regierung und der damalige Staatspräsident François Hollande planten eine Verfassungsreform, die auch diesen Punkt beinhalten sollte. Doch das Vorhaben spaltete die Partei und scheiterte am Ende kläglich. Dabei war es nur um die Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei binationalen Personen gegangen. Keine Partei, nicht einmal der rechtspopulistische Front National (heute: Rassemblement National), hatte jemals gefordert, Terroristen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, die nur diese eine besitzen.

Doskozil hingegen hält es für „vollkommen irrelevant“, ob der Betroffene Doppelstaatsbürger ist oder nur Österreicher. Er argumentiert, dass die rechtliche Situation eines IS-Kämpfers mit jemandem vergleichbar sei, der bei einer fremden Armee diene. Das soll als rechtlicher Henkel dienen. Tatsächlich hat Österreich im Zuge seines Beitritts zum Abkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit eine Erklärung hinzugefügt, die eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft ermöglicht, wenn eine Person „freiwillig in den Militärdienst eines fremden Staates eintritt“. Doch der „Islamische Staat“ ist keinesfalls ein Staat, und seine Terrorbanden sind keine Armee. Darüber ist sich alle Welt einig, ausgenommen Abu Bakr al-Baghdadi, der (mehrmals tot geglaubte) Anführer des IS – und Hans­Peter Doskozil.

In Wahrheit steckt hinter der voreiligen Ankündigung der Aberkennung der Staatsbürgerschaft die trügerische Botschaft, für Sicherheit zu sorgen, indem ehemalige IS-Kämpfer nicht mehr einreisen dürfen. Doch Terroristen stellen eine größere Gefahr dar, wenn sie sich selbst überlassen bleiben. Auch in der Vergangenheit ist es immer wieder manchen gelungen, unter falschem Namen nach Europa zu reisen.

Dass Staatenlosigkeit keine Lösung ist, sondern vielmehr ein Problem, wusste man, als 1961 das Abkommen zur Verminderung von Staatenlosigkeit entworfen wurde.

Die Leichtfertigkeit, mit der solche international anerkannten Prinzipien derzeit über Bord geworfen werden, ist haarsträubend. Und dass die FPÖ das Monopol bei derlei Irrungen verloren hat, macht es nicht gerade besser.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur