Pop

„Oh wie schön das Leben is“ von Felix Kramer: Wie eine Praline

Der junge Wiener Musiker Felix Kramer hat die Leichtigkeit entdeckt. Sein neues Album ist ein Glücksfall.

Drucken

Schriftgröße

Als Singer-Songwriter, meint Felix Kramer, 28, hatte er immer gedacht, er müsse einem gewissen Bild, einem Klischee entsprechen. Lederjacke tragen, Zigaretten rauchen und viel Alkohol trinken. „Heute weiß ich, dass ich die helle und aufgedrehte Seite von mir zulassen kann“, sagt er. Er könne ebenso gut rosa Schuhe, blond gefärbte Haare, ein Flinserl und Basketball-T-Shirts seiner Lieblings-NBA-Mannschaften tragen. Die neu entdeckte Freiheit spiegelt sich für Kramer auch im Coversujet seines neuen, dritten Albums wider. Ein privater Schnappschuss (man sieht ihn mit breitem Grinsen und rosa Zuckerwatte in der Hand), aufgenommen von einem Freund im Wiener Prater, drückt aus, wie sich der Musiker heute so fühlt. Passender Titel der SongSammlung: „Oh wie schön das Leben is“. Und das ist hier definitiv nicht zynisch gemeint. Denn nach Jahren des Zweifelns und Haderns fügt sich in der Felix-Kramer-Welt gerade alles schön ineinander – inklusive eines persönlichen Outings. Aber dazu später mehr.

Treffpunkt Kaffee Alt Wien in der Innenstadt. Ein typischer Frühlingstag zwischen Regen und Sonne – fast magisch passt dies zu Kramers Musik. Der Künstler, sympathisches Lachen, Wiener Schmäh, Kapuzenpulli, große Statur, bestellt sich einen Cappuccino und fängt an zu plaudern. Er wirkt gelöst. Dass es jetzt überhaupt neue Felix-Kramer-Songs gibt, erzählt er, sei einer guten Portion Idealismus und Selbstausbeutung geschuldet. Sein letztes Album („Alles Gut“) erschien 2020, mitten im ersten Corona-Herbst. Keine Konzerte, kaum Promotion  und monatelange Lockdowns brachten das gerade erst aufblühende Singer-Songwriter-Projekt an seine Grenzen. „Es hat mich fast gekillt“, sagt er heute über die Pandemie-Jahre. Er hatte kein Geld mehr, musste sich mit Gitarrenunterricht, Orchester- und Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Sein Problem, meint er lakonisch: Er könne eben nichts anderes als Musik machen.

Felix Kramer

Mit seinem dritten Album, das nun erschienen ist, kommt er bei sich selbst an – obwohl die Bedingungen dafür katastrophal waren. Aufgenommen hat Kramer die neuen Lieder gemeinsam mit dem Multiinstrumentalisten und Produzenten Max Wintersperger in seinem ehemaligen WG-Zimmer. Nur für das Schlagzeug, die Streicher und Bläser hat man sich ein Studio genommen. Mit Mikrofonständern, Decken und Gaffa-Tape haben sich die beiden ihr eigenes Heimstudio gebastelt – nicht aus einer romantischen Homerecording-Idee heraus, sondern weil es  nicht anders möglich war. Ein Studio konnten sich die Musiker für die Aufnahmen nicht leisten – vor allem, so Kramer, weil man beim Arrangieren nichts überstürzen und lieber viel Zeit ins Experimentieren stecken wollte. „Das Geld hat niemand“, sagt Kramer lakonisch, außer die großen Plattenfirmen, die dann aber ein Wörtchen bei den Songs mitreden möchten. Für ihn sei das keine Option: „Ich möchte die Kontrolle über meine Arbeit haben“, sagt er. Immerhin seien das seine Lieder – und seine Texte.

Ich habe mich so viel mit der Gitarre und generell mit Musik beschäftigt, dass beim Songwriting gewisse Dinge unbewusst passieren können.

Und wie klingen die zehn neuen Kompositionen? Kramer spielt reduzierte Miniaturen, verbindet Folk-Gitarren mit Drum-Machines und befreit sie von allem überflüssigen Ballast, nur um im richtigen Moment auf opulente Arrangements zu setzen. Man hört: Wiener Chanson, Gitarren-Geschrammel, Sprechgesang und sympathisch verrutschte Beisl-Stimmung, die manchmal nach Element of Crime und den Eels klingt.

