Rosemarie Schwaiger
Rosemarie Schwaiger: Wo Gott wohnt

Rosemarie Schwaiger: Wo Gott wohnt

Religionsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber sie taugt nicht als Rechtfertigung für jeden Irrweg.

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Weiterbildung ist manchmal sehr einfach. Auch wer sich nie für die Details muslimischer Bekleidungsregeln interessiert hat, konnte in den vergangenen Wochen zum Experten für die Unterschiede zwischen Burka, Niqab und Tschador werden. Das Durchblättern von Zeitungen genügte. Seit in Deutschland, Österreich und anderswo intensiv über ein Verbot der Ganzkörperverschleierung debattiert wird, gehören die Bilder schwarzer Stoffbahnen mit mehr oder weniger großen Sehschlitzen samt Fachterminus zum täglichen Frühstückskaffee. Die Argumente sind ausgetauscht. Auch Robert Treichler und Peter Michael Lingens liefern in dieser Ausgabe ein paar besonders stichhaltige. Wir sind umfassend informiert.

Und jetzt?

Jetzt muss die Politik eine Entscheidung treffen. Nach allem, was an Stellungnahmen vorliegt, kann diese Entscheidung eigentlich nicht lauten, den Status quo zu erhalten. Dafür haben sich diverse Spitzenpolitiker in ihrer Kritik am textilen Kerker schon zu sehr exponiert. Ein Verschleierungsverbot für Teile des öffentlichen Raumes, also etwa für Universitäten, Ämter und Schulen, wäre als Ergebnis wohl das Minimum. Sonst haben wir wieder einen Sommer sinnlos damit vergeudet, uns gegenseitig zu erzählen, wie schrecklich arm die (zugegeben: wenigen) Frauen in ihren unförmigen Zeltsäcken sind. „Die Burka steht für das mittelalterlich Bedrohliche und zutiefst Frauenfeindliche innerhalb des großen islamischen Bogens“, schreibt Lingens. Der Schleier sollte nicht auch noch zum Symbol für die Hilflosigkeit werden, mit der aufgeklärte westliche Gesellschaften auf religiösen Fundamentalismus reagieren. Darauf zu warten, dass die Fundis von selbst klüger werden, ist keine gute Strategie.

Ein Verschleierungsverbot für Teile des öffentlichen Raumes, also etwa für Universitäten, Ämter und Schulen, wäre als Ergebnis wohl das Minimum

Auf kleinerer Flamme als bei der Burka wird derzeit an vielen Fronten gekocht. Es geht im Kern um die Frage, welchen Stellenwert die Religion in einer Gesellschaft haben kann und soll, die sich grosso modo darauf geeinigt hatte, dass der Glaube Privatsache ist. Der (weitgehend) säkulare Staat ist eine Erfolgsgeschichte, auf die Österreich ruhig ein wenig stolz sein kann. Ganz kampflos hat die katholische Kirche ihren einst enormen Einfluss ja auch nicht hergegeben. Deshalb ist es verwunderlich, wie seltsam eingeschüchtert die irdischen Behörden mitunter wirken, sobald in einer Streitfrage eine höhere Instanz – zuletzt handelte es sich meistens um Allah – ins Spiel gebracht wird.

Schon vor ein paar Jahren hatte eine muslimische Jusstudentin angefragt, ob sie als Richterin ein Kopftuch tragen könne. Zur Klärung dieser und ähnlicher Angelegenheiten wurde eigens eine Arbeitsgruppe im Justizministerium eingerichtet. Die Deutschen haben das gleiche Problem. In Augsburg hob das Verwaltungsgericht erst vor Kurzem ein Kopftuchverbot für Referendarinnen mit der Begründung auf, dass es kein dazu passendes Gesetz gebe. Bei allem Respekt vor der notwendigen Länge des Dienstwegs: Ein solches Gesetz sollte schleunigst beschlossen werden, auch in Österreich. Ein Kopftuch hat im Gerichtssaal wirklich gar nichts verloren – und zwar auch dann nicht, wenn man dem beliebten Argument folgt, dass es sich dabei doch nur um ein unschuldiges Stück Stoff handle, das wenig über die Geisteshaltung seiner Trägerin aussage. Aus guten Gründen wurden bisher ja auch keine Richter aktenkundig, die mit Baseball-Käppi oder Tirolerhut ihre Verhandlungen leiten. Welchen Sinn hat der Talar, wenn obenrum jeder machen darf, wonach ihm gerade der Sinn steht?

Ein Kopftuch hat im Gerichtssaal wirklich gar nichts verloren

Religiöse Vorstellungen reiben sich ziemlich oft mit den Anforderungen der Arbeitswelt. Über 500 Fälle von einschlägiger Diskriminierung gingen im Vorjahr bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft ein. Wenn in Qualitätsmedien darüber berichtet wird, steigt meistens der Arbeitgeber schlecht aus: Wieder so ein verbohrter Typ, der nicht einsieht, dass sein neuer Mitarbeiter einen ruhigen Platz zum Beten braucht oder nicht mit Alkohol hantieren darf. Aber müsste man nicht zuerst die Frage klären, wessen Justament-Standpunkt der absurdere ist? Und wenn aufgrund religiöser Pflichten die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr möglich ist: Muss dann in jedem Fall der Sozialstaat für die Folgen aufkommen?

Die allermeisten Muslime im Land gehen ihrem Glauben wohl so ähnlich nach wie der typische Taufscheinkatholik: Man hält sich an ein paar Regeln, lässt sich von der Heiligen Schrift aber nicht zu sehr den Spaß verderben. Eine Minderheit sieht das anders und ist bereit, die Religion über alles zu stellen. Der Staat wird nicht für jeden Sonderfall ein Gesetz machen können. Aber es wäre schon tröstlich, wenn man die Gewissheit hätte, dass der Hinweis auf Gott oder Allah nicht jeden Irrweg buchstäblich sakrosankt machte.

Manchmal kollidiert die Religionsfreiheit mit anderen wichtigen Anliegen, zum Beispiel dem Kindeswohl. Wenn Lehrer berichten, dass neuerdings schon einige Volksschüler im Ramadan fasten müssen, sind Seufzen und Schulterzucken als Reaktion eher unpassend. Da stimmen einfach die Relationen nicht mehr. Wer als Vater oder Mutter sein Kind ohne Helm Rad fahren lässt, riskiert eine Strafe. Sicherheit und Gesundheit der Kleinen gehen vor, das ist okay. Wer dem eigenen Kind an heißen Sommertagen das Essen und Trinken vorenthält, macht nach offizieller Lesart nichts falsch. Logisch ist das nicht. Und ein Platz im Paradies sollte im Jahr 2016 keine Rechtfertigung mehr sein.

Rosemarie Schwaiger