profil-Morgenpost

Technologie als Widerstand

Analog, digital, egal? Kleine Betrachtung zu transzendenter Kunst und anderen Glaubenssystemen

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Ist Ihnen eigentlich auch vollkommen egal, ob Sie eine Zeitung in gedruckter, also papierener Form lesen – oder ob Sie deren Inhalte über Ihr Smartphone oder Ihren Rechner abrufen? Also: mir nicht. Nennen Sie mich altmodisch, aber ich freue mich immer noch über das (offenbar langsam entschlummernde) sinnliche Erlebnis, ein grafisch gut gestaltetes Druckwerk in den Händen zu halten und durchblättern zu können. Und bitte nicht missverstehen: Ich meine damit natürlich nicht, dass die Lektüre von Online-Texten irgendwie abzulehnen wäre (an dieser Stelle eine strategische Gratulation an die Kolleginnen und Kollegen, die unsre soeben grandios neu gestartete Website modernisiert haben!); ich hoffe ja auch, dass Sie diesen Text, der gerade über eines Ihrer vielen Displays flimmert, nicht gleich wieder wegklicken. Aber es ist doch schön, zwischen den uns zur Verfügung stehenden Medien abwägen und differenzieren zu können. Oder? Das sehen offenbar nicht alle so: Der niederländische, in Berlin lebende Konzeptkünstler Harm van den Dorpel hat unlängst via Twitter „analog“ und „digital“ als „bedeutungslose Kategorien“ abgekanzelt; auch „virtuell“ und „physisch“ hält er als Begriffe für „ausgesprochen langweilig“. Nun muss man natürlich wissen, dass der Mann als „Postinternet“-Künstler gilt, sich in seiner Arbeit vor allem mit Algorithmen und Computerprogrammen befasst. Und man müsste ihn natürlich fragen, wie er genau gemeint hat, was er da geschrieben hat, aber als Statement klingt das doch aufsehenerregend. Sind alle Hinweise auf die mediale Verfasstheit eines Werks inzwischen obsolet? Weil ohnehin alles ineinander verfließt, letztlich im elektronischen Raum ankommen wird? 

Der Spirit der Tiere

Vielleicht. Eine, die sich ganz intensiv mit dem Gegensatz von Naturhaftem und Technologischem auseinandersetzt, ist die deutsche Künstlerin Hito Steyerl. Ihre vielschichtige Videoinstallation „Animal Spirits“ ist derzeit im Kunsthaus Graz zu erleben: eine kluge, ironisch-bombastische Arbeit über Natur, Ökonomie und Videospielaggression. Dieses Werk hatte Steyerl ab Mitte Juni auch bei der (soeben unrühmlich zu Ende gegangenen) Documenta gezeigt, allerdings nur 20 Tage lang (statt der vereinbarten 100), dann entzog sie ihre Installation aus Protest gegen das mit Antisemitismusvorwürfen belastete Festival.

Graz ist in diesen Tagen übrigens auch aus anderen Gründen eine Reise wert, denn dort gibt es gegenwärtig eine Reihe spannender Ausstellungen zu besichtigen: etwa „Ein Krieg in der Ferne“, die zentrale Schau des Steirischen Herbstes, die in der Neuen Galerie Graz mit unerwarteten Mitteln und Exponaten über die Kollateraleffekte einer in Aufrüstung und Blutvergießen aufgelösten Welt berichtet. Und auch in der Grazer Halle für Kunst erforscht man in äußerst ungewöhnlicher Weise das Verhältnis von Technologie und Transzendenz: Die Ausstellung „Systems of Belief“, raffiniert kuratiert von Cathrin Mayer, konfrontiert ausgewählte historische Arbeiten (etwa einen Sixties-Undergroundfilm der New Yorker Künstlerin Storm de Hirsch und eine der abstrakten Kinoproduktionen des US-Avantgardisten Jordan Belson aus den frühen 1970er-Jahren) sinnträchtig mit Schaustücken aus der Gegenwartskunst. Technologie wird hier als Widerstandsgeste gesehen, als Maßnahme gegen Durchkapitalisierung und Profanisierung. Es geht um ein „neues Sehen“ (einst und jetzt), um subversive Kunst, die sich hier fallweise auch mit esoterischen Motiven verbindet – etwa in der rätselhaften Outsider Art des amerikanischen Künstlers Paul Laffoley.

Was aber erzählen uns diese Werke aus der Distanz eines guten halben Jahrhunderts? Kündigen sich darin schon die ökologischen Krisen und algorithmischen Universen an, in denen wir uns heute zu verlieren drohen? Sind es auch frühe „Metaversen“? Im Untergeschoß der Halle für Kunst begegnet uns eine ganz neue Arbeit, eine Online-Projektion vierer sich live permanent rekonfigurierender NFTs. Der Künstler trägt einen Namen, der in diesem Text schon erwähnt wurde: Harm van den Dorpel.

Zu den vielen Fragen, die in der Ausstellung „Systems of Belief“ produktiv aufgerufen werden, wird profil übrigens morgen, Donnerstag, ab 18 Uhr eine Podiumsdiskussion in der Halle für Kunst abhalten, an der eine Reihe gut informierter Menschen teilnehmen wird: Neben dem Hausherrn, Sandro Droschl, erwarten wir die Film- und Kunsttheoretikerin Claudia Slanar, den Medienkünstler Richard Kriesche sowie Peter Schernhuber, den Co-Intendanten der Grazer Diagonale teilnehmen werden: Halle für Kunst Steiermark, Burgring 2, 8010 Graz. Sollten Sie in der Gegend sein: Wir freuen uns über Ihre (analoge) Anwesenheit – und bitten um kostenfreie (digitale) Anmeldung unter profil-events.at/SystemsOfBelief.

Einen feinen Mittwoch wünscht Ihnen

Stefan Grissemann 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.