Kaputte Träume

Seine Songs sind short stories, die aus Beobachtungen und der Beschäftigung mit einem Thema entstehen, aus der jede Hörerin, jeder Hörer eine eigene Geschichte lesen kann: „Oft merke ich aber auch nach ein paar Jahren, dass ich ein Lied für mich selbst gesungen habe.“ Thematisch zeigt sich Kramer vielschichtig, changiert zwischen ernsten Themen (Klimakrise, Ukraine-Krieg, Wiener Terrornacht, Sexismus) und den Herausforderungen des Alltags (Karriere, Selbstdarstellung und Beziehungen), auf die er ironisch blickt, dabei nicht spöttisch klingt, den Finger aber gern in die sprichwörtliche Wunde legt. Im zentralen Song „Sie“ seziert Kramer eines seiner Lieblingsthemen: Kapitalismus-Konformität und der kaputte american dream. Denn es wird nicht erzählt, was nach dem Erfolg kommt und auch nicht, was ein Pop-Superstar wie Billie Eilish macht, wenn die Scheinwerfer gerade nicht auf sie scheinen. „Vielleicht geht es ihr auch nicht so gut?“

Eigene Lieder hat Kramer schon als Kind geschrieben. Auch wenn ihn die Texte von früher („Großes Hitpotenzial!“) noch heute amüsieren. Später hat er E-Gitarre gelernt, sich für Jazz interessiert und als Teenager in unterschiedlichen Bands gespielt. Ganz klassisch. Später studierte er Gitarre, fühlte sich beim Interpretieren klassischer Stücke aber nicht wohl, konzentrierte sich lieber auf Komposition. „Ich habe mich so viel mit der Gitarre und generell mit Musik beschäftigt, dass beim Songwriting gewisse Dinge unbewusst passieren können.“ Es gehe Kramer eben nicht darum, besonders virtuos zu musizieren, sondern um eine Freiheit im Spiel. Und da halte er sich an den US-Jazz-Gitarristen John Abercrombie und die einfache, aber wirksame Formel: Learn, apply, forget – sprich: Lern es, wende es an, und vergiss es dann wieder.

Felix Kramer: „Oh wie schön das Leben is“ (Phat Penguin)

Neben der Musik hat er aber auch noch eine neue Leidenschaft entdeckt: das Schauspiel. Gerade hat er den letzten Drehtag für seinen ersten Kinofilm absolviert. In „How to be normal“ des Grazer Regisseurs Florian Pochlatko spielt er an der Seite von Elke Winkens, Cornelius Obonya und Luisa-Céline Gaffron; der Film soll nächstes Jahr in die Kinos kommen. Weitere Angebote? Nicht ausgeschlossen! Und hier füge sich für den Musiker, nach Jahren des Zauderns und des Zweifels, alles zusammen. Denn das Spielen in einem Film sei für ihn nicht viel anders, als im Studio zu stehen.

Ein Outing

Letztes Jahr hat er sich als bisexuell/queer geoutet – und das war ein Prozess, der ihn vor allem selbst beschäftigt hat. Denn die bohrende Frage, die ihn jahrelang umgetrieben hat, war: Könne er dazu stehen? „Warum habe ich das als Musiker nie thematisiert, warum habe ich das bewusst verschwiegen?“, fragt sich Kramer heute. Die Zeiten änderten sich so schnell; an vielen Schulen sei es längst Alltag, dass trans Personen und queere Menschen sich offen zeigen. In seiner eigenen Schulzeit war das noch viel schwieriger, meint Kramer. Da sehe er auch eine Verantwortung, eine Vorbildwirkung als Person, die in der Öffentlichkeit steht. „Mir hat das geholfen zu sehen, es gibt auch andere, die so sind.“ In Zukunft will er sich neben seinen Liedern vermehrt auf das Komponieren von Filmmusik konzentrieren. Und sollte das alles mit der Kunst irgendwann doch nicht mehr funktionieren, meint Felix Kramer noch lachend, würde er einfach als Schokoladeverkäufer arbeiten. Rational erklären könne er diesen Plan B nicht, meint er. Für ihn sei es schlicht eine schöne Vorstellung, „wenn die Menschen glücklich aus dem Geschäft gehen“. Ein bisschen ist das wie mit der Musik.

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.