Robert Treichler über Moria: ÖVP, AfD, ojemine

In der Frage, was mit den Flüchtlingen von Moria geschehen soll, ist sich der türkise Teil der Bundesregierung nur mit den Rechtsextremen einig, analysiert Robert Treichler.

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„Moria“ ist längst nicht mehr bloß der Name eines Flüchtlingslagers nahe des gleichnamigen Dorfes in der Gemeinde Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos. Wer „Moria“ sagt, gibt ein politisches Bekenntnis ab. Nach dem Brand, der in der Nacht auf Mittwoch einen Teil des Camps verwüstet hat, melden sich Amtsträger in Europa zu Wort, und selten lässt sich an Statements zu einem Vorfall so deutlich ablesen, wer welche politische Position bezieht. Besonders aufschlussreich ist das, um einzuordnen, wo die ÖVP – die in Österreich in Fragen der Migrationspolitik eine Art Entscheidungsmonopol innehat – steht.

Eine grundsätzliche Einschätzung der Situation liefert etwa Erzbischof Stefan Heße, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz: „Man muss es wohl so offen sagen: Es handelt sich um eine Katastrophe mit Ansage. Die mit dem Flüchtlingslager Moria verfolgte Politik der Abschreckung geht auf Kosten der Menschlichkeit.“

Wie soll Europa auf das Desaster reagieren? Auch auf diese Frage gibt es Antworten: Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller, Mitglied der bayerischen CSU, einer Schwesterpartei der ÖVP, fordert, Deutschland solle 2000 Migranten aufnehmen. Einzelne Regionen und Kommunen haben zum Teil bereits vor dem Brand entsprechende Beschlüsse gefasst. In Hamburg etwa boten alle in der Bürgerschaft, dem Landesparlament, vertretenen Parteien (SPD, Grüne, CDU, Linke, FDP) an, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen – nur eine Partei nicht: die weit rechts stehende Alternative für Deutschland (AfD).

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wiederum kündigte vergangenen Donnerstag an, gemeinsam mit Deutschland einen Vorschlag zu unterbreiten, Flüchtlinge aufzunehmen. Heftige Kritik kommt auch hier von der Rechtsaußen-Partei Rassemblement National.

"Die ÖVP vertritt in der bedeutsamen Frage, was mit Flüchtlingen des Lagers Moria geschehen soll, im Wesentlichen dieselbe Position wie die AfD."

Was ist nun der Standpunkt der ÖVP? Sie lehnt jegliche Aufnahme von Flüchtlingen – auch von unbegleiteten Minderjährigen – kategorisch ab. „Realistischen Pragmatismus“ nennt das Außenminister Alexander Schallenberg.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) konzentriert sich auf Twitter auf einen besonderen Aspekt der Geschehnisse: Der Brand in Moria sei nach Auskunft des griechischen Migrationsministers von Flüchtlingen gelegt worden – was Nehammer zur Ansicht motiviert, wonach „gewaltbereite Migranten kein Recht auf Asyl in Europa“ hätten. Nicht viele Politiker ziehen diesen Schluss. Die allermeisten erkennen an, dass 13.000 Menschen, die in einem Lager hausen müssen, das für weniger als 3000 eingerichtet wurde, unmenschlich behandelt würden. Die „Gewaltbereitschaft“ stellt angesichts dieser entwürdigenden Umstände niemand in den Vordergrund.

Niemand? Doch, fast wortgleich mit Karl Nehammer formuliert die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch ihre Sicht der Dinge: „Wer Lager mutmaßlich anzündet und damit die tödliche Gefährdung aller Bewohner billigend in Kauf nimmt (Anm d. Red.: Niemand ist bei dem Brand zu Schaden gekommen.), darf nicht auch noch mit Asyl in Deutschland belohnt werden.“

Die ÖVP vertritt in der bedeutsamen Frage, was mit Flüchtlingen des Lagers Moria geschehen soll, im Wesentlichen dieselbe Position wie die AfD. Man kann das „realistischen Pragmatismus“ nennen, geläufigere Bezeichnungen sind „Unmenschlichkeit“, „Kaltherzigkeit“ oder auch „Ausländerfeindlichkeit“.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur