Robert Treichler

Robert Treichler: Raten Sie mit!

Was ein Klimarat kann – und was nicht.

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Die Demokratie, laut Churchills ewigem Diktum die schlechteste Staatsform mit Ausnahme aller anderen, soll wieder einmal verbessert werden, und da kann wohl niemand etwas dagegen haben. Der neueste Schlager: Klimaräte. In Österreich läuft seit Kurzem dieses Experiment einer Zusammenkunft von 100  mehr oder weniger (dazu weiter unten mehr) repräsentativ ausgewählten Personen, die an sechs Wochenenden Vorschläge ausarbeiten sollen, wie Österreich bis 2040 klimaneutral werden soll.

Österreich ist nicht das erste Land, in dem ein Klimarat eingesetzt wird, in Frankreich, Deutschland und auch Dänemark ist das jeweilige Pendant bereits abgeschlossen. Wir wissen also, was in etwa zu erwarten ist.

Kommt ein Klimarat auf neue Ideen?

Die zufällig ausgewählten Teilnehmer sind allesamt keine Experten, sondern Normalbürger. Kaum anzunehmen, 
dass sie völlig neue Ansätze entwickeln, wie Klimaschutz zu bewerkstelligen sei. Die Umweltministerin sitzt ohnehin auf einem schier unerschöpflichen Reservoir an Möglichkeiten, zu reduzieren – wenn diese bloß politisch durchsetzbar wären. Was den Klimarat für sie – und für alle am Prozess Beteiligten – so interessant macht, ist, dass er sich auf Punkte einigen kann, die bis dahin nicht mehrheitsfähig waren.

Es ist nicht Aufgabe eines Parlaments, alles umzusetzen, was ein Bürgerrat fordert.

Ein Beispiel: Der französische Klimarat empfahl der Regierung unter anderem die sofortige Verhängung eines Tempolimits von 110 km/h auf Autobahnen. Im Parlament hätte ein solches Vorhaben keine Mehrheit gefunden, und repräsentative Umfragen in der Bevölkerung ergaben, dass 74 Prozent der Befragten dagegen sind. (Die Empfehlung wurde übrigens von Staatspräsident Emmanuel Macron abgelehnt.) Die grüne Ministerin Gewessler könnte derartige Ideen freudig aufgreifen, die politische Verantwortung läge praktischerweise beim Klimarat.

Ist der Klimarat ein „kleines Österreich“?

Ein Faktencheck der „Kleinen Zeitung“ hat das Auswahlverfahren der präzise 98 Personen des Klimarates unter die Lupe genommen und festgestellt, dass zwar keine absichtliche Manipulation vorliegt, dass der Prozess aber „Schwächen“ aufweise. Von 2000 kontaktierten Personen, die von der Statistik Austria ausgewählt worden waren, kamen bloß 128 Rückmeldungen. (So viel zum Argument, dass etablierte Politik die Menschen abschrecke, während partizipative Demokratie sie zum Mitmachen begeistere.) Auch die Tatsache, dass Leute, die nicht gegen Corona geimpft sind, nicht teilnehmen können, schränke die Repräsentativität ein.

Im Übrigen ist ein Sample von 98 Personen ziemlich klein, um eine Acht-Millionen-Bevölkerung zu repräsentieren. Für eine profil-Umfrage werden normalerweise 400 Personen befragt.

Was legitimiert den Klimarat?

Formal: gar nichts. Er ist ein nicht gewähltes Gremium ohne jegliche legislative Kompetenz. Seine Bedeutung bekommt er de facto von der etablierten Politik übertragen. Gewessler will sich „jede einzelne Empfehlung anschauen“, Macron ging – ein wenig leichtsinnig – noch weiter: Er versprach, alle Ergebnisse „ohne Filter“ zu übernehmen und ins Parlament zu bringen. Von dieser populistischen Ankündigung musste er bald wieder abrücken. Am Ende legte er gegen drei Punkte ein Veto ein – und wie die Zeitung „Le Monde“ analysierte, wurden weitere 28 Vorschläge letztlich ignoriert, die Mehrheit der übrigen wenigstens „zum Teil“ beschlossen.

Wem nützt der Klimarat?

Denen, die schärfere, weiterreichende Maßnahmen gegen den Klimawandel wollen, aber im Parlament (oder innerhalb der Regierungskoalition) nicht durchsetzen können. Die Dynamik innerhalb des Klimarates funktioniert recht simpel: Da die Versammlung dazu einberufen wird, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, werden Einwände gegen -senkende Vorschläge tendenziell leichter vom Tisch gewischt. Am Beispiel der französischen Ergebnisse zeigte sich: Manche der beschlossenen Vorschläge wurden als verfassungswidrig eingestuft, andere widersprachen dem EU-Recht.

Doch die etablierte Politik kann nicht einfach zu allem Nein sagen. Der französische Klimarat forderte etwa auch ein Verbot von Inlandsflügen, wenn es auf derselben Strecke eine klimaschonendere Alternative (Zug, Bus) von nicht mehr als vier Stunden Fahrzeit gibt. Das Parlament reduzierte das Limit auf zweieinhalb Stunden. 

Verantwortlich dafür, was tatsächlich als Gesetz beschlossen wird, bleiben die gewählten Abgeordneten. Und das ist gut so. Statistische Repräsentativität (selbst wenn sie tatsächlich vorliegt) ist nicht gleich politische Legitimität. Die 98 Klimarats-Gesandten verschwinden nach getaner Arbeit wieder in der Anonymität, politische Parteien hingegen können bei der nächsten Wahl abgestraft – oder belohnt – werden.

Es ist nicht die Aufgabe des Parlaments, alles umzusetzen, was ein Bürgerrat fordert. Die Klimaräte anderer Länder und ihre Sympathisanten reagierten durchwegs sauer, weil die Politik nicht den gesamten Katalog in Gesetze goss.

Klimaräte mögen den demokratischen Prozess beleben, Parlamente, die deren Forderungen bloß abnicken, wären hingegen dessen Ende. 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur