Wissenschaft

Corona-Impfstoffe: Viel Empörung, wenig Evidenz von Rechts

Die FPÖ und rechte Medien entrüsten sich über einen Faktencheck zu Covid-Impfstoffen. Welche Argumente liefern Herbert Kickl und seine Gefolgsleute?

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Herbert Kickl hat diesmal ein klein wenig enttäuscht. Von einem scharfzüngigen Politiker hätte man mehr erwartet: etwas mehr Bemühen um spitzere Worte, einen Hauch Esprit beim Formulieren. Doch Kickl schrieb auf Facebook am 4. Jänner nur zwei mäßig originelle Sätze. Der erste lautete: „Für die Profil-Faktenchecker wäre bestimmt auch eine große Karriere in der Pharmaindustrie möglich.“ Das ist, muss man sagen, ein eher abgegriffener Witz und so treffsicher, als würde man Kickl als Knecht der Pharmalobby bezeichnen, weil er Ivermectin als sinnvolles Präparat gegen Covid-19 vorschlug.

Beim zweiten Satz wurde es nicht besser: „Dieser Artikel zeigt ganz detailliert, dass es Mainstream-Medien nur darum geht, die Regierung in Schutz zu nehmen und die FPÖ zu verteufeln!“ Diese Äußerung ist insofern bemerkenswert, als weder der Begriff noch das Thema Regierung in dem Artikel vorkam. Die FPÖ hingegen schon: Kurz vor Jahreswechsel hatte profil eine Aussage des FPÖ-Gesundheitssprechers Gerhard Kaniak einer inhaltlichen Prüfung unterzogen. Kaniak hatte behauptet, die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hätte ein „Geständnis“ abgelegt, das beweise, dass die Covid-Impfstoffe nie vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützten.

Der profil-Faktencheck, untermauert durch Studien von Universitäten aus aller Welt, fiel eindeutig aus: Was Kaniak sagte, ist falsch. Die EMA hat gar nichts gestanden, und die Impfstoffe schützen sehr wohl vor Ansteckung, wenn auch nicht zur Gänze (profil 52/2023).

Die Fanpost ließ nicht lange auf sich warten. Der Inhalt vieler Zuschriften lässt sich wie folgt wiedergeben: Wir seien entweder dumm oder korrupt (Stichwort Pharmaindustrie, s. o.) oder beides zugleich. Hier ein Beispiel: 

Als interessantes Experiment stellte sich der Versuch heraus, mit einigen der Verfasser Argumente auszutauschen. Ab einem gewissen Punkt endete der Kontakt meist jäh: beim Angebot, unseren Kritikern Evidenz zu übermitteln – eine Auswahl internationaler wissenschaftlicher Studien zur Frage, ob die Impfungen die Virusübertragung verhindern können; von großen Gruppen Forschender durchgeführt, von Gutachtern geprüft, in Fachjournalen veröffentlicht, komplett im Original nachlesbar. Sollen wir diese Arbeiten übermitteln, hübsch im Pdf-Format aufbereitet? Dann kam oft keine Antwort mehr.

Unser „irrer“ Faktencheck

Welche stichhaltigen Argumente gegen den profil-Bericht hatte die FPÖ im Köcher, die die Angelegenheit immerhin zur Chefsache erklärte? Das bleibt unklar. Gerhard Kaniak reagierte gar nicht darauf, jedenfalls nicht gegenüber profil. Weshalb verteidigt er seine Position nicht, wenn er meint, zu Unrecht falscher Behauptungen bezichtigt worden zu sein? Warum liefert er keine Studien, die seine Sichtweise stützen? Kickl bezog sich in seinem Posting auf einen Text im Online-Medium „Der Status“. Diese Plattform ist dermaßen bizarr, dass man streckenweise nicht ganz sicher ist, ob es sich um Satire handelt. Beispielsweise wird generell die Existenz von Pandemien geleugnet, und der profil-Bericht wurde mit folgendem Titel gewürdigt: „Irrer Profil-Faktencheck: Volk bei Impfung angeblich nie getäuscht“.

Der Artikel darunter besteht weitgehend aus einer Aneinanderreihung von Worthülsen aus dem verbalen Setzkasten der Rechtspopulisten (experimentelle mRNA-Injektionen! Systemmedien!!), inhaltlich fokussieren die Ausführungen besonders auf einen Punkt, der sich auch mit vielen Leserzuschriften deckt: profil würde die Menschen gleichsam verhöhnen, weil unser Faktencheck behaupte, die Covid-Impfstoffe seien nie zur Verhinderung von Ansteckung und Virusübertragung gedacht gewesen. Dabei sei genau das Gegenteil versprochen worden. Sogar die „Bild“-Zeitung habe dies vermeldet. Da stützt sich „Der Status“ fraglos auf eine Hochburg der Wissenschaftspublizistik.

Muss man extra ausführen, dass diese Darstellung nicht stimmt? Vermutlich leider ja, weil letztlich häufig jene das letzte Wort behalten, die am lautesten schreien, unabhängig vom Faktengehalt ihrer Aussagen. Versuchen wir es stattdessen mit sachlichen Feststellungen.

