Kolumne

Von Krisen, Siechtum und Katastrophen kündenden Unwetterwolken

Ein durch das electropostale Netzwerk gesandter Warnruf in den Zeiten des Unheils, die Nachwehen einer Pestilenz vorausgesagt in anno MMXX durch den Nostradamus von Wien-Margareten.

Drucken

Schriftgröße

Als sich der Tag des 21. März A. D. 2020 seinem Ende näherte, ward es mir ob der gegebenen Umstände nötig, folgende Philippika ins Gesichtsbuch einzuspeisen. Für mein vermeintlich düsteres Zungenschlagen (in uranfänglich angelsächsischer Sprache) ward ich in den Kommentaren der Leser:innenschaft heftigst gescholten.

„Leute, ich verstehe, dass es eine Möglichkeit ist, mit der aktuellen Situation umzugehen, aber es gibt absolut keine Anzeichen dafür, dass Covid-19 als (Zitat) ‚Segen‘ oder ‚Weckruf‘ oder ein ‚Katalysator für unumkehrbare Veränderungen‘ gesehen werden kann oder dass es ‚die Gesellschaft auf dramatische Weise‘ umgestalten wird. Ich lese in Posts, dass wir mit einer ‚beispiellosen Gelegenheit‘ beschenkt sind, nicht nur auf die Pause-Taste zu drücken und den Schmerz vorübergehend zu lindern, sondern die Regeln dauerhaft zu ändern.

Wird Corona unsere Art der Kommunikation verändern? Ja, vielleicht. Wird es unsere Wahrnehmung von Tele-Medizin verändern? Ja, vielleicht. Wird es uns über neue elektronische Wahlsysteme nachdenken lassen? Ja, vielleicht. Die Liste ist lang und hoffnungsschwanger. Aber wird es wirklich die Art und Weise, wie wir Arbeit, Ressourcen, Eigentum und unsere Wahrnehmung von Natur und Klima betrachten, verändern? Das magische Denken, dass Covid die Art und Weise, wie die Menschheit über die Welt denkt, verändern wird, ist … nun, magisches Denken. Das wird es nicht spielen.

Covid ist eine weitere Krise des Kapitalismus, und eine große. Ich darf daran erinnern, dass es eine Sache gibt, die der Kapitalismus mag: eine Krise. Und eine Sache, die er noch mehr mag: eine große Krise. Eine Krise, um Marx’ ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ zu bemühen, ist die konzentrierte Explosion aller Widersprüche der kapitalistischen Produktion. Um die Krise als solche konkret zu begreifen, muss man zunächst alle Widersprüche der kapitalistischen Produktion nach ihren internen Beziehungen entfalten. Wir haben jetzt einen Logenplatz.

Ich darf daran erinnern, dass es eine Sache gibt, die der Kapitalismus mag: eine Krise. Und eine Sache, die er noch mehr mag: eine große Krise.

Eine Krise ist eine große Säuberung. Die Kräfte des Marktes werden sich auf die Schwachen und Machtlosen stürzen: seien es Unternehmen oder Menschen oder Ökosysteme. Sie saugen sie aus, fressen sie auf wie Cthulhu, lassen sie verrotten wie leere Karkassen. Und es geschieht bereits. Wir werden Firmenfusionen und Konkurse sehen, die uns umhauen werden. Ich schätze die Geste, wenn die Leute sagen: ‚Wir werden alle lokale Produkte kaufen! Und uns alle um das Klima kümmern! Und um biologische Vielfalt! Wir werden unsere Lektion gelernt haben und nicht in den Urlaub auf die Malediven fliegen!‘ Ich verstehe, dass wir uns nach einem transformativen Funken sehnen, aber ich sehe ihn weit und breit nicht. Ich sehe verängstigte Menschen, misstrauisch gegenüber einander, die sich an Toilettenpapier klammern.

Ich spreche noch nicht einmal von den 663 Millionen Menschen, die keinen einfachen Zugang zu sauberem Wasser haben, und den 2,4 Milliarden Menschen, die keinen Zugang zu Sanitäreinrichtungen haben. Wir werden das als Spezies zweifelsohne durchstehen, und hoffentlich wird die Zahl der Todesfälle niedrig sein. Und manche Zeitgenoss:innen werden ihr Verhalten wirklich ändern. Aber das wird aus einer Position des Privilegs und des liberalen Lebensstils heraus geschehen, und es wird global gesehen nicht genug von ihnen geben. Die Ungleichheit wird sich vergrößern. Die meisten Menschen sind arme Schlucker in schrecklichen Jobs, und die meisten werden froh sein, sie behalten zu können. Veränderungen werden sie sich nicht leisten können.

Werdet euch gewahr, dass wir in den Strudel einer riesigen Rezession schlittern. Die US-Wirtschaft wird nicht ‚wie eine Rakete abgehen‘, um Trump zu zitieren. Ja, vielleicht eine, die vom Himmel fällt. Die meisten Leute werden die billigsten Produkte kaufen, weil die lokalen und umweltfreundlichen zu teuer sein werden. Finanzielle Sicherheiten werden fehlen. Einige werden es gut haben, aber viele werden mit Arbeitsunsicherheit und familiären Belastungen zu kämpfen haben, vor allem Einzelverdiener-Haushalte. Die sind weniger in der Lage, von zu Hause aus zu arbeiten und eher im Service- oder Liefersektor beschäftigt (noch höheres Risiko?).

Und ihre Kinder werden keinen Zugang zu guter Bildung haben, zum Beispiel weil sie keinen Zugang zu ordentlichem High-Speed-Internet haben. Ich stimme zu, dass es stärkere nationale Lieferketten geben wird, aber das ist Teil des klassischen Musters nationaler Konkurrenz. Diese wird nicht in ein Post-Corona-Hippietum zerfallen, im Gegenteil: Sie wird sich intensivieren. In einigen Fällen wird sie eskalieren, und die extreme Form nationaler Konkurrenz nennen wir ‚Krieg‘. Es ist natürlich unmöglich für mich, dies zu beweisen. Ich habe keine Kristallkugel. Aber ein Blick auf die Krisen der letzten 120 Jahre zeigt mögliche Szenarien. Ich hoffe, ich habe unrecht. Reden wir in drei Jahren noch mal.“

So mögen wir itzo hierüber parlieren.

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.