Wie lange wollen wir uns die Reichen noch leisten?
Dabei liegt die Lösung längst auf dem Tisch. Österreich hat die höchste Vermögensungleichheit im gesamten Euroraum. Die reichsten fünf Prozent der Haushalte besitzen 55 Prozent des gesamten privaten Nettovermögens. Beim Unternehmensvermögen ist die Konzentration noch extremer: 95 Prozent gehören dem reichsten Zehntel. Und trotzdem gibt es in Österreich keine Vermögenssteuer. Keine Erbschaftssteuer. Keine wirksame Beteiligung jener, die sich die Lasten der Budgetsanierung am leichtesten leisten könnten.
Die Debatte wird stattdessen auf dem Rücken der Allgemeinheit geführt: weniger Sozialausgaben, weniger Leistungen, weniger öffentliche Investitionen. Wer Kinder betreut, Angehörige pflegt oder auf funktionierende Schulen angewiesen ist, soll den Preis für die politische Weigerung zahlen, das Offensichtliche zu tun: endlich Reichtum angemessen zu besteuern.
Auch ökonomisch ist das fatal. Denn Reichtum liegt nicht nur ungleich verteilt – er liegt auch brach. Haushalte mit hohem Einkommen und Vermögen haben eine sehr hohe Sparquote. Zusätzliche Einnahmen fließen bei ihnen nicht in den Konsum, sondern in Wertpapierdepots, Immobilien oder Stiftungen. Dieses Kapital nützt der Konjunktur nicht. Im Gegenteil: Gerade in einer Phase schwachen Wachstums – wie sie Österreich seit Jahren durchläuft – bräuchte es eine gezielte Umverteilung von oben nach unten. Wer wenig bis durchschnittlich verdient, muss sein Einkommen für Miete, Essen, Heizen wieder ausgeben – jeder zusätzliche Euro fließt direkt zurück in den Wirtschaftskreislauf und stabilisiert so Nachfrage, Beschäftigung und Steuereinnahmen. Durch eine gerechte Vermögensbesteuerung könnte man die extrem hohen Sparquoten der Wohlhabenden teilweise in Konsumausgaben der breiten Bevölkerung umwandeln. Wer auf sie verzichtet, schwächt nicht nur die Einnahmenseite des Staates, sondern auch dessen wirtschaftliche Erholung.
Allein eine Reform der Grundsteuer, eine Vermögenssteuer ab einer Million Euro Nettovermögen, eine angemessene Erbschaftssteuer, eine Rückkehr zur früheren Körperschaftsteuer sowie ein temporärer Solidarbeitrag für Spitzenverdiener könnten gemeinsam rund 17 Milliarden Euro jährlich generieren.
Jenseits von Zahlen und ökonomischen Effekten steht noch ein fundamentaler Wert auf dem Spiel: die Demokratie. Wer Milliarden besitzt, kann sich politischen Einfluss leisten. Über Parteispenden. Über Medienbeteiligungen. Über Netzwerke, Zugänge, Lobbying. Reichtum in dieser Dimension ist nicht neutral – er ist politisch, ohne jemals von der Bevölkerung legitimiert worden zu sein. Während normale Bürger:innen nach dem Prinzip „ein Mensch, eine Stimme“ politisch gleich sein sollten, schaffen sich Superreiche durch ihr Geld ein Vielfaches an Stimme und Gehör.
Deshalb braucht es mehr als nur eine steuerliche Debatte. Es braucht eine gesellschaftliche Verständigung darüber, wie viel Macht, wie viel Einfluss, wie viel Vermögen in einer Demokratie überhaupt vertretbar ist. Die Tatsache, dass zwei Drittel der 100 reichsten Österreicher:innen ihren Reichtum schlicht geerbt haben, verdeutlicht, dass nicht Leistung, sondern Geburt über soziale Positionen und Einfluss entscheidet. In einer Gesellschaft, in der die Geburt mehr zählt als Leistung, ist eine bloße Verteilungspolitik zu kurz gedacht. Notwendig ist eine gesellschaftliche Debatte über Grenzen privaten Reichtums – nicht aus Neid, sondern zum Schutz unserer Demokratie. Radikal ist nicht die Forderung nach Grenzen, sondern die Ignoranz gegenüber der demokratiepolitischen Gefahr der extremen Vermögenskonzentration hierzulande.