Kolumne

Wer hat Angst vor der KI?

Künstliche Intelligenz wird oft verteufelt – dabei sind ihre Gefahren andere, als manch besorgter Tweet vermuten lässt.

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Vor ein paar Tagen sorgte die EU-Kommission für Gelächter auf Twitter, pardon: X. Dort schrieb der offizielle Account der Einrichtung: „Das Risiko des Aussterbens durch KI (Anm.: künstliche Intelligenz) einzudämmen, sollte eine globale Priorität sein. (…)“ In weiterer Folge beschrieb der Account, welche neuen Regeln die Kommission vorsieht. Dass ein offizieller Kanal der EU allen Ernstes vom „Risiko des Aussterbens durch KI“ spricht, erntete überraschte Reaktionen bis hin zu Spott.

Der Hintergrund ist nämlich: Natürlich gibt es bei vielen Menschen ein Gefühl der Verunsicherung, wenn sie über die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz nachdenken. Aber diese Art Untergangsgerede, dass eine KI uns Menschen gar auslöschen könnte, passt eher ins Feld der Science-Fiction als zu den heutzutage drängenden politischen Herausforderungen. Konkret gibt es im Feld der künstlichen Intelligenz schon jetzt reale Missbrauchsmöglichkeiten und Schattenseiten, die aber nicht bedeuten, dass die Menschheit bedroht ist.

Ein Beispiel: Vielleicht haben Sie von der Anwendung „HeyGen“ gehört. Man kann dort ein Video hochladen, in dem eine Person beispielsweise Deutsch spricht. Die Anwendung übersetzt die Worte in andere Sprachen – wie Englisch, Arabisch, Hindi. Ton und Video werden dabei so angepasst, dass es nach der eigenen Stimme klingt und sich auch die Lippen passend zur jeweiligen Sprache bewegen. Das ist schon ein beeindruckendes Tool: Es ermöglicht, dass Influencer:innen etwa ein Video aufnehmen und denselben Inhalt in anderen Sprachen als Video übersetzen. Gleichzeitig kann dadurch der Eindruck entstehen, jemand spricht Arabisch, Deutsch oder Hindi, ohne dass die Person auch nur ein Wort der Sprache beherrscht. Bedroht so eine Software das Weiterleben der menschlichen Spezies? Wohl kaum. Sollten wir über die gesellschaftlichen Auswirkungen derartiger Anwendungen diskutieren? Unbedingt!

Denn die Gefahr besteht, dass ferne dystopische Zukunftsszenarien über künstliche Intelligenz uns davon ablenken, welche realen Probleme und Missbrauchsmöglichkeiten schon jetzt bei ihr existieren. Ich fürchte mich weniger davor, dass morgen, übermorgen oder in fünf Jahren die KI den Planeten übernimmt, als davor, dass wir zum Beispiel kommendes Jahr im Wahlkampf neue Formen von Video-Manipulation und Fake-Artikel sehen, die mit künstlicher Intelligenz erstellt wurden.

Die Gefahr besteht, 
dass ferne dystopische Zukunftsszenarien über künstliche Intelligenz uns davon ablenken, 
welche realen Probleme und Missbrauchsmöglichkeiten von KI schon jetzt existieren.

Ingrid Brodnig

Fairerweise möchte ich anmerken: Ich denke, die EU-Kommission wurde in dem Fall auch über Gebühr kritisiert. Es handelte sich hier um einen ungeschickt formulierten Tweet, der für sich genommen suggeriert, die Kommission hätte zu oft „Terminator“ angeschaut. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Einrichtungen der Europäischen Union bereits intensiv und durchaus komplex über künstliche Intelligenz diskutieren. Derzeit finden die letzten Verhandlungen der Kommission, des EU-Parlaments und des Rats über den „AI Act“ statt, eine Verordnung über künstliche Intelligenz, welche die weltweit erste umfassende Regulierung rund um KI darstellt. Künftig sollen Tools der künstlichen Intelligenz gemäß ihrem Risiko eingestuft werden.

Das EU-Parlament hat sich etwa dazu entschieden, dass Gesichtserkennung in Echtzeit im öffentlichen Raum verboten sein soll. Wohingegen ein Chatbot, dem man online Fragen stellen oder Aufgaben übertragen kann, ein vergleichsweise „begrenztes Risiko“ darstellt – doch auch bei solchen Tools soll es Transparenz-Auflagen geben, sodass Menschen erkennen können, wenn ein Inhalt von einer Software erstellt wurde. Natürlich gibt es auch Kritik oder Ergänzungsvorschläge zu den neuen Regeln: Die Organisation AlgorithmWatch fordert beispielsweise, dass einzelne Begriffe klarer definiert werden müssen, um so keine Schlupflöcher für Technikunternehmen zuzulassen. Man findet das gesamte Papier der Organisation unter algorithmwatch.org/de/der-ai-act-und-general-purpose-ai.

Es mag also ein bisschen unfair sein, dass der Tweet der EU-Kommission auf so viel Gespött stieß. Aber man muss eben sagen, dass die Kommission sich selbst in die Mitte eines riesigen Streitthemas manövrierte, denn einige Expert:innen, etwa die Informatikerin Timnit Gebru, befürchten, dass Tech-Unternehmen lieber über solche ferner liegende, dystopische Szenarien diskutieren wollen, als eine Debatte darüber zu führen, welche konkreten Auswirkungen ihre Software schon jetzt auf uns hat. Zum Beispiel kann es sein, dass Strafverfolgungsbehörden zur Ausforschung Verdächtiger KI-Tools nutzen, welche Personen mit schwarzer Hautfarbe oder auch Frauen diskriminieren – diese Tools also zu häufig zu falschen Verdächtigungen bei diesen Personengruppen führen. Ebenso lässt sich darüber diskutieren, ob es unfair ist, dass viele Anwendungen der künstlichen Intelligenz mit riesigen Datenmengen entwickelt wurden, bei denen es sich oft um Bücher, Artikel, Bilder Dritter handelt, die urheberrechtlich geschützt sind und nun kommerziell von solchen Unternehmen verwertet werden. Der Überlegung stimme ich zu: Es ist sicher sinnvoll, ab und zu über Zukunftsträume oder Zukunftsängste nachzudenken – aber allem voran sollten wir bereits vorhandenen Probleme ernsthaft besprechen.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.