Ludwig Adamovich: "Das Amt hat nur Kratzer."

Adamovich über die BP-Wahl: "Die Aufhebung war unvermeidlich“

Ex-VfGH-Präsident Ludwig Adamovich, 84, kritisiert die Kritiker des Gerichtshofs, ortet Pech in der Klebstoff-Affäre und will kein Fossil in der Hofburg sein.

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profil: Herr Präsident, eine Sportreporterfrage: Wie fühlen Sie sich als Rechtsberater des Bundespräsidenten ohne Bundespräsident ganz allein in der Hofburg? Adamovich: So ganz allein bin ich ja nicht. Von der reinen Arbeit her hat sich nicht viel geändert. So wie ich früher Informationen an den Bundespräsidenten gab, leite ich sie nun an das Kollegium der drei Nationalratspräsidenten weiter. Aber natürlich macht es einen Unterscheid, ob im Büro einen Stock tiefer niemand sitzt oder ein Bundespräsident, der eine starke persönliche Dynamik entfaltet wie Heinz Fischer.

profil: Die derzeitige Vakanz ist ein gefühltes Problem oder ein tatsächliches? Adamovich: Das ist ambivalent. Routineangelegenheiten werden erledigt wie Ernennungen, Ratifizierung eines Staatsvertrags, Beurkundung von Gesetzen oder Gnadengesuche. Da kommt einiges zusammen. Demnächst werden ausländische Botschafter ihre Beglaubigungsschreiben überreichen. Die Außenpolitik, die in der Arbeit von Heinz Fischer eine große Rolle spielte, fällt allerdings sonst komplett aus.

Wesentlich mehr irritiert mich, dass manche Kritiker unterstellen, der Verfassungsgerichtshof hätte sich aus Furcht vor der Reaktion der FPÖ nicht getraut, den Antrag auf Aufhebung abzuweisen.

profil: Wie erwartet, setzt nun die Debatte über die Notwendigkeit des Amtes ein. Adamovich: Das ist eine natürliche Konsequenz. Ich denke, das Amt ist notwendig. Dass es derzeit unbesetzt ist, bedeutet keinen Beweis seiner Verzichtbarkeit. Der Bundespräsident ist konzipiert als moralische politische Autorität und für Krisensituationen. Eine solche ist nicht gegeben, das kann sich aber rasch ändern. Es kann ernste Spannungen zwischen Regierung und Parlament geben oder auch innerhalb der Regierung. Da ist es Sache des Bundespräsidenten, einen Ausgleich zu finden. Hinter der berühmten Tapetentüre wurde mehr Krisenmanagement betrieben, als die Öffentlichkeit weiß. Es lief sehr diskret ab.

profil: Regierungsmitglieder richten einander derzeit Unfreundlichkeiten aus. Angenommen, die Koalition bricht demnächst. Was passiert? Adamovich: Dann müsste eine neue Bundesregierung bestellt werden. Ich halte das für sehr unwahrscheinlich. Aber Spannungen und Profilierungsbestrebungen sind deutlich sichtbar.

profil: Ist das Amt des Bundespräsidenten beschädigt? Adamovich: Nein, es hat nur Kratzer. Es wird vom Geschick des nächsten Bundespräsidenten abhängen, wie lange diese sichtbar bleiben.

profil: In den vergangenen Wochen wurde heftige Kritik am Urteil des Verfassungsgerichtshofs geübt, die Stichwahl aufzuheben. Der Rechtsprofessor und frühere Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien, Heinz Mayer, nannte es wörtlich ein Fehlurteil. Adamovich: Es ist jedem unbenommen, inhaltlich so etwas zu sagen, wenn er es begründen kann. Ob man einen Ausdruck wie "Fehlurteil“ gebrauchen soll, ist eine andere Frage. Ich halte das nicht für gut, aber sei’s drum. Wesentlich mehr irritiert mich, dass manche Kritiker unterstellen, der Verfassungsgerichtshof hätte sich aus Furcht vor der Reaktion der FPÖ nicht getraut, den Antrag auf Aufhebung abzuweisen. Diesen Vorwurf halte ich für unzulässig. Der Gerichtshof scheute sich 2001 nicht, eine Entscheidung zu den Kärntner Ortstafeln zu fällen, die bei der FPÖ heftigste Reaktionen auslöste.

Es gibt eine lange Judikaturkette des Gerichtshofs zur Aufhebung von Wahlen, in der sich der Gedanke einer peniblen Auslegung verfestigt hat.

profil: Wie sollte der VfGH auf die Kritik reagieren? Adamovich: Wenn ein Politiker angegriffen wird, kann er sich mit den gleichen Mitteln wehren. Wird ein Wissenschafter angegriffen, wird er sich ebenfalls verteidigen. Aber was soll der Verfassungsgerichtshof machen? Als Organ ist er wehrlos. Als ich persönlich von Jörg Haider attackiert wurde, konnte ich mich als Einzelperson wehren.

profil: Die Höchstrichter müssen also duldsam sein. Adamovich: Die Wortwahl mancher Kritiker war indiskutabel. Und zwischen den Zeilen gab es immer wieder Andeutungen, der Gerichtshof hätte angeblich seine dunklen Gründe gehabt, so zu entscheiden.

