20 Todestag von Marcus Omofuma: "Die Optik ist nicht gut" [Archiv]

20 Todestag von Marcus Omofuma: "Die Optik ist nicht gut"

Der Fall Omofuma: Ein toter Schubhäftling, eine Reihe haarsträubender Widersprüche - und warum die Österreicher ihren Innenminister trotzdem mögen.

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Aus dem Archiv: Die Geschichte von Edith Meinhart, Ulla Schmid und Bernhard Ecker erschien am 10. Mai 1999 in profil 19/99.

Wenn er betroffen ist, dann ist er so betroffen, dass es jeder sehen muss. Seine Schultern hängen, das Kinn klebt an der Brust, der Blick bleibt meist gesenkt, und die Stimme leiert leise und monoton vor sich hin.

Wenn er nervös wird, dann wird er so nervös, dass er es kaum verbergen kann. Da wächst das Kinn plötzlich nach vorne, Schultern und Hals straffen sich, als ob es gelte, eine Verspannung im Nacken zu lösen, und er beginnt, unruhig in den Knien zu wippen. "Ich schwöre, daß ich nichts gewußt habe", sagt er dann etwa, mit lauter Stimme - und patzig: "Wenn Sie mir das nicht glauben, kann ich nichts machen."

Karl Schlögl hat sich in der vergangenen Woche oft genug zwischen Nervosität und Betroffenheit entscheiden müssen. Denn am 1. Mai starb der nigerianische Schubhäftling Marcus Omofuma an Bord jenes Flugzeuges, mit dem er in seine Heimat abgeschoben werden sollte; erstickt unter einem Klebeband, das ihm die begleitenden Beamten um Kopf und Mund gewickelt hatten.

Damit er Ruhe gibt.

Seitdem steht der Innenminister unter Strom - und das zu Recht: Dass Schubhäftlingen bei der Abschiebung der Mund verklebt wird, verstößt klar gegen die in der heimischen Verfassung verankerte Menschenrechtskonvention.

Der liberale Wiener Gemeinderat und Ex-Polizist Marco Smoliner sagt: "Atemwege verkleben ist rechtswidrig. Der Mann ist an den Folgen von Folter gestorben."

In den Worten des Strafgesetzes würde es heißen: Quälen und Vernachlässigen eines Gefangenen mit Todesfolgen.

Perfekte PR-Maschinerie. Für die Politik heißt es jetzt: mauern, was geht.

profil-Journalistin Edith Meinhart über den Fall Omofuma.

Den Gedanken an Demission konnte Kanzler Viktor Klima Schlögl Montag abend im Kanzleramt schnell ausreden. Mit einem Kampfauftrag schickte er seinen Innenminister in die Herrengasse zurück: durchhalten, Popularität ausnützen und als Innenminister die nächsten Landtagswahlen im ÖVP-dominierten Niederösterreich schlagen. Rücktritt: ausgeschlossen.

Klimas Reaktion ist verständlich: Wer wechselt schon gerne knapp vor zwei wichtigen Rennen sein bestes Pferd im Stall?

Die PR-Maschinerie, die die SPÖ für ihren populären Innenminister anwarf, funktionierte perfekt: Die Genossen meldeten sich brav mit Solidaritätsbekundungen zu Wort. Die "Kronen Zeitung" gab die nötige Deckung und schoß aus vollen Rohren gegen Schwarze und Asylwerber. Das SP-nahe Meinungsforschungsinstitut Ifes übernahm den Flankenschutz und präsentierte eine Blitzumfrage, wonach 88 Prozent der Bevölkerung gegen einen Rücktritt Schlögls wären.

Der Fall Marcus Omofuma

Der natürliche Feind FPÖ konnte bei dieser Abwehrschlacht ausnahmsweise außer acht gelassen werden: Wenn es um die rigorose Vollstreckung von Abschiebungen geht, werden die Blauen prompt zu verläßlichen Verbündeten.

Der Koalitionspartner ÖVP hüllte sich ob dieser Übermacht in Schweigen. Lieber einen Nichtangriffspakt schließen, als ins Schußfeld der größten Tageszeitung zu geraten. Das Thema "politische Verantwortung" blieb Grünen, Liberalen, Menschenrechtsorganisationen und Medien überlassen.

Also: alles paletti? Schlögl fest im Sattel?

Nicht ganz. In der Sondersitzung des Nationalrates am Montag dieser Woche zum Tod von Marcus O. muß der Innenminister eine Reihe von Ungereimtheiten aufklären. Die Aussagen, was am 1. Mai am Flughafen Wien-Schwechat und danach an Bord der Tupolew 154 der Balkan Air von Wien nach Sofia passiert ist, könnten widersprüchlicher nicht sein.

Widersprüche. Daraus ergibt sich eine Reihe von Fragen:

Was geschah vor dem Abflug?

Kurz nachdem der Vorfall bekanntgeworden war, erklärte das Innenministerium, der Schubhäftling habe bereits während des Eincheckvorganges "nachhaltigen und erheblichen körperlichen Widerstand" geleistet. Eine Beobachtung, die das Bodenpersonal laut Flughafen-Pressesprecher Hans Mayr nicht teilt: Auf dem Weg vom Auto zum Flugzeug und rund um das Flugzeug sei Markus O. "nicht laut gewesen".

Der Anwalt der drei Beamten, Strafverteidiger Farid Rifaat, behauptet wiederum gegenüber profil: "Marcus O. hat das Flughafengebäude nie betreten. Das Einchecken haben die Beamten übernommen." Und dieser Aussage konnte sich zuletzt auch die Bundespolizeidirektion Wien anschließen.

Warum wurde Marcus O. geknebelt?