Was wirklich untersucht wurde

Wer ein medizinisches Präparat auf den Markt bringen will, ist angehalten, klinische Studien zu organisieren, um dessen Wirksamkeit zu testen. An möglichst vielen Probandinnen und Probanden, eingeteilt ungefähr je zur Hälfte in Wirkstoff- und Placebogruppe, untersucht man dann, ob das Präparat deutlich besser abschneidet als die Scheinmedizin. Dieses Prinzip gilt generell, einerlei, ob es sich um ein Herz-, ein Krebsmedikament oder um einen Impfstoff handelt. Und dies geschah auch beim Covid-Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer: Mehr als 43.000 Personen wurden beobachtet, die Ergebnisse im Dezember 2020 im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht – frei zugänglich im Internet. Auch Studiendesign und Studienziel konnte man dort nachlesen: die Prüfung des Impfstoffs in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit gegen die Erkrankung Covid-19. Die Frage, ob die Impfstoffe eine Ansteckung und Übertragung des Virus verhindern, war hingegen nicht Gegenstand dieser Arbeit, welche später die Basis für die Zulassung des Impfstoffs bildete.

(Ansteckung und Erkrankung sind keineswegs dasselbe: Man kann sich mit einem Virus infizieren, ohne zu erkranken – und sogar ohne es zu bemerken. Eine Erkrankung (eine symptomatische Infektion) ist etwas anderes: Man kann als Folge der Infektion zum Beispiel eine Lungenentzündung entwickeln. Im Fall von Corona ist Covid-19 die durch das Virus verursachte Erkrankung.)

Genau auf die Zielsetzungen der Zulassungsstudie (die Wirkung gegen eine Erkrankung, also gegen Covid-19) nahm die EMA Bezug, als sie eine Anfrage von EU-Abgeordneten beantwortete und sinngemäß ausführte: Ja, richtig, die Impfstoffe wurden nicht zugelassen, um eine Virusübertragung zu verhindern.

Aber heißt das, dass wir nichts darüber wissen, ob die Impfstoffe vor Ansteckung und weiterer Übertragung schützen? Dass den Menschen daher völlig zu Unrecht weisgemacht wurde, man könne mittels Impfung nicht nur sich selbst, sondern auch andere schützen und Übertragungsketten eindämmen? Nein, das heißt es nicht. Wir wissen sogar viel über Infektiosität und weitere Übertragung. Nur wurden diese Daten nicht in der Zulassungsstudie erhoben, sondern unabhängig davon. Nichtsdestotrotz existieren sie. Mindestens ein halbes Dutzend vor allem universitäre Studien aus aller Welt – darunter Großbritannien, Dänemark, Israel und die USA – zeigen an Tausenden Personen, dass geimpfte Menschen nicht nur seltener und weniger schwer erkranken, sondern das Virus auch seltener übertragen. Hier ein Auszug aus einer dieser Arbeiten:

Diese Studien sind ebenfalls im Volltext abruf- und nachlesbar, die Links dazu stehen am Ende dieses Textes. Wer sich mit den Originalarbeiten befassen möchte, kann dies also problemlos tun. All dies nennt man wissenschaftliche Evidenz, und wenn Kaniak behauptet, die EMA habe gestanden, dass die Impfung nie vor Ansteckung schützte, ist und bleibt dies schlicht falsch.

Dazulernen ist erlaubt

Allerdings ist das Ausmaß dieses Schutzes von mehreren Faktoren abhängig: vor allem von der jeweiligen Virusvariante und vom zeitlichen Abstand zur Impfung. Auch hat sich das Wissen über den Schutzgrad mit der Zeit verändert. So funktioniert eben Wissenschaft: Neue, bessere Daten stechen ältere und weniger gute aus. Der Wissensstand wächst allmählich, weil man dazulernt. Hat man vor drei Jahren auf bessere Effekte bei der Reduktion der Virusübertragung gehofft? Durchaus. Gab es in den vergangenen Jahren Irrtümer und Fehler seitens der Wissenschaft, der Medien, der Behörden, der Politik (für deren Slogans profil bitte schön nicht verantwortlich ist)? Gewiss, es ist aber ziemlich billig, sich hämisch an drei Jahre alten Aussagen festzubeißen und so zu tun, als sei die Welt seit damals stehen geblieben.

Bevor nun auch das als „Geständnis“ interpretiert wird: Die Behauptungen von Kaniak, Kickl und ihren Gleichgesinnten wurden auf der Faktenbasis des Jahres 2023 getätigt. Daran dürfen sie auch gemessen werden, und da galt, um es ein letztes Mal zu wiederholen: Es liegt breite Evidenz vor, dass die Impfungen geeignet sind, Ansteckung und Virusübertragung zu reduzieren. Im Folgenden eine Auswahl einiger dieser Studien:

Effect of vaccination on household transmission of SARS-CoV-2 Delta variant of concern

Vaccination with BNT162b2 reduces transmission of SARS-CoV-2 to household contacts in Israel

Vaccine effectiveness against transmission of alpha, delta and omicron SARS-COV-2-infection, Belgian contact tracing, 2021–2022

What do we know about covid vaccines and preventing transmission?

Decreased infectivity following BNT162b2 vaccination: A prospective cohort study in Israel

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

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