Was die Regierung mit ehemaligen Mauthausen-Außenlagern vorhat
Erinnern Sie sich noch an die Expertenregierung von Brigitte Bierlein? Das Kabinett sollte das Land unaufgeregt verwalten, nachdem Türkis-Blau an der Ibiza-Affäre und deren Folgen gescheitert war. Bierleins Kabinett war beliebt in der Bevölkerung. Endlich würden Personen übernehmen, die in ihrem jeweiligen Fach über viel Wissen verfügen. Politikwissenschaftler relativieren das aber bis heute, denn eine Regierung habe primär den Auftrag zu gestalten, Entscheidungen zu treffen – und in den allermeisten Fällen erfolgt das in Form von Gesetzen. Bierleins Regierung hat aber nicht nur verwaltet. Sondern auch eine grundlegende Entscheidung getroffen, die bis heute nachwirkt. Und sich auch im aktuellen Regierungsprogramm wiederfindet.
Wolfgang Peschorn war im Kabinett Bierlein Innenminister. Heute ist er Präsident der Finanzprokurator. Es war eine Zeit, 2019 war das, als der Druck auf Österreich im Umgang mit dem ehemaligen Konzentrationslager Gusen immer stärker wurde. Vor allem durch Polen. Denn die meisten der deportierten und ermordeten Häftlinge stammten von dort. Das offizielle Österreich tat sich lange schwer, wie mit dem ehemaligen KZ Gusen – dort, wo sich heute eine schmucke Wohnsiedlung mit Swimmingpools befindet – und seiner dunklen Geschichte umgegangen werden sollte. Also gab Peschorn den Auftrag, den Ankauf historisch wichtiger Grundstücke zu prüfen. Denn: „Natürlich hat Gusen eine europäische Dimension, aber es ist ein Ort in Österreich, und daher trägt Österreich die Verantwortung dafür“, so der Minister damals.
Wenige Jahre später, ab dem Sommer 2021, kaufte der Staat Österreich um in Summe rund vier Millionen Euro wichtige Grundstücke und Gebäude an. Danach setzte die KZ-Gedenkstätte Mauthausen einen Beteiligungsprozess mit Überlebendenverbänden, lokalen, nationalen und internationalen Interessensvertretern auf. Mehr als ein Jahr lang wurde gemeinsam erarbeitet, was in Gusen entstehen soll. Das Ergebnis: die bestehende Gedenkstätte (rund um das ehemalige Krematorium) soll um zwei weitere ausgeweitet werden und zu einer Bildungsstätte werden. Kostenpunkt: rund 65 Millionen Euro.
Die aktuelle Dreier-Koalition bekennt sich zu diesem Projekt und will noch weiter gehen.
Auf Seite 230 des Regierungsprogramms steht: „(...) verstärkter Fokus auf die über 40 Außenlager des ehemaligen KZ-Mauthausen und Errichtung und Sicherung des Betriebs der Lern- und Gedenkstätte Gusen.“ Was genau also hat die Regierung mit den mehr als 40 Außenlagern vor? Wird die Republik an diesen Standorten ebenfalls Grundstücke ankaufen und umfangreiche Gedenkstätten wie nun auch in Gusen errichten?
Konkret ist geplant, die ehemaligen Tatorte einheitlich zu kennzeichnen, durch die sogenannten „Außenlager-Stelen“: „Das sind vier Meter hohe Säulen bestehend aus Betondreiecken. Jedes der übereinander gesetzten Dreiecke steht für ein Außenlager des KZ-Systems Mauthausen. Die Form dieser einzelnen Elemente ist den sogenannten ‚Häftlingswinkeln‘ entlehnt, mit denen die Häftlinge in den Konzentrationslagern gekennzeichnet wurden. Auf den Dreiecken stehen die Namen der Orte, an denen ein Außenlager bestand, und jeweils auch die Kilometerangaben, wie weit sie vom jeweiligen Aufstellungsort entfernt sind“, sagt Barbara Glück, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Die Idee dahinter: All diese Tatorte sollen gut erkennbar sein, angebracht ist außerdem ein QR-Code, der zu weiteren Informationen führt. Solche Stelen gibt es bereits in Melk, Hirtenberg, St. Aegyd, Gunskirchen und ab dem heute auch in Mauthausen. Eines dieser ehemaligen Nebenlager, Gunskirchen in Oberösterreich, beschäftigt derzeit auch das Parlament.
Wie steht es um Gunskirchen?
Die Grünen stellten eine parlamentarische Anfrage an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), um zu erfahren, was die Republik dort plant: „Angesichts der positiven Erfahrungen mit ähnlichen Projekten wie in Gusen ist es von öffentlichem Interesse zu erfahren, welche Schritte das BMI plant, um eine vergleichbare Lösung für Gunskirchen umzusetzen.“ Entsteht dort demnächst eine Gedenkstätte wie in Gusen?
Eher nicht. Denn Verhandlungen über einen Grundstückskauf des Waldes in Gunskirchen würden derzeit nicht stattfinden, antwortet ein Sprecher des Innenministeriums auf profil-Anfrage. Barbara Glück erklärt auch, warum es das nicht überall braucht – und wie Gedenken künftig, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, funktionieren kann: „Wichtig für uns ist, dass es von lokaler Seite Interesse bekundet wird. So ist es uns gemeinsam mit unseren regionalen und internationalen Partnern möglich, eine lebendige Gedenkkultur zu etablieren. Wir freuen uns, wenn wir bei der Initiierung neuer Projekte mitwirken können und bestehende regionale Gedenkinitiativen mit unserem Knowhow unterstützen können“, sagt Glück. Und: Gedenken sei nichts Stationäres.
„Nicht immer ist es möglich oder notwendig, die Orte ehemaliger Außenlager vonseiten der Republik zu erwerben. Dann müssen wir andere Wege für die Vermittlung und das Gedenken wählen“, sagt Glück. Etwa in Form von geführten Wanderungen oder begleiteten Rundgängen. „Zudem gibt es auch eine App, den virtuellen Guide, den wir künftig um weitere Module zu ehemaligen Außenlagern erweitern werden. In erster Linie geht es darum, Orte sichtbar zu machen, also ins kollektive Bewusstsein zurückzuholen, und zu versuchen, Leute zu involvieren, zu erreichen“, so die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
Stanisław Zalewski, ein 99-jähriger polnischer Überlebender des KZ Gusen, hat am Plan für die Neugestaltung der Gedenkstätte Gusen mitgewirkt, die ab 2026 umgesetzt wird. Seine Hoffnung: „Ich wünsche mir, dass diese Gedenkstätte resistent gegen die Winde der Geschichte wird, das heißt gegen gesellschaftspolitische Veränderungen, die auf der ganzen Welt stattfinden.“ Ein Wunsch, dem man sich nur anschließen kann – besonders mit Blick auf einst stabile Demokratien, die zunehmend ausgehöhlt und autoritär geführt werden.