profil: Sie selbst haben das Urteil als streng bezeichnet. Adamovich: Es gibt eine lange Judikaturkette des Gerichtshofs zur Aufhebung von Wahlen, in der sich der Gedanke einer peniblen Auslegung verfestigt hat. Ob man das so sehen muss, darüber kann man streiten. Es ist aber Judikaturlinie. An diese hat man sich gehalten.

profil: Das Hauptargument gegen den VfGH ist, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, dass Norbert Hofer die Wahl ohne Schlampereien gewonnen hätte, gegen null tendiert. Adamovich: Bisher ist niemand auf die Idee gekommen, solche statistischen Methoden ins Spiel zu bringen. Darüber sollte man sachlich diskutieren. Es bewegt sich meiner Meinung nach aber an den Grenzen der Zumutbarkeit für Richter, wie weit man mathematisch-statistische Überlegungen anstellt. Ich vermute, dass die wissenschaftliche Debatte darüber bald beginnen wird.

Früher lehnte die SPÖ die Wahlkarten ab, heute tun es die Freiheitlichen.

profil: Womit haben wir es in der jetzigen Situation zu tun? Mit einer Posse? Mit einer Staatskrise? Adamovich: Eine Staatskrise ist es schon deswegen nicht, weil die Institutionen des Staates funktionieren. Es ist natürlich ein "gefundenes Fressen“ für Medien. Schlampereien hat es früher auch schon gegeben, sie wurden bloß nicht geltend gemacht. Die Aufhebung der Stichwahl war, wie mir scheint, nach der bisherigen Judikatur unvermeidlich. Und die Sache mit dem Klebstoff ist reines Pech.

profil: Kann es politische Verantwortung für technische Fehler geben? Adamovich: Ich sehe diese in der umgekehrten Richtung. Der Innenminister wird wohl für fehlerhaften Klebstoff nicht zur Verantwortung zu ziehen sein, die Wiedergutmachung des Schadens durch etwaige Klagen wird man wohl von ihm erwarten.

profil: Die Wahl muss unter den gleichen Bedingungen wiederholt werden. Dass nun die Wählerevidenz angepasst wird, damit junge Staatsbürger, die mittlerweile 16 geworden sind, wählen können, widerspricht diesem Prinzip. Adamovich: Jede Wiederholungswahl sollte von denselben Bedingungen ausgehen wie die ursprüngliche Wahl. Das ist aber nicht in jeder Hinsicht rekonstruierbar. Daher ist die nun gefundene Lösung ein vernünftiger Kompromiss. Der Zeitraum zwischen den Wahlterminen ist einfach zu groß. Man sollte nun aber auch das Bundespräsidentenwahlgesetz für die Zukunft reparieren, in dem nichts Näheres zur Wahlwiederholung steht.

profil: Haben Sie schon mit Wahlkarte gewählt? Adamovich: Ja, einmal, weil ich am Wahltag verhindert war. Die Diskussion läuft ja über Jahrzehnte. Früher lehnte die SPÖ die Wahlkarten ab, heute tun es die Freiheitlichen. Die Gründe liegen auf der Hand, wenn man sich die Wahlkarten-Resultate anschaut. Natürlich ist man nie völlig abgesichert gegen Missbrauch. Aber man wird das System der Wahlkarten nicht mehr beschneiden können.

Ich habe es von Anfang an kritisch gesehen, dass das Innenministerium Daten weitergibt.

profil: Die perfekt ablaufende Wahl ist ohnehin eine Illusion. Adamovich: Die Verwaltung muss mit der besten Intention an die Sache herangehen. Allerdings ist es für darin Geübte keine Kunst, nach Wahlen einen Streitfall zu konstruieren. Ich hoffe, man wird es nicht wieder machen.

profil: Der VfGH hat die Wahl auch deswegen aufgehoben, weil Teilergebnisse vor Wahlschluss veröffentlicht wurden. Auch so etwas werden Sie nie ausschließen können. Adamovich: Ich habe es von Anfang an kritisch gesehen, dass das Innenministerium Daten weitergibt. Ganz verhindern kann man es nicht, dass Ergebnisse durchsickern. Es hängt von der Intensität ab. In diesem Fall hat das Innenministerium aktiv und systematisch Daten weitergeleitet. Das sollte nicht passieren.

profil: Dann könnte es aber tatsächlich Manipulationen geben. Wenn einer Partei das sich abzeichnende Ergebnis am Wahlnachmittag nicht passt, könnten über die sozialen Medien gezielt Ergebnisse geleakt werden. Und dann wird angefochten. Adamovich: Das mag sein. Wenn aber die Datenweitergabe von Amts wegen passiert, hat es eine andere Qualität.

profil: Wie lange werden Sie noch als Berater in verfassungsrechtlichen Fragen in der Präsidentschaftskanzlei dienen? Adamovich: Wenn wir Glück haben, könnte die Angelobung des neuen Bundespräsidenten noch im Dezember stattfinden. Der neue Bundespräsident wird sich wohl einen eigenen Berater mitbringen. Außerdem bin ich in einem zarten Alter, in dem man schon auf der Parkbank sitzen sollte. Man sollte vermeiden, dass man zum Fossil wird.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.