Robert Treichler: Liberal, illiberal, scheißegal

Wie ein profil-Journalist in Ungarn auf eine schwarze Liste kam – und wie Sebastian Kurz zu Viktor Orbán steht.

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Gregor Mayer, seit 1990 mit Unterbrechungen profil-Korrespondent in Ungarn, weiß recht gut Bescheid darüber, was unter dem Begriff "illiberale Demokratie" zu verstehen ist. Schließlich gehört dieser Terminus zum Rüstzeug jedes Journalisten, der über unser Nachbarland berichtet, seit Ungarns Premierminister Viktor Orbán in einer Rede im Juli 2014 erläuterte, dass der "neue Staat", den er aufbauen wolle, ein "illiberaler Staat, ein nicht-liberaler Staat" sein solle. Dieser wolle die grundlegenden Prinzipien des Liberalismus nicht ablehnen, die liberale "Ideologie" jedoch "nicht zum zentralen Element der staatlichen Organisation" machen, so Orbán damals.

Das klingt ein wenig theoretisch, und deshalb betrachten es Journalisten wie Mayer und viele andere als ihre Aufgabe, anschaulich zu machen, was eine "illiberale Demokratie" in der Praxis bedeutet: Einschränkung der Pressefreiheit, Schwächung des Rechtsstaates, Aushöhlung der Demokratie.

Vergangene Woche geriet profil-Korrespondent Mayer zusammen mit anderen Kollegen selbst ins Visier der regierungstreuen Tageszeitung "Magyar Idök". In einem Kommentar wurden unliebsame ausländische Journalisten aufgelistet, die angeblich Ungarn verunglimpfen. Solche Listen sind ein beliebtes Mittel, um Stimmung gegen Personengruppen zu machen, die im illiberalen Staat keinen Platz haben.

Im Ungarn des Jahres 2018 sind unabhängiger Journalismus und zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die sich nicht dem von Orbán ausgerufenen "System der nationalen Zusammenarbeit" unterordnen, unerwünscht. Als Zeichen von "Transparenz" lobt Premier Orbán die Publikation derartiger Listen.

Nun ist es ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, den profil-Kollegen Mayer aus der Ruhe zu bringen. Der vollbärtige Reporter mit dem dröhnenden Lachen harrte während des Kosovo-Kriegs in Pristina und während des Irak-Kriegs in Bagdad aus, ohne jemals den Eindruck zu vermitteln, es handle sich bei seinen Einsätzen um etwas anderes als beruflichen Alltag. Doch auch wenn Mayer sich persönlich wegen seiner Nennung auf schwarzen Listen keine Sorgen macht, warnt der Ungarn-Kenner, dass nach dem angekündigten "Stopp-Soros-Gesetzespaket", das vor allem Zivilorganisationen schikaniert, die Flüchtlinge unterstützen, weitere Gesetze folgen werden, um erst ungarische und danach wohl auch ausländische Journalisten an die Leine des Illiberalismus zu nehmen. Was immer an Grundrechten solchen und ähnlichen Plänen zuwiderläuft, kann die Regierung Orbán dank ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament per Verfassungsänderung beseitigen.

Das Bild der illiberalen Demokratie stellt sich nunmehr ausreichend plastisch dar, das muss man Orbán lassen.

Das Bild der illiberalen Demokratie stellt sich nunmehr ausreichend plastisch dar, das muss man Orbán lassen. Ein Bericht des EU-Parlaments paraphrasiert den Begriff wie folgt: "Eine systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte." Die "New York Times" schafft es noch knapper: "Perversion der Demokratie."

Das Problem der EU bestand bisher darin, über keine taugliche Handhabe gegen derartige Umtriebe zu verfügen. Die einzige Sanktionsmöglichkeit, die laut EU-Vertrag vorgesehen ist, wäre eine Suspendierung der Mitgliedschaft nach Artikel 7, doch dafür wäre ein einstimmiger Beschluss aller anderen Mitgliedsstaaten erforderlich.

Nun zeichnet sich eine bessere Möglichkeit ab, Missetätern wie Ungarn (oder auch Polen) beizukommen. Der eben vorgestellte Budgetvorschlag der EU-Kommission enthält eine wichtige Klausel: Mitgliedsländern, deren Rechtsstaatlichkeit zu wünschen übrig lässt, kann die Zahlung von Mitteln aus dem EU-Budget gestrichen werden. Für eine solche Sanktion ist lediglich eine qualifizierte Mehrheit – und keine Einstimmigkeit – erforderlich.

Die EU muss sich endlich ermächtigen, rote Linien zu ziehen und diese zu verteidigen.

Staaten, die gegen Grundprinzipien der EU verstoßen, den Geldhahn zuzudrehen, ist eine harte, aber zumindest als Druckmittel vielversprechende und deshalb richtige Maßnahme. Die EU muss sich endlich ermächtigen, rote Linien zu ziehen und diese zu verteidigen.

Aber Achtung, letztlich wird auch dieser Prozess eine politische Entscheidung erfordern, und zwar eine Antwort auf die ideologische Gretchenfrage unserer Zeit: "Nun sag, wie hast du’s mit dem Rechtspopulismus?" Anders gefragt: Welcher Regierungschef erkennt eine illiberale Demokratie, wenn er eine vor sich hat?

Zum Beispiel Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron? Ja. Über Orbán sagte er: "Ich teile seine Werte mitnichten." Und über die illiberale Demokratie: "Sie gefährdet den Rechtsstaat."

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz? Er hat zwar einzelne Maßnahmen wie Orbáns unappetitliche Plakatkampagne gegen George Soros kritisiert, doch zum System der illiberalen Demokratie schweigt er. Die Revolution kommt von rechts: liberal, illiberal, scheißegal.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur