Kolumne

Unternehmen Weltherrschaft

Ein Paradebeispiel für die Gräuel unternehmerischer Effizienz: kurze Reflexion über die Britische Ostindien-Kompanie und ihren obszön langen Schatten.

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Ich muss gestehen, dass ich schon seit vielen Lenzen ein nahezu ekelhaftes Interesse an der Geschichte der Britischen Ostindien-Kompanie habe. Selbige kennen aufmerksame Bildungsbürger:innen aus „Trivial Pursuit“ oder „Piraten der Karibik 3“ (der Teil mit der explodierenden Stiege), aber die wenigsten sind sich wohl gewahr, dass die East India Company (EIC) einer der tragenden Pfeiler des frühen Kapitalismus war. Und somit Quelle horrenden historischen und (Kausalpfeil) gegenwärtigen Leids.

Nicht unweit der Shakespear’schen Heimstätte bei London versammelte sich im Jahre 1600 eine illustre Gruppe von Geschäftsleuten in einem kleinen Fachwerkgebäude zu einem Pläuschchen. Und während William an „Hamlet“ tüftelte, ging es beim Herrenumtrunk um Wissenschaft, Geopolitik und Logistik: Es war die Geburtsstunde der EIC, und es galt, den Import von Gewürzen aus Südasien lukrativer zu machen. Über Jahrhunderte hinweg hatte sich der Gewürzhandel mit den East Indies auf Landrouten durch Asien und den Nahen Osten gestützt. Doch mit dem Aufkommen überlegener Navigationstechnologien im 16. Jahrhundert ermöglichten es die Portugiesen den Europäern, Zwischenhändler zu umgehen und dadurch erheblich größere Gewinne einzufahren. In diesem Kontext betrat die Kompanie die wachstumsorientierte Bühne – und aus dem geheimen Gespräch entstanden die Praktiken des globalen Markts.

In vielerlei Hinsicht verkörpert die EIC ein Paradebeispiel für die Gräuel unternehmerischer Effizienz: Ein Jahrhundert nach ihrer Gründung bestand ihre Zentrale lediglich aus 35 festen Mitarbeitern („:innen“ kann ich mir hier sparen). Dennoch orchestrierte dieses minimal bemessene Personal die militärische Eroberung, Unterwerfung und Plünderung riesiger Territorien Südasiens. Die Ostindien-Kompanie wuchs weit über die klassische Organisationsform einer Handelsfirma hinaus. Sie exportierte immer mehr Güter nach Europa und begann die Handelsbedingungen zu kontrollieren, um höhere Profite zu erzielen. Die Monopolstellung in Bengalen im Nordosten Indiens war dabei entscheidend. Innerhalb kürzester Zeit wurden 250 Angestellte des Unternehmens, gestützt von einer militärischen Macht von 20.000 lokal rekrutierten indischen Soldaten, im Jahr 1756 zu den de facto Herrschern von Bengalen. Aus einem internationalen Unternehmen wurde ein Kolonialaggressor.

All das ist längst Geschichte, und es gibt zum Glück keine genaue Entsprechung in der modernen Welt. Walmart, auf Platz eins der umsatzstärksten Unternehmen der Welt, besitzt keine Flotte von Atom-U-Booten.

Dieser Vorgang bleibt wohl der größte Akt unternehmerischer Gewalt in der Weltgeschichte. Im Vergleich dazu wirken selbst die größten heutigen Konzerne – ob ExxonMobil, Amazon oder Google – geradezu harmlos. Doch zeigt die Geschichte, dass die Beziehung zwischen Staats- und Unternehmensmacht oft eine enge ist: Sobald Letztere reguliert wird, wird sie sämtliche verfügbaren Ressourcen mobilisieren, um sich zur Wehr zu setzen. Es ist geschichtsunterrichtstechnisch noch immer üblich, von der britischen Eroberung Indiens zu sprechen, doch verbirgt dieses Wording das düstere Geheimnis, dass nicht die britische Regierung Indien am Ende des 18. Jahrhunderts eroberte, sondern ein dereguliertes privates Unternehmen; ein gewaltiger profitorientierter Leviathan. Die Tributzahlungen, zum Beispiel, die von Managern der Kompanie vom Schatzamt in Bengalen gefordert wurden, trugen zur Entstehung der schweren Hungersnot von 1770 bis 1773 bei, die zehn Millionen Menschenleben kostete.

Dank ihrer schnell wachsenden militärischen Größe – ihre Armee hatte bis 1803 auf beeindruckende 260.000 Mann zugenommen – unterwarf und eroberte die EIC nahezu den gesamten indischen Subkontinent in einer verblüffend kurzen Zeitspanne. Innerhalb von 47 Jahren erstreckte sich der Einfluss der Gesellschaft bis in die Mughal-Hauptstadt Delhi, und fast ganz Indien südlich dieser Stadt wurde aus einem Vorstandszimmer in der City of London heraus regiert.

Lange Zeit hatte China ein Handelsmonopol auf Tee, und die EIC suchte nach Möglichkeiten, dieses Monopol zu durchbrechen. Sie schickte den Botaniker Robert Fortune (!) auf eine geheime Mission nach China (1848–1851), um Teeblätter und Teepflanzen zu stehlen und die Methoden ihrer Pflege und Verarbeitung zu erlernen. Das rief die britische Teewirtschaft ins Leben. (Wieso das nicht schon längst mit Colin Firth verfilmt wurde, ist mir ein Rätsel.) Die EIC kontrollierte auch den Opiumhandel und war schuld am Gemetzel der britisch-chinesischen Opiumkriege (Verfilmung mit Hugh Grant?).

All das ist längst Geschichte, und es gibt zum Glück keine genaue Entsprechung in der modernen Welt. Walmart, auf Platz eins der umsatzstärksten Unternehmen der Welt, besitzt keine Flotte von Atom-U-Booten. Aber wie Edward, 1. Baron Thurlow, einst während der Amtsenthebung eines EIC-Gouverneurs bemerkte: „Unternehmen haben weder Körper, die bestraft werden können, noch Seelen, die verurteilt werden können. Daher tun sie, was sie wollen.“ Die Ostindien-Kompanie war die erste wirklich multinationale Firma und die erste, die auch gleich völlig außer Kontrolle geriet. Wir können die Geschichte des Kapitalismus ohne ihre Geschichte gar nicht denken.

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.