In der Nähe des dritten Tatortes wurden wenige Tage später diese Blumen abgelegt.
Morgenpost

Wiener Obdachlosenmorde geklärt: Das Motiv Wut

Nach der Serie von Angriffen auf drei Wiener Obdachlose im Sommer hat die Polizei nun den mutmaßlichen Täter gefasst. Am Montag gestand er, Betreuungseinrichtungen atmen auf.

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Viereinhalb Monate hat die Suche gedauert, nun ist der mutmaßliche Täter geständig. Am Montagnachmittag stellte sich ein 17-Jähriger der Wiener Polizei und gab an, dass er es war, der im Juli und August auf drei Obdachlose einstach – ein 55-Jähriger starb auf einer Parkbank, ein 56-Jähriger im Spital, eine 51-jährige Frau überlebte schwer verletzt. „Wir stehen vor der unmittelbaren Klärung eines Falles, der uns emotional sehr am Herzen gelegen ist“, sagte Gerhard Winkler, Leiter des Wiener Landeskriminalamts, gestern bei einer Pressekonferenz.

Seine Wut und die Sehnsucht nach Aufmerksamkeit habe den Jugendlichen, der während der Taten noch 16 Jahre alt war, angetrieben, sagte der Ermittler. Der mutmaßliche Täter komme aus zerrütteten Familienverhältnissen, im Februar habe er die Schule abgebrochen und mit dem Konsum harter Drogen begonnen. Er sei im Zuge dessen auch polizeilich aufgefallen, zu einer Festnahme kam es allerdings nicht.

Aus dem Lehrbuch

Hass auf Obdachlose, wie er bei vergleichbaren Taten immer wieder vorkommt und den auch ich bei meinem Bericht über die Taten im August ausführlich beleuchtete, schloss Winkler als Motiv aus. „Darauf kam es ihm nicht an“, sagte er. Stattdessen habe bei der Auswahl der Opfer deren Verfügbarkeit, deren Wehrlosigkeit und die Ungestörtheit am Tatort den Ausschlag gegeben. Alle drei Opfer schliefen, alle drei alleine, alle drei im öffentlichen Raum. Auf alle drei soll er mit einem schmalen Stiletto-Messer, wiederholt und kräftig, eingestochen haben.

Diese Auswahlkriterien sind bei Serienmorden keine Seltenheit. Im Handbuch „Serial Murder“, das das FBI 2005 herausgab, ist zu lesen, dass Serienmörder – unabhängig von der konkreten Motivlage – ihre Opfer oft zuallererst nach deren Verfügbarkeit aussuchen. Auch das ist ein Grund, warum im Zuge derartiger Delikte oft Menschen zu Opfern werden, die an den Rändern der Gesellschaft leben.

Als Grund für sein Geständnis nannte Winkler zwei Faktoren: Einerseits habe ihm die öffentliche Fahndung zugesetzt. Mitte Oktober veröffentlichte die Polizei Überwachungsaufnahmen aus der unmittelbaren Nähe des dritten Tatortes, die einen jungen Mann am Wiener Gürtel zeigten. Zahlreiche Hinweise gingen bei der Polizei ein, sachdienlich war allerdings keiner. Während seines Verhörs bestätigte der Tatverdächtige jedoch, dass er auf den Aufnahmen zu sehen sei. Andererseits wollte der mutmaßliche Täter, dessen psychischer Ausnahmezustand sich zuletzt gebessert haben soll, nicht mehr mit der Schuld leben. "Er hat angegeben, dass er mit dieser Last nicht mehr leben konnte", sagte Ermittler Winkler.

Moritz Ablinger

Moritz Ablinger

war bis April 2024 Redakteur im Österreich-Ressort. Schreibt gerne über Abgründe, spielt gerne Schach und schaut gerne Fußball. Davor beim ballesterer.