Morgenpost

Ärztemangel: Wohin mit dem kranken Kind?

In Wien fehlen etliche Kinderärzte. In Rudolfsheim-Fünfhaus, einem der jüngsten Bezirke der Hauptstadt, gibt es nur noch eine einzige Ordination.

Drucken

Schriftgröße

Das Kind hustet, die Augen sind glasig, der Fieberthermometer zeigt fast 39 Grad Körpertemperatur. Nichts Ungewöhnliches in diesem Herbst.

Viele Eltern kleiner Kinder haben in den vergangenen Monaten einen regelrechten Marathon an Krankheiten erlebt. Das ist auch bei uns der Fall. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir Pandemie-bedingt in den vergangenen zwei Jahren weniger Kontakte hatten. Jetzt aber verbreiten sich die Erreger wieder ungehindert – und wüten in den Kindergärten und Schulen.

Ich kann ein Lied davon singen. Seit September war unser Sohn kaum eine Woche gesund. Er hatte, unter anderem: Magen-Darm-Grippe, Scharlach, Bronchitis und zuletzt die Grippe. Da braucht es einen guten Kinderarzt, bei dem man nicht lange wartet und kompetent beraten wird.

So einen zu finden ist gar nicht einfach. Mediziner und Experten sprechen seit langem vor einem akuten Mangel an Kinderärzten auch in der Hauptstadt. Die Ärztekammer warnt sogar davor, dass die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben ist.

Das wundert mich nicht.

Wir leben in Rudolfsheim Fünfhaus, einem der jüngsten und am dichtesten besiedelten Bezirke Wiens. Als unser Sohn vor fünf Jahren zur Welt kam, fanden wir rasch einen Kinderarzt in der Nähe. Nur: Der ging vor einem Jahr in Pension. Wir fanden einen neuen, doch auch dessen Ordination war von einem Tag auf den anderen dauerhaft geschlossen. Als der Kranken-Marathon des Kindes im Herbst seinen Anfang nahm, suchte ich im Internet nach Alternativen. Es gibt, wie sich rasch zeigte, im ganzen Bezirk nur noch einen einzigen Kinderarzt.

Aus den Praxen in den angrenzenden Bezirken hieß es, man könne keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Ausnahmen gebe es nur für Anrainerinnen und Anrainer. Zuletzt wurde uns geraten, das Kind einfach zum Hausarzt zu bringen.

Letzte Chance: Lugner City

Viele Kinderärzte schließen keine Kassenverträge mehr ab, weil die finanziellen Bedingungen so schlecht sind. Für eine Mutter-Kind-Pass-Untersuchung erhält ein Kassenarzt 18 Euro. Viele arbeiten wie am Fließband, versorgen hunderte kleine Patienten am Tag und häufen unzählige Überstunden an.

Verschärft wird die Notlage seit Herbstbeginn durch eine Welle an Infektionen mit Covid, Influenza und dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV). Auch die Ambulanzen sind überfüllt.

Wegen des Mangels an Kassenärzten schließen immer mehr Eltern eine private Krankenversicherung für ihre Kinder ab. Dagegen habe ich mich bisher gewehrt. Das muss doch in einer Stadt wie Wien, die regelmäßig auch wegen ihres „hervorragenden Gesundheitssystems“ zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wird, auch anders gehen, dachte ich. Oder?

Ich bin mir da nicht mehr sicher.

Das Leben wäre wohl deutlich unkomplizierter, wenn wir eine Zusatzversicherung für unseren Sohn abschließen würden. Wir könnten uns das leisten, anderes als viele unserer Nachbarinnen und Nachbarn. Der 15. ist nicht nur einer der jüngsten, sondern auch einer der ärmsten Bezirke Wiens. Nirgendwo ist das Durchschnittseinkommen so niedrig wie hier.

Den meisten Eltern wird nichts übrig bleiben, als ihre Kinder in die Lugner City zu bringen – zum letzten Kinderarzt in Rudolfsheim-Fünfhaus.

Bleiben Sie gesund und einen schönen Donnerstag

Siobhán Geets 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.