Morgenpost

Nobelpreise 2023: Die Großartigkeit des Allerkleinsten

Über zwei Nobelpreisträger, die profil seit Langem begleitet – und die beide einen Mikrokosmos erkundeten, der nun in großem Maßstab Nutzen stiftet.

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Zum Glück hat Ferenc Krausz nicht auf seine Mathe-Lehrerin gehört. Die riet ihm einst im Gymnasium, lieber Elektrotechnik als Physik zu studieren. Denn von Physik könne kein Mensch leben. Krausz erzählte die Geschichte im Jahr 2002 im Gespräch mit profil – und bereits seit damals verfolgt das Magazin die Karriere des 1962 in Ungarn geborenen Wissenschaftlers, der Techniken zur Herstellung immer kürzerer Lichtpulse entwickelte. Krausz ist nicht der erste Forscher, der unter Beweis stellte, dass man mit Physik nicht nur seinen Lebensunterhalt bestreiten, sondern auch Weltruhm erlangen kann: Im Vorjahr erhielt Anton Zeilinger den Nobelpreis für seine Experimente zur Quantenverschränkung, gestern Ferenc Krausz gemeinsam mit den französischen Forschenden Pierre Agostini und Anne L’Huillier.

Mit dem Österreicher Zeilinger hat Krausz nicht nur das Interesse an Quantenphysik gemeinsam: Von 1988 bis 2004 forschte Krausz in Österreich und bekleidete verschiedene Positionen an der Technischen Universität Wien – und führte hier auch bedeutende Experimente durch, die nun in Stockholm ausgezeichnet wurden. Gemeinsam mit seinem Team entwickelte Krausz wesentliche Grundlagen der Attosekundenphysik. Falls Ihnen der Begriff nicht ganz locker über die Lippen geht, hier der Versuch einer knappen Erklärung: Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde. Vorstellen kann man sich so eine Zeitspanne nicht, da versagt jeder Vergleich.

Krausz und seinem Team gelang es um die Jahrtausendwende, Lasersysteme zu entwickeln, die solche Intervalle in Form winziger Lichtpulse herstellen und messen können. Die Technologie hilft dabei, Elektronen in Echtzeit zu beobachten und ins Innere von Atomen oder Molekülen vorzudringen. Das war zunächst Grundlagenforschung, verspricht aber zahlreiche Anwendungen: etwa beim Design von Quantencomputern, aber auch bei der Erforschung von Krankheiten, indem man auf ganz elementarer molekularer Ebene studieren kann, wie zum Beispiel Krebs entsteht.

Gegen alle Widerstände

Mit Krausz wiederum teilt die diesjährige Medizin-Nobelpreisträgerin Katalin Kariko einige Gemeinsamkeiten: Auch sie stammt aus Ungarn, sie spezialisierte sich ebenfalls auf einen Mikrokosmos, und auch ihre Laufbahn begleitet profil seit geraumer Zeit. Kariko forschte zunächst in Ungarn, als ihr Job gestrichen wurde, emigrierte sie in die USA (im Teddybären ihrer Tochter schmuggelte sie 1000 Dollar Startkapital außer Landes). Über Jahrzehnte verfolgte sie dort die Idee der mRNA-Technologie – und stieß vor allem auf Ablehnung und Widerstand: Zeitverschwendung, befanden die Vorgesetzten, die ihr Finanzmittel und Projekte strichen.

Mit viel Courage und Ausdauer hielt Kariko durch, gemeinsam mit ihrem Kollegen Drew Weissman gelang ihr schließlich der Durchbruch: der Einsatz von mRNA gegen Krankheiten. Dabei geht es darum, erneut sehr vereinfacht ausgedrückt, einen kurzen Abschnitt sogenannter Boten-Ribonukleinsäure als Bauanleitung zu verwenden, die die Körperzelle anweist, bestimmte Eiweiße herzustellen – zum Beispiel solche, die helfen, ein Virus zu erkennen und immunologisch zu bekämpfen.

Das Prinzip, an dem Kariko Jahrzehnte gearbeitet hatte, erfuhr aufgrund der Coronavirus-Pandemie weltweite Aufmerksamkeit: Auf ihrer Innovation beruhen die ersten Impfstoffe gegen das Coronavirus (wofür profil längst argumentierte, sie verdiene den Medizin-Nobelpreis). Nach aktuellem Stand wurden bisher 13 Milliarden Dosen davon verabreicht. Und es spricht viel dafür, dass das erst der Anfang war, weil mRNA eine Art Universalwerkzeug der Medizin sein könnte, das gegen viele schwere Leiden zum Einsatz kommen könnte: überall dort, wo Proteine beteiligt sind. Dazu zählen Krebs, Allergien, Autoimmun- und Infektionskrankheiten, um nur einige zu nennen.

Was lehren die Nobelpreise? Vieles in unserer Welt ist es noch wert, entdeckt und im Detail erforscht zu werden; und vieles davon kann eines Tages von großem Nutzen sein, auch wenn das zu Beginn der wissenschaftlichen Reise längst nicht absehbar war; Forschung muss und sollte daher kein unmittelbares Ziel haben, sondern zunächst dem bloßen Wissenserwerb dienen dürfen; und es kann sich auszahlen, eine Idee mit Hartnäckigkeit zu verfolgen.

Und das sind ziemlich gute Nachrichten zu den Nobelpreisen 2023. Eine besonders inspirierende Restwoche wünscht

Alwin Schönberger 

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft