Kolumne

Vibratoren, Dildos, Body-Mods: Leiterplatten der Leidenschaft

Auf die Technik kommt es an! Ein kleiner geschichtlicher Exkurs im Sinne teledildonischer Bastel-Futuristik.

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Im Diskurs über die menschliche Geschichte können wir nicht umhin, auch die Entwicklung von Sexualität, Pornografie und Sexspielzeug zu berücksichtigen. Angefangen bei prähistorischen Vulva-Höhlenmalereien bis hin zu den modernsten 360-Grad-Gonzo-Livestreams: Technologie, Medien und Sex waren stets untrennbar miteinander verknüpft, denn es gibt zwei grundlegende Fakten über unsere Spezies, die wir nicht ignorieren dürfen: Menschen sind sexuelle Wesen – und sie nutzen Werkzeuge. (Der Rest ist eher Spekulation.) Unsere Sinnlichkeit wird durch neue Medien und Technologien stets verändert, aber auch umgekehrt. Und das kann ich echt bezeugen, denn ich organisiere seit 2007 ein Festival namens Arse Elektronika, das sich mit der Vergangenheit und Zukunft von Eros und Technologie beschäftigt.

Nur ein paar Beispiele: Im alten China waren Dildos etwa aus Porzellan, aber ihre Ursprünge reichen noch weiter zurück. In einer Höhle in Baden-Württemberg wurde ein 28.000 Jahre alter Steinphallus entdeckt. Die subjektive Wahrnehmung dessen, was als Pornografie angesehen wird und was nicht, hat sich jedoch seit der Renaissance mit dem Wechsel der Stilepochen stark verändert. Die Medien, auf denen lüsterne (hüstel!) Inhalte dargestellt wurden, natürlich auch: von Kupferstichen zu Hentai-VR, von Tuschezeichnungen zu OnlyFans-Profilen.

Einige neue Medien wurden sogar speziell mit dem Gedanken an ihre Verwendung für „verbotene“ Inhalte entwickelt. Ein Beispiel dafür ist die Sofortbildkamera. Obwohl bereits 1947 erfunden, erlangte sie erst in den 1960er-Jahren eine größere Popularität. Die Polaroid-Kamera wurde sogar als „Swinger“ vermarktet, eine Anspielung sowohl auf die „Swinging Sixties“ als auch auf das Swingen im sexuellen Kontext. Einige der Fotos, die in privaten Haushalten aufgenommen wurden, sollten bewusst nicht zur Entwicklung in ein Fotolabor gebracht werden: die ersten DIY-Pornobilder. Das VHS-Format wiederum konnte sich vor allem dank der Unterstützung der Pornoindustrie als dominierendes Videosystem etablieren. Wegen günstigerer Lizenzgebühren als bei den (technisch viel besseren) Konkurrenzsystemen wurden mehr explizite Inhalte auf VHS veröffentlicht, und voilà: Marktanteil as fuck!

Auch der Internet-Boom der 1990er-Jahre ist stark dem Bedürfnis nach schnellem und privatem Zugriff auf Bild- und Videomaterial zuzuschreiben. An einem Punkt der Geschichte waren 80 Prozent des Internet-Traffics erotischen Inhalts, berichtet David Kushner in seinem Sachbuch „The Players Ball“. Viele der frühen Internet-Innovationen wurden von Porno-Entrepreneur:innen entwickelt und implementiert. Kleine, technikaffine Unternehmen agierten wie Mini-Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, und selbst heute noch liegen viele Patente bei Personen, die sie damals konzipiert hatten.

 

Technologie bietet die Möglichkeit, uns selbst neu zu erfinden. Neue Sexspielzeuge etwa eröffnen auch neue Möglichkeiten für gesellschaftlich unterrepräsentierte Gruppen und deren Bedürfnisse.

Technologie bietet die Möglichkeit, uns selbst neu zu erfinden. Neue Sexspielzeuge etwa eröffnen auch neue Möglichkeiten für gesellschaftlich unterrepräsentierte Gruppen und deren Bedürfnisse. Bis die Industrie diesen Markt für sich erkannte und individuelle Sexspielzeuge als massentauglich und vermarktbar ansah, spielte der Do-it-yourself-Ansatz eine entscheidende Rolle. Menschen können erstaunlich kreativ sein, wenn es um ihr leibliches Wohl geht. Wir tun alles, um unsere Vorlieben und Fetische zu erfüllen. Ein Beispiel ist ein Freund von mir aus Kalifornien, der mehr als zwölf Jahre daran gearbeitet hat, den perfekten vibrierenden Butt-Plug zu entwickeln – nur als Beispiel dafür, dass kreative Energie nicht unterschätzt werden sollte, wenn es um unsere Kinks geht. Auch trans Personen sind daran interessiert, dass für ihre neuen Körperformen spezifische Sexspielzeuge entwickelt werden, die der Hetero-Mainstream nicht bietet. Hier greifen sie oft selbst zu Leiterplatten-Bausets und Lötkolben, um individuell abgestimmte Tools zu kreieren, die ihren neuen biologischen Realitäten besser entsprechen. Die sexuelle Landschaft kann durch patriarchale Machtstrukturen einseitig und verzerrt wirken, doch es gibt das Potenzial, diese Dynamik zu verändern.

Sie ermöglicht es uns, uns selbst neu zu definieren, indem sie individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse hervorhebt, die sonst unterrepräsentiert wären. Selbst die Verhütungspille ist sex tech, revolutionäre noch dazu, und zeigt, dass Wissenschaft und Innovation Raum für das Neudenken unseres Lebens und unserer Körper bieten. Da sind Druckwellenvibratoren, Teledildonik, Fucking-Machines und Body-Mods nur der Anfang.

In einer offenen Gesellschaft sollte es längst akzeptiert werden, dass die Bandbreite menschlicher Empfindungen und Sexualitäten unendlich groß und komplex ist. Die Frage, ob Render-Porn und smarte Sexpuppen menschlichen Kontakt „degenerieren“ können, ist genauso kulturpessimistisch wie die Aussage des Komponisten John Philip Sousa von 1906, dass selbstspielende Pianos uns zum Affen zurückverwandeln werden. Na ja. Viel besser: Get it on!

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.