Sven Gächter: Goschnhauer

Die Regierung brilliert mal wieder in ihrer Paradedisziplin: dem täglichen Kleinkrieg. Sie schafft damit auf Dauer nicht nur sich selbst, sondern auch die Politik ab.

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Irgendwann war auch Herr Rupprechter, sonst kein zwanghafter Polterer, mit seiner Geduld am Ende. Er trat vor die Medien und nannte Herrn Kern einen „Wendehals“. Herr Lopatka sekundierte diabolisch: „Kern ist umgefallen – aber dieses Mal in die richtige Richtung.“ Wenige Tage zuvor hatte Herr Kern die Kritik von Herrn Kurz an den Rettungseinsätzen von Hilfsorganisationen im Mittelmeer zurückgewiesen: „Wir können nicht sagen, warten wir mal, bis so viele Menschen ertrunken sind, und dann werden schon weniger kommen.“ Das ging wiederum Herrn Amon entschieden zu weit: „Dem Außenminister die menschliche Nächstenliebe abzusprechen, ist eines Kanzlers unwürdig. Es ist unerhört, Kurz zu unterstellen, dass er für das Ertrinken von Menschen wäre. Das ist eine bewusste Fehlinterpretation an der Grenze der Geschmacklosigkeit.“ Natürlich mochte auch Herr Sobotka nicht wortlos zusehen: Er beschuldigte Herrn Kern, Herrn Doskozil angewiesen zu haben: „Hau doch mal den Sobotka.“

Willkommen in der großkoalitionären Daily Soap! Ein „massives Kasperltheater“ (Rupprechter), in dem die beteiligten Herren (es sind tatsächlich vor allem die Herren) keinen, aber wirklich keinen Vorwand auslassen, um einander in die sprichwörtliche Goschn zu hauen. Der Anlass erscheint vollkommen zweitrangig; er kann im Zweifelsfall nicht banal und belanglos genug sein – Hauptsache, die Fetzen fliegen meterweit, sodass es auch alle im Parkett, auf der Galerie und sonstwo garantiert mitkriegen.

Leider handelt es sich bei den allzeit rauflustigen Maulhelden um die Repräsentanten der österreichischen Bundesregierung, die eine ebenso einfältige wie veraltete Auffassung von Betriebsamkeit an den Tag legen. Von Amts wegen eigentlich einer konsensuellen Arbeitsagenda zum Wohle des Landes verpflichtet, fokussieren sie einen Großteil ihrer Energie auf Obstruktionsmanöver, als wären sie in einen zähen, aufreibenden Häuserkampf verwickelt. Jeder Zentimeter an vermeintlichem Terraingewinn wird auf der einen Seite mit Triumphsalven und auf der anderen mit noch erbitterterem Sperrfeuer quittiert.

Am Ballhausplatz herrscht immer noch der althergebrachte Ungeist, wonach es im Regierungsgeschäft vor allem darum gehe, sich mit Hauen und Würgen in die nächste Runde zu retten.

SPÖ und ÖVP haben diese unselige Friendly-fire-Dynamik über Jahre und Jahrzehnte hinweg verinnerlicht. Selbst wenn sie sich ausnahmsweise einmal auf einen gemeinsamen Feind einschießen, können sie die internen „Messerstechereien“ (Kanzleramtsminister Thomas Drozda) um nichts in der Welt ruhen lassen. Das unwürdige Slapstick-Theater geht täglich in die Verlängerung, was allerdings kaum auf durchschlagenden Publikumserfolg zurückzuführen ist. Vielmehr wendet sich das Publikum – sprich: die wahlberechtigte Öffentlichkeit – zusehends entgeistert, ja angewidert von einem Spektakel ab, das ganz offensichtlich keinem anderen Zweck dient als parteipolitischer Kleinmünzerei.

Am Ballhausplatz herrscht immer noch der althergebrachte Ungeist, wonach es im Regierungsgeschäft vor allem darum gehe, sich mit Hauen und Würgen in die nächste Runde zu retten. Daraus spricht ein kurzatmiges, geradezu primitives ­Politikverständnis, das für die überschaubaren ­Herausforderungen des späteren 20. Jahrhunderts halbwegs taugen mochte, den Realitäten anno 2017 jedoch nicht mehr annähernd standhält. Einschlägige Warnsignale gab es durchaus: Bei der Bundespräsidentenwahl vor einem Jahr schmierten die Kandidaten der ehemals großen Volksparteien spektakulär ab. Irmgard Griss, die Galionsfigur der viel besungenen Unabhängigkeit, verpasste den Einzug in die Stichwahl nur „arschknapp“.

SPÖ und ÖVP haben längst andere Hoffnungsträger auserkoren, doch Christian Kern und Sebastian Kurz sind im Hinblick auf jederzeit dräuende Neuwahlen viel zu sehr damit beschäftigt, sich permanent auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren, um glaubhaft von jenen Denk- und Handlungsmustern abzurücken, die den politischen Prozess in dieser Republik seit Jahren lähmen. Österreich ist ein träges, strukturkonservatives Land, weitgehend resistent gegen jähe seismische Verwerfungen im sozialen und weltanschaulichen Gefüge. Muss das aber zwangsläufig so bleiben? In entschieden gefestigteren Demokratien wie Großbritannien oder den USA zeitigte die kollektive Sehnsucht nach „change“ – welcher Unart auch immer – im Vorjahr massive Zäsuren. In Österreich teilen SPÖ, ÖVP und FPÖ derzeit noch rund 80 Prozent des parteipolitischen Spektrums unter sich auf, die einen im bleiernen Regierungs-, die anderen im verbissenen Oppositions­modus. Neuwahlen sind früher oder später unausweichlich – mit dem durchaus denkbaren Ergebnis, dass Kern, Kurz und Strache einander neutralisieren. Es wäre der historische Anfang vom Ende eines Systems, das immer nur auf schnöde Selbsterhaltung ausgerichtet war. Kein Kasperltheater kann ewig dauern.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 14 vom 3.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Sven   Gächter

Sven Gächter