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In den Zeiten des Raubbaus

Die wachsende Intelligenz der Maschinen beschert uns nicht nur Angstträume, sondern auch Copyright-Probleme: Darf die Künstliche Intelligenz durch Aneignung rechtlich geschützter Werke lernen?

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Ein Gespenst geht um in der kreativen Welt: Werden Kunstwerke künftig vor allem aus der KI-Retorte kommen? Wird man echte Schauspieler von elektronisch in die Filmbilder kopierten Schimären nicht mehr unterscheiden können? Sollen IT-Systeme Symphonien komponieren? Das Phänomen Artificial Intelligence ist zu weit fortgeschritten, um es noch loswerden zu können. Inzwischen lässt man Maschinen Bücher (mehr schlecht als recht) und Schlager schreiben (passabel) sowie Fake-Fotoserien erstellen (täuschend echt). 
Muss man vor all dem Angst haben? Sollte man sich nicht eher darüber freuen, dass einem demnächst digital handlungsfähige Subjekte analytisch und erfinderisch unter die Arme greifen können werden? In der Alltags- und Krisenbewältigung wird Künstliche Intelligenz tatsächlich außerordentlich hilfreich sein – im Gesundheitswesen und im Militär ist sie es längst.

Es ist gar nicht so einfach, in dieser Gemengelage noch eine halbwegs belastbare Position zu beziehen. Die konservative Haltung, nach der alles im Wesentlichen beim Alten bleiben möge, und alle technologischen Fortschritte, die man nicht ad hoc begreifen kann, zu opponieren seien, hätte – wenn man ihr einst Raum für Entfaltung gewährt hätte – auch die Eisenbahn, den Tonfilm und das Internet verhindert, kommt also nicht wirklich in Frage; aber die komplette Liberalisierung aller verfügbaren Inhalte und aller urheberrechtlich geschützten Werke scheint auch nicht der Weisheit allerletzter Schluss zu sein. Das großflächige Absaugen von Datenmaterial ist Voraussetzung für das Training Künstlicher Intelligenz. Der Begriff Abbau meint hier allerdings eher: Raubbau

Das generative KI-Kunstprogramm Midjourney etwa, das aus bloßen Sprach- oder Texteingaben visuelle Werke zu erschaffen versteht, bedient sich seit geraumer Zeit völlig unentgeltlich an den Werken zahlloser Großkünstler wie Banksy, Gerhard Richter oder Damien Hirst.  

„Systematischer Diebstahl“

Das geschätzte 80 Milliarden Dollar schwere US-Software-Unternehmen OpenAI, das Programme wie ChatGPT oder DALL-E entwickelt hat, pochte unlängst darauf, dass die Entwicklung Künstlicher Intelligenz ohne Copyright-Verletzungen undenkbar sein werde. Der von Microsoft unterstützte Konzern, der zu KI-Lernzwecken alle verfügbaren Inhalte aus dem Internet saugt, reagierte damit auf eine Flut an Klagen, mit denen er sich seit Monaten konfrontiert sieht. Neben der „New York Times“, die sich gegen den kostenlosen Gebrauch von Millionen von Artikeln wehrt, mit denen man den auszubildenden ChatGPT-Bot gefüttert hat, waren es auch Starschriftsteller wie John Grisham und Jonathan Franzen, die im vergangenen September zu juristischen Mitteln griffen und OpenAI „systematischen Diebstahl in großem Stil“ vorwarfen. Gegen Midjourney klagten drei Künstlerinnen bereits vor einem Jahr. Das Verfahren dauert an.

Da das Urheberrecht heute „auch Blogs, Fotos und Foren-Beiträge, Softwarecodes und Regierungsdokumente“, also „ praktisch jede Art menschlichen Ausdrucks“ umfasse, heißt es nun in einer Presseaussendung seitens OpenAI, „wäre es ohne den Gebrauch urheberrechtlich geschützter Materialien unmöglich, die heute avanciertesten KI-Modelle zu trainieren“. Die oft uralten Public-Domain-Inhalte reichen längst nicht aus, um eine möglichst geistesgegenwärtige Künstliche Intelligenz zu kreieren. Insofern schlittern die KI-Entwickler gerade in ein Dilemma: Sie müssten all jene, die sie durch ihre Erfindungen auch existenziell bedrohen, dazu bringen, sich ihnen vertrauensvoll zu ergeben.

Einstweilen hilft offenbar nur die Überweisung größerer Geldbeträge an die, die man so dringend braucht. Und nicht alle Medienunternehmen sind den kurzfristigen monetären Verlockungen aus dem Silicon Valley abhold, wie allerdings zu erwarten war. Mit der New Yorker Nachrichtenagentur Associated Press konnte OpenAI bereits ebenso eine Nutzungsvereinbarung abschließen wie mit der in Berlin ansässigen Verlagsgruppe Axel Springer. So arbeiten große Medienhäuser weiterhin unverdrossen an ihrer Selbstabschaffung. Ob demnächst auch große Kunstgalerien sich von US-Tech-Konzernen großzügig unterstützen lassen wollen? Es wird noch interessant werden.

Einen feinen Dienstag wünscht Ihnen die Redaktion des profil.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.