Rosemarie Schwaiger
Rosemarie Schwaiger: Der letzte Zug

Rosemarie Schwaiger: Der letzte Zug

Der Kampf gegen das Rauchen ist längst zum Krieg gegen die Raucher geworden. Um die Gesundheit geht es dabei höchstens am Rande.

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Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn bei den Österreichischen Bundesbahnen versteht man etwas von Öffentlichkeitsarbeit. Am 17. November verkündete ÖBB-Generaldirektor Andreas Matthä in der „Kronen Zeitung“, dass die Bahnhöfe ab 1. April 2020 komplett rauchfrei sein werden. In den Eingangshallen wird schon lange nicht mehr gequalmt; ab Frühjahr wird es zudem auf sämtlichen Bahnsteigen (also im Freien) untersagt sein. Zwei Wochen nach Inkrafttreten des allgemeinen Rauchverbots in der Gastronomie konnte damit auch die Bundesbahn Vollzug melden. Der Schutz der Kunden stehe im Vordergrund, erklärte Matthä. Außerdem handle es sich bei Zigarettenstummeln, die auf Bahngleise geworfen werden, um „gefährlichen Sondermüll mit Mikroplastik“.

Militanter Zeitgeist

Dagegen ließe sich so manches einwenden. Aber Widerworte kann man, wie es in Wien so schön heißt, in ein Sackerl reden und vor die Tür stellen. Wer Raucher sekkiert, und sei es mit noch so absurden Argumenten, hat grundsätzlich recht. Der Zeitgeist ist Nichtraucher, und zwar einer von der militanten Sorte. So nachhaltig, umfassend und global wie dem Tabak wurde noch nie einem Genussmittel der Garaus gemacht. Den meisten Nicht- und Ex-Rauchern gefällt das natürlich. Aber die Effizienz der weltweiten Gehirnwäsche sollte auch ihnen Angst einjagen. Der Psychoterror würde gegen andere unvernünftige Vergnügungen wohl genauso gut funktionieren – fragt sich nur, was als Nächstes an der Reihe ist.

Österreich folgte dem internationalen Trend lange nur zögerlich. Die nun geltende Regelung in der Gastronomie gehört dafür zu den strengsten in ganz Europa. Vom Passivrauchen kann man hierzulande selbst mit viel gutem Willen nicht mehr krank werden. Sogar E-Zigaretten wurden aus Gasträumen verbannt, obwohl sie nicht mehr giftigen Dampf verströmen als eine heiße Grießnockerlsuppe. Das Gesetz gilt auch für Shisha-Bars, die – wie der Gattungsname andeutet – nur dafür geschaffen wurden, um dort zu qualmen. Es wäre humaner gewesen, diesen Lokaltyp von Amts wegen zuzusperren; dann würden sich die Betreiber wenigstens den quälenden, aussichtslosen Existenzkampf ersparen.

Keinerlei Lobby

Natürlich bin ich nicht objektiv. Ich rauche schon sehr lange und ziemlich ambitioniert. Das ist nicht schlau und wird mich wahrscheinlich ein paar Lebensjahre kosten. Aber in der Zeit bis zu meinem letzten Lungenzug bietet das Laster wenigstens Einblicke in eine Welt, die mir sonst verschlossen bliebe. Ohne Zigaretten wüsste ich nicht, wie es sich anfühlt, einer (übrigens gar nicht so kleinen) Minderheit anzugehören, die keinerlei Lobby mehr hat. Soziologisch ist das interessant, zum Menschenfreund macht es einen nicht zwangsläufig. Täuscht der Eindruck, dass es um irgendjemandes Gesundheit nur noch am Rande geht? Kann es sein, dass Raucher auch deshalb karniefelt werden, weil sie nach jahrelangen Kampagnen einfach das ideale Ziel abgeben? Moralische Überlegenheit ist ein angenehmes Gefühl und selten so billig zu haben wie in der Konfrontation mit uns liederlichen Nikotinjunkies.

Schon gibt es erste Beschwerden über das Pofeln in Gastgärten. Im Freien weht gelegentlich der Wind, was einen Qualmkringel in Richtung Nichtraucherschnitzel treiben kann. Das gilt mittlerweile als schlimmste aller urbanen Zumutungen. Heizschwammerl und Wärmestrahler, die serviceorientierte Wirte derzeit in hoher Dichte aufstellen, machen ökologisch natürlich keinen schlanken Fuß. Nicht nur die Grünen sind dagegen. Wo es keinen Gastgarten gibt, stehen die Raucher vor dem Lokal auf der Straße; auch das ist suboptimal. Dass sich Anrainer durch solche Gäste gestört fühlen könnten, wurde so lange und intensiv diskutiert, dass es an ein Wunder grenzte, wenn sie sich nicht tatsächlich bald gestört fühlen würden. Zwischen Gleichgültigkeit und Hysterie liegt oft nur eine professionelle Aufklärungskampagne.

Neue Laster

Niemand bestreitet, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Aber solange es erlaubt ist, 150 Kilo zu wiegen oder in Abfahrtshocke die Kitzbüheler Streif hinunterzudonnern, geht die Selbstbeschädigung mittels Nikotin als Privatsache durch. Zu den staatsbürgerlichen Pflichten gehört es nicht, möglichst lange zu leben. Das Argument, die Allgemeinheit müsse für kostspielige Behandlungen aufkommen, die man sich ohne Tabak ersparen würde, war schon immer Blödsinn: Auch Nichtraucher pflegen nicht kerngesund und ohne den einen oder anderen Tag im Krankenstand abzutreten. Gegen Ende unseres Daseins sind wir alle ziemlich teuer und aufwendig in der Haltung.

Es ist fraglich, ob der Krieg gegen das Nikotin die Welt fitter, gesünder und langlebiger gemacht hat. Leider neigt der Mensch dazu, sich neue Laster zu suchen, wenn man ihm eines gründlich verleidet hat. Nirgendwo wird das Rauchen schon so lange so vehement bekämpft wie in den USA. Ergebnis: Die Lebenserwartung der Amerikaner sinkt seit Jahren – während sie in anderen Länder der entwickelten Welt steigt. Der durchschnittliche US-Bürger inhaliert zwar weniger Marlboros, dafür wird er immer dicker und betäubt sich mit Schmerzmitteln und Psychopharmaka.

Vielleicht besser, wir rauchen weiter.

Rosemarie Schwaiger