Elfriede Hammerl

Weltweite Verschärfungen der Abtreibungs-Gesetze

Texas: Vergewaltiger dürfte die Vergewaltigte wegen Abbruchs vor Gericht bringen.

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Seit 1. September ist in Texas ein neues Gesetz in Kraft, das Schwangerschaftsabbrüche praktisch unmöglich macht, weil es sie ab der sechsten Schwangerschaftswoche streng verbietet – auch im Fall von Vergewaltigung und Inzest. Da die meisten Frauen vor der sechsten Schwangerschaftswoche gar nicht wissen, dass sie schwanger sind, läuft das auf ein Totalverbot von Abbrüchen hinaus. Besonders abstoßend ist, dass die texanische Regierung ein Kopfgeld ausgesetzt hat – auf Frauen, die abtreiben, und auf alle, die ihnen dabei in irgendeiner Weise behilflich sind, bis hin zum Taxifahrer, der die ungewollt Schwangere zu einem Arzt bringt.

Das Kopfgeld beträgt 10.000 Dollar, und es zu kassieren ist ganz einfach. Das neue Gesetz erlaubt nämlich beliebigen Privatpersonen, betroffene Frauen und alle, die in den Abbruch auch nur entfernt involviert sind, anzuzeigen. Theoretisch könnte sogar ein Vergewaltiger die von ihm vergewaltigte Frau vor Gericht bringen, wenn sie abtreibt. Absurd? Nicht ganz, wenn man die hohe Prämie bedenkt und dass er die Vergewaltigung mit guten Erfolgsaussichten abstreiten kann, angesichts eines frauenfeindlichen Klimas und einer Gerichtsbarkeit, die immer stärker unter dem Druck reaktionärer Politiker:innen und eines Obersten Gerichts mit – dank Trump – erzkonservativer Mehrheit steht.

Hätten wir so was für möglich gehalten? Wahrscheinlich nicht. Und das ist ein Fehler.

Texas ist nicht der einzige US-Bundesstaat, in dem das Abtreibungsgesetz verschärft wurde. Seit Jahresbeginn rollt eine Welle an Restriktionen durch die USA. Das Guttmacher Institute in Washington (ein Non-Profit-Recherchezentrum) nennt 550 Einschränkungen, die in 47 Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche erschweren oder verhindern sollen, 70 sind bereits gesetzlich in Kraft getreten. Präsident Biden hat zwar angekündigt, gegen das texanische Gesetz vorzugehen und zu verhindern, dass die US-Grundsatzentscheidung „Roe vs. Wade“ gekippt wird, die den Schwangerschaftsabbruch unter das Recht auf Privatsphäre stellt, aber im Bible Belt und generell unter Republikanern kommt die militante Entmündigung schwangerer Frauen gefährlich gut an.

 Der texanische Irrsinn ist nur der vorläufige Höhepunkt von Bestrebungen, die sich weltweit und länderweise auch in Europa abzeichnen und die darauf hinauslaufen, Frauen wieder stärker in die Gebärpflicht zu nehmen. 32 Staaten (darunter die USA, Brasilien, Ägypten, Uganda sowie Ungarn und Polen) unterzeichneten im vorigen Oktober die „Geneva Consensus Declaration“, in der festgehalten wird, dass es „kein internationales Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ gebe. Polen, das schon immer besonders rigide Gesetzesbestimmungen hatte, zog die Schrauben im vorigen Winter noch einmal an, sodass ein Abbruch nur mehr möglich ist, wenn Gefahr für das Leben der Schwangeren besteht. Man und vor allem frau darf befürchten, dass diese Gefahr nicht immer rechtzeitig erkannt werden wird, zumal Vize-Ministerpräsident Jarosław Kaczyński erklärt hat, Frauen, die abtreiben, würden das Polentum zerstören. In Deutschland kommen Gynäkolog:innen, die auf ihrer Website angeben, dass zu den von ihnen angebotenen medizinischen Leistungen auch Schwangerschaftsabbrüche gehören, wegen unzulässiger „Werbung“ vor Gericht.

"Es geht ganz schnell, den Frauen die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit zu entziehen."

Also: Alles ist möglich. Wir sollten uns nie in Sicherheit wiegen.

50 Jahre ist es heuer her, dass Alice Schwarzer ihren legendären „Stern“-Cover „Wir haben abgetrieben!“ initiiert hat. 374 Frauen, darunter so prominente wie Romy Schneider und Senta Berger, bekannten sich damals öffentlich zu einem Schwangerschaftsabbruch (der zu dieser Zeit noch unter strenger Strafe stand). Sie taten das nicht, um Abbrüche zu bagatellisieren oder als Mittel der Geburtenkontrolle zur propagieren, sondern um klarzumachen, dass es Situationen gibt, in denen Frauen sich mit gutem Grund gegen eine Schwangerschaft entscheiden, und dass es den Frauen überlassen bleiben muss, welche Entscheidung sie treffen. Die nachfolgende Selbstbestimmungsdiskussion führte zu liberaleren Gesetzen, in Deutschland zu einer Indikationslösung, in Österreich zur Fristenregelung.

Mittlerweile ist die Fristenlösung im öffentlichen Bewusstsein als Selbstverständlichkeit verankert, und wie alle Errungenschaften, die nicht mehr als solche empfunden werden, stößt sie teils auf Desinteresse und teils auf Kritik. Die Kritik kommt nicht mehr nur von den alten Konservativen, die immer schon dagegen waren, sondern inzwischen auch von einer jüngeren urbanen Schickeria. Durch Herkunft und Ausbildung gut abgesicherte junge Frauen haben sich eine herablassende Haltung zugelegt, derzufolge es völlig unverständlich sei, ein Kind nicht zu bekommen, wenn man schwanger ist. Diese Haltung arbeitet all denen zu, die von Frauen fatalistische Ergebenheit in ihre angebliche natürliche Bestimmung erwarten und zur Not auch erzwingen wollen.

 Warnung: Es geht, wie wir sehen, ganz schnell, den Frauen die Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit zu entziehen. Und es dauert unter Umständen lang, bis sie sie wieder bekommen.