Junger Bursche sitzt auf Angklagebank vor Gericht und hebt drei Finger hoch, den Serbengruß.
Morgenpost

1500 Einbrüche: Österreichs kriminellster Jugendlicher vor Gericht

Er wollte „nur cool sein“ und beging in den letzten eineinhalb Jahren mit seinen Freunden mehr als 1500 Einbrüche. Nun wurde der 14-jährige „Systemsprenger“ erneut verurteilt.

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Im Gerichtssaal ist es stickig. Alle Stühle sind besetzt, das Gedränge groß. Menschen stehen an den Wänden, Reporterinnen hocken auf dem Boden. Dann ein kurzer Wortwechsel zwischen Richterin und Justizwache: „Feuerpolizeilich ist das nicht in Ordnung“, sagt sie. Zu viele Leute sind an diesem Dienstagvormittag im Verhandlungssaal 204 am Wiener Landesgericht.

An diesem Tag treffe ich auch Edin wieder. Zweimal hat er Treffen platzen lassen, ohne vorher Bescheid zu geben. Einmal kam er 20 Minuten zu spät. Auch heute ist er nicht pünktlich. Er steht mit seinen Freunden nur kurz im Verhandlungssaal, dann müssen sie wieder raus. Drinnen ist es überfüllt. Wegen Silvio. Alle sind an diesem Tag seinetwegen da. Die Politik nennt Silvio einen „Systemsprenger“. Ein Etikett für auffällige Intensivtäter, die besonders viele Straftaten begangen haben. Silvio ist im März erst 14 Jahre alt geworden – seine Liste an Straftaten liest sich aber so, als wäre er um einiges älter. Er hat mit seinen Freunden in den vergangenen eineinhalb Jahren laut Polizei über 1500 Einbrüche verübt. Die jungen Burschen sind in Geschäfte, Apotheken, Lokale und Autowerkstätten eingebrochen. Sie haben Autos gestohlen und sie zu Schrott gefahren. Das ist auch der Grund, warum er an diesem Tag auf der Anklagebank sitzt. Für die aktuelle profil-Covergeschichte haben meine Kolleginnen Natalia Anders, Clara Peterlik und ich recherchiert, wie es in der Welt der kriminellsten Kinder Österreichs aussieht. So habe ich Edin kennengelernt und mehr über Silvio erfahren. Die Jugendlichen heißen nicht wirklich so.

Rechtskräftig verurteilt

Im April wurde Silvio bereits zum ersten Mal rechtskräftig verurteilt: zehn Wochen Haft. Dass er gestern, beim zweiten Prozess, eine Zusatzstrafe ausfassen wird, war im Vorhinein absehbar. Neun Monate und zwei Wochen, teilbedingt, sind wegen schweren gewerbsmäßigen Einbruchs und krimineller Vereinigung obendrauf noch dazugekommen. Auch dieses Urteil ist rechtskräftig. Mitten in der Urteilsverkündung reißen Edin und seine Freunde plötzlich die Tür des Saals auf und laufen davon. Immer wieder stören sie die Verhandlung. „Ich will mit Silvio ein schönes Foto machen, wenn er rauskommt“, sagt Edin. „Für Insta.“ Ein anderer fragt: „Darf ich ihm Snus geben, wenn er aus dem Saal kommt?“ Auch die Zeugen benehmen sich nicht besser. Einer der Burschen, gerade einmal 13 Jahre alt, also nicht strafmündig, tritt vor die Richterin, als hätte er seine Rolle in einem schlechten Film eingeübt. Ich erkenne ihn wieder, von einem Video eines Apothekeneinbruchs in der Längenfeldgasse. „Wissen Sie was? Ich verweigere meine Aussage“, sagt er. Die Richterin bleibt ruhig: „Das kann ich Ihnen nicht anbieten. Sie sind Zeuge und haben die Aufgabe, wahrheitsgemäß auszusagen.“

Keine Reue, nur Trotz

Ein anderer, er ist ebenfalls 13, will sich plötzlich an nichts mehr erinnern. „So alt bist du noch nicht, dass du an Gedächtnisverlust leidest“, sagt die Richterin darauf. Die Zuschauer fangen an zu lachen. Die Staatsanwältin nimmt ihre Brille ab und rollt mit den Augen. Silvio sitzt da und grinst. „Schau nach vorne oder auf den Boden. Benimm dich", mahnt ihn ein Justizwachebeamter. Es hilft nichts. Schon beim Betreten des Saals haben Silvio und sein 16-jähriger Komplize – er wird an diesem Tag zu 15 Monaten Haft verurteilt, zehn davon bedingt – gezeigt, wie wenig Eindruck die Verhandlung auf sie macht. Sie lächeln, posieren für die Kameras. Silvio streckt drei Finger in die Luft. Der Serbengruß – eine Geste mit nationalistischem Unterton. Was bleibt, ist ein Bild völliger Gleichgültigkeit. Kein Bedauern. Kein Begreifen. Nur Trotz. Silvio sagt, er will nach seiner Enthaftung die Schule abschließen, Tischler werden, sich von alten Freunden trennen. Schließlich wollte er mit seinen Aktionen „nur cool sein“. Es klingt wie ein Plan. Vielleicht sogar wie ein Wunsch.

Doch schon wenige Minuten später, nach dem Urteil, ist davon nichts mehr zu sehen. Seine Freunde jubeln ihm zu, lachen, filmen ihn mit ihren Handys. Silvio hebt die Hand – diesmal zum Peace-Zeichen. Ein letztes Bild für die Galerie. Dann wird er zurück in die Zelle gebracht.

 

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.