Kolumne

Und was ist jetzt mit der Gegenfinanzierung?

Wenn hierzulande jemand die Steuern senken will, ist Feuer am Dach. Selbst die Arbeitnehmervertreter sind gegen die Entlastung von Arbeitnehmern.

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In Österreich wird ja oft und gerne von der geradezu erdrückenden „rechten Mehrheit“ gesprochen, die seit Jahrzehnten bei keiner Wahl zu knacken sei.  In gesellschaftspolitischen Fragen dürfte es diese „rechte Mehrheit“ auch tatsächlich geben, wirtschaftspolitisch tickt dieses Land aber verlässlich links. Das zeigte sich nicht zuletzt an der von Bundeskanzler Nehammer angestoßenen Entlastungsdebatte. Den Menschen sollte mehr Netto vom Brutto bleiben,  Leistung müsse sich endlich wieder lohnen. Nun ist die Frage nicht ganz unberechtigt, warum die ÖVP ausgerechnet um fünf vor zwölf die Marktwirtschaft entdeckt, um es sich nach dem Mittagessen wieder auf dem etatistischen Diwan gemütlich zu machen. Aber das ändert nichts an der Sinnhaftigkeit des Vorhabens: Die menschliche Arbeitskraft wird in Österreich viel zu hoch belastet, und das gehört dringend geändert. Darin sind sich auch so gut wie alle Politiker und Experten einig. 


Wenn die Steuern aber tatsächlich gesenkt werden sollen, melden dieselben Politiker und Experten Zweifel an. Steuersenkungen seien schlicht und ergreifend nicht finanzierbar, wie etwa Christoph Badelt meint. Der Fiskalratspräsident hat auch allen Grund, die entsprechende  Gegenfinanzierung einzufordern. Zumal die budgetäre Lage alles andere als berauschend ist; allein im heurigen Jahr wird das Budgetdefizit knapp 20 Prozent der laufenden Einnahmen erreichen. Auf solide Staatsfinanzen zu pochen, ist gerade in Österreich höchst angebracht, dennoch scheint mir politisch einiges aus dem Lot geraten zu sein: Steuersenkungen sind in einem Höchststeuerland mit Rekordeinnahmen nicht verkraftbar, aber zehn Prozent mehr Geld für kündigungsgeschützte Beamte und Pensionisten locker ohne entsprechende Gegenfinanzierung zu stemmen? 

Nichts fürchtet Österreich mehr, als weniger Steuern zahlen zu müssen.

So richtig österreichisch wird die Sache, wenn sich dann auch noch Arbeitnehmervertreter gegen niedrigere Belastungen für Arbeitnehmer ins Zeug legen. Das ist ungefähr so, als würden sich die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung mit Händen und Füßen gegen sinkende Steuern auf Unternehmensgewinne wehren. Aber genau das machen ÖGB und AK, die einen Anschlag auf den Sozialstaat wittern. „Alle sogenannten Entlastungen zahlen sich die Menschen in Form von schmerzhaften bis gefährlichen Kürzungen auf anderen Gebieten. Die Gegenfinanzierung dürfte in den wirren Plänen nämlich keine Rolle gespielt haben“, wie der ÖGB in einer Aussendung verkündet. Was uns der ÖGB damit sagen will: Verliert der Staat auch nur einen Cent an Steuern und Abgaben, muss zwangsläufig im Sozialsystem eingespart werden. An anderer Stelle wird den Menschen gezielt Angst eingejagt: Ihnen wird vorgegaukelt, dass sie nicht mehr in den Krankenstand gehen könnten und das Weihnachts- und Urlaubsgeld in Gefahr sei, wenn die hohen Arbeitskosten sinken. 

Derartige Drohungen funktionieren in Österreich immer. Nichts fürchtet die Bevölkerung mehr als niedrigere Steuern auf Kosten staatlicher Segnungen. Ein Blick in andere Länder würde Mut machen. Etwa in die Schweiz, die zeigt, wie niedrige Steuern, ein ausgeglichener Staatshaushalt und eine hohe soziale Absicherung unter einen Hut zu bringen sind. Und wie sich erwachsene Demokratien eine adäquate Gegenfinanzierung vorstellen: So hat die Schweizer Bevölkerung nach mehreren Jahren steigender Staatsschulden im Jahr 2001 mit einer Zustimmung von 85 Prozent eine Schuldenbremse verabschiedet. Diese Bezeichnung ist ein wenig irreführend, weil nicht die Schulden, sondern die Ausgaben des Bundes gebremst werden. Der Mechanismus ist denkbar einfach: Die Ausgaben dürfen die prognostizierten Einnahmen nicht überschreiten. Letztere werden um konjunkturelle Schwankungen bereinigt. In Zeiten wirtschaftlicher Hochphasen darf also weniger ausgegeben werden, in Krisenzeiten ist die Politik dafür aufgefordert, aktiv gegenzusteuern und Geld in die Hand zu nehmen. Einzige Bedingung: Die Mehrausgaben müssen innerhalb einer festgelegten Frist von sechs Jahren wieder hereingespielt werden. 

Das Ziel der Schweiz ist also nicht, die Staatsschulden auf ein politisch festgelegtes Niveau zu senken, sondern das staatliche Ausgabenwachstum zu begrenzen und in guten Jahren Überschüsse zu erwirtschaften, die verpflichtend zur Schuldentilgung zu verwenden sind. Weshalb die Staatsverschuldung gemessen an der jährlichen Wirtschaftsleistung in unserem westlichen Nachbarland heute auch nur halb so hoch ist wie in Österreich. Auch die Schweden haben eine funktionstüchtige Ausgabenbremse eingezogen, ohne damit den Sozialstaat abzufackeln. Würde sich Österreich mit der schwedischen Staatsausgabenquote begnügen, lägen die öffentlichen Ausgaben um rund zwölf Milliarden Euro pro Jahr niedriger. Mit dieser Summe könnte der Faktor Arbeit um ein Achtel entlastet werden. Und das ganz ohne neue Steuern. Nur für den Fall, dass jemand die Frage nach der Gegenfinanzierung aufwerfen sollte.

Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.