Sowohl der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Michael Sika, als auch der Wiener Polizeipräsident Peter Stiedl erklärten in ihren ersten Stellungnahmen, die Bord-Crew habe verlangt, den tobenden Häftling "ruhigzustellen".

Wenige Tage später hörte sich die Geschichte ganz anders an. Der Verteidiger der Beamten will wissen, daß Marcus O. schon auf dem Rollfeld Leukoplast über den Mund geklebt wurde, weil er "einen Polizisten gebissen hat".

Zeitgleich diktierte Sika der "Kronen Zeitung" die Version ins Blatt, Marcus O. habe gleich drei Beamte gebissen: "Alle drei hatten tiefe, sogar blutende Bißwunden." So schlimm dürften diese Verletzungen nicht gewesen sein: Laut "Kurier" hat der Botschafter in Sofia davon kein Wort erwähnt.

Wann wurde Marcus O. geknebelt?

Ersten Aussagen zufolge erst an Bord "wegen der Lärmerregung" (Stiedl).

Der Augenzeuge Vassil Iliev hingegen versichert gegenüber profil, der Schubhäftling sei schon "gefesselt und geknebelt ins Flugzeug geschleppt worden".

Was passierte während des Fluges?

Anwalt Faarit will wissen, daß Marcus O. "heftig randaliert" und "Passagiere und Beamte gefährdet" habe. Also habe man ihn "im Sitz fixiert". Dann seien "abwechselnd Ruhe- und Randalierphasen" zu beobachten gewesen, in denen der Nigerianer "offenbar überlegte, was er als nächstes anstellt".

Der Augenzeuge hingegen sagt: "Der Mann war praktisch bewegungsunfähig."

Wann starb Marcus O.?

Die Maschine landete um 21 Uhr in Sofia. Nach dem Aufsetzen, sagt der Verteidiger, hätten die Beamten Puls und Atmung gemessen: "Es ist alles in Ordnung gewesen. Dann kam eine Stewardeß und hat ebenfalls den Puls gefühlt."

Wozu, wenn doch angeblich alles in Ordnung war? - Rifaat: "Weil Herr O. einen schlafenden Eindruck vermittelte."

Weil sich Marcus O., schon nachdem ihm die Handfesseln abgenommen worden waren, "in einem ohnmachtsähnlichen Zustand" befunden hatte, wie das Innenministerium am 2. Mai vermeldete.

Der Augenzeuge hingegen hat diesen Zustand schon eine halbe Stunde nach dem Start festgestellt. Die Maschine hatte gegen 18.20 Uhr in Wien abgehoben.

Wann traf der Arzt ein?

"Eine halbe Stunde nach der Landung", sagt Rifaat. Tatsächlich gelangte der Notruf der Crew nachweislich um 21.08 Uhr beim Airport-Arzt ein, der sofort zur Stelle war und um 21.18 Uhr nur noch den Tod von Marcus O. feststellen konnte.

Die Justiz wird in den kommenden Wochen damit beschäftigt sein, die vielen Widersprüche zu klären. Und auch der Innenminister wird sich auf unangenehme Vorwürfe gefaßt machen müssen:

In seiner Stellungnahme vergangenen Montag in der "ZiB 2" hatte Schlögl auf die Frage, ob ihm die Klebeband-Praxis bekannt gewesen wäre, noch gemeint: "Ich habe das bis zu diesem tragischen Vorfall nicht gewußt. Das haben mir auch die Spitzenbeamten meines Ministeriums gesagt."

Einer seiner Spitzenbeamten, Michael Sika, hatte dies tags zuvor freilich anders gesehen: Das Knebeln mit Klebebändern sei "eine unübliche Methode, die nur ganz selten angewendet wird".

Das Thema Klebebänder war überdies schon zweimal Gegenstand parlamentarischer Anfragen. Am 3. April 1993 beobachtete Hans-Peter Steinböck, wie am Flughafen Wien-Schwechat "drei Polizisten einen Farbigen, dem mit einem PVC-Band Mund, Ohren und Haare verklebt waren", in einen Bus verfrachteten. Der nach eigenen Worten "heute noch fassungslose" Augenzeuge meldete den Vorfall der grünen Minderheitensprecherin Terezija Stoisits. Diese fragte beim damaligen Innenminister Franz Löschnak an, ob es üblich sei, daß Schubhäftlingen mit Klebebändern Gesicht und Mund verklebt werden? Löschnak antwortete mit einem schlichten: "Nein". Keine Bestätigung, aber auch kein Dementi.

Im November 1996 stellte Löschnaks Nachfolger Caspar Einem, ebenfalls im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage von Stoisits, dezidiert fest: Die Verwendung von Klebebändern wäre zur Fesselung der Hände oder Beine denkbar. "Zur Knebelung dürfen Klebebänder keinesfalls verwendet werden."

Klare Worte, sollte man meinen. Doch ihre Wirkung war offenbar limitiert.

Im März 1997, also schon in der Ära Karl Schlögl, hielt der unabhängige Verwaltungssenat in Graz in einem Urteil fest: "Die Verklebung des Mundes ist rechtswidrig." Der Anwalt eines Schubhäftlings hatte geklagt, weil seinem Mandanten während einer Autofahrt von Graz nach Wien der Mund mit einem fünf Zentimeter breiten PVC-Band zugeklebt worden war.

Warum der Minister von diesem Spruch nichts weiß, ist dem Anwaltsduo Georg Bürstmayr/Klaus Kocher schleierhaft: "Das war ja kein Pimperlbescheid."

Im Oktober 1998 berichtete das profil von der Abschiebung des Schwarzafrikaners Adu Puko: "Für den Flug wird er an Händen und Füßen gefesselt. Dann wird auch Pukos blutender Mund mit Leukoplast verklebt." Der Fall wurde von SOS Mitmensch publik gemacht. Reaktion aus dem Innenressort: keine.