Geflüchtete sitzen in einem Boot.
Morgenpost

Die EU darf nicht Großbritannien werden

In der Asylpolitik will die Europäische Volkspartei das umstrittene Ruanda-Modell durchsetzen, an dem schon London gerichtlich gescheitert ist. Üben die Christdemokraten mit ihrem Vorstoß eine Annäherung an Rechtsaußen-Parteien?

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Von 6. bis 9. Juni wird ein neues Europaparlament gewählt, und ein Topthema steht jetzt schon fest: Migration. Europas Konservative, die Europäische Volkspartei (EVP), fordern in ihrem Wahlprogramm eine Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik. Damit bricht die EVP mit der Linie ihrer Spitzenkandidatin: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen folgte bisher einem Mitte-links-Kurs. 

Doch damit ist es nun vorbei. Im Wahlprogramm heißt es, dass Schutzsuchende, die nach Europa gelangen, in einen sicheren Drittstaat gebracht werden sollen, um dort einen Asylantrag zu stellen. Sollte dieser positiv ausfallen, gewährt ihnen dieser Drittstaat Asyl. Die Idee ist nicht neu, sie entspricht dem sogenannten Ruanda-Modell der britischen Regierung: Flüchtlinge, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen, sollen unabhängig von ihrer Herkunft in das ostafrikanische Land gebracht werden, um dort Asyl zu beantragen. Das oberste Gericht in London hat diesen Plan als unzulässig eingestuft: Ruanda sei kein sicherer Drittstaat, und es sei nicht garantiert, dass Schutzsuchende dort ein faires Asylverfahren erhalten. Umso bemerkenswerter ist der Vorstoß der EVP.

Mangel an sicheren Drittstaaten

Die Zusammenarbeit mit Drittstaaten ist zwar an sich keine schlechte Idee. Nur muss die Auslagerung von Asyl und Schutz mit dem Völkerrecht vereinbar sein. Als sicher gilt ein Drittstaat dann, wenn die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistet ist. Das ist in Ruanda nicht der Fall. Die Regierung in London will ihr Modell trotzdem durchsetzen und bis 2027 mindestens 175 Millionen Euro nach Ruanda überweisen.

Das sollte sich die EU nicht zum Vorbild nehmen. Dass es auch anders geht, zeigte das Türkei-Abkommen ab 2016. Es sah vor, Asylsuchende, die von der Türkei nach Europa gelangen, dorthin zurückzubringen. Im Gegenzug unterstützte die EU die Türkei finanziell bei der Versorgung der Menschen und nahm ihr regulär Flüchtlinge ab.

Einige Jahre lang hat das funktioniert, die Zahl der irregulären Migranten schrumpfte erheblich. Doch sichere Drittstaaten müssen auch politisch „sicher“ bleiben, was sich bei der Türkei unter Recep Tayyip Erdoğan rasch als Trugschluss erwies. Der Autokrat am Bosporus merkte bald, welchen Hebel ihm der Deal mit der EU verlieh und übte Druck auf seine Partner aus. Das Abkommen wurde nicht verlängert. Das Problem: Abkommen funktionieren nur mit sicheren Drittstaaten, die dabei mitspielen wollen. Und solche zu finden ist schwierig: Die 55 Mitglieder der afrikanischen Union haben die Errichtung von Aufnahmezentren auf ihrem Boden bereits im Jahr 2019 abgelehnt.

Visaerleichterungen und Finanzhilfen

Sicher ist aber auch, dass die derzeitige Praxis nicht funktioniert. Die Abkommen der EU mit Libyen und Tunesien sind alles andere als menschenrechtskonform. Derzeit hält die libysche Küstenwache Flüchtlinge von der Überfahrt nach Europa ab und sperrt sie in Lager, wo Folter und Tod drohen. Und in Tunesien werden Migranten mitunter in der Wüste ausgesetzt. Dort hat sich die Menschenrechtslage durch EU-Abkommen sogar noch verschlechtert. Gebracht hat das alles wenig. Die Zahl der irregulären Migranten ist im vergangenen Jahr wieder stark gestiegen – mit tödlichen Folgen. Mehr als 3000 Menschen sind 2022 im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa ertrunken.

Deswegen weisen Experten wie der österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus seit Jahren darauf hin, dass Europa Staaten, die sichere Asylverfahren garantieren könnten, dafür auch etwas bieten muss. Möglich wären neben Finanzhilfen etwa Visaerleichterungen oder andere legale Wege in die EU. Auf diese Weise könnte man Menschen retten und Verfahren in sichere Staaten verlagern. Gar keine Migranten mehr aufzunehmen sei angesichts der schwindenden Bevölkerung in Europa sowieso undenkbar.

Wackelt die Brandbauer gegen rechts?

Abschreiben sollte man den Vorstoß der EVP aber nicht. Umfragen deuten darauf hin, dass das Europaparlament bei den kommenden Wahlen deutlich nach rechts rücken wird – und die Konservativen ihren neuen Kurs mit den Stimmen von Parteien am rechten Rand durchbekommen könnten. EVP-Chef Manfred Weber von der CSU sucht schon seit langem die Nähe zur rechten EKR-Fraktion, der etwa die polnische PiS und die postfaschistische Fratelli d'Italia der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni angehören.

Kritiker sehen im Bewerben des Ruanda-Modells der EVP vor allem eines: Eine Anbiederung an rechtsextreme und rechtsnationale Kräfte.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.