History

Akademie der Wissenschaften: "Immer ganz unpolitisch"

Warum waren Sigmund Freund, Albert Einstein und andere Nobelpreisträger nie Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und die erste Frau erst 1973? Nach 175 Jahren gibt eine umfassende Akademie-Geschichte Auskunft.

Drucken

Schriftgröße

Es war einer seiner letzten Arbeitstage, als der Quantenphysiker Anton Zeilinger-der ein paar Monate darauf mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden sollte-der Öffentlichkeit drei schwere Bücherziegel vorlegte, herausgegeben von den Akademiemitgliedern Brigitte Mazohl und Johannes Feichtinger. Als langjähriger Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hatte Zeilinger eine umfassende Aufarbeitung der 175-jährigen Akademiegeschichte initiiert. Und sie fiel schonungslos aus.

Bis dahin waren die Jahre unter dem Hakenkreuz bei Jubiläen kurz und beschönigend abgehandelt worden. Von der Vorgeschichte des Antisemitismus und der "Rasse"-Forschung in den 1920er-Jahren hatte kaum jemand geredet, schon gar nicht von den Nachkriegsjahren, in denen ehemalige NSDAP-Mitglieder unter den Akademie-Gelehrten schnell wieder in Amt und Würden kamen und sogar noch der eine oder andere Forschungsbericht aus der NS-Zeit publiziert wurde.

Sie grenzte ans Unverschämte. Bei der 100-Jahr-Feier 1947 gerierte sich die Akademie gar zum Hort des Widerstands in den NS-Jahren, weil sich der Präsident der Akademie, Heinrich Srbik, einer der prominentesten Historiker im Dritten Reich, in Berlin über zu geringe Mittelzuweisung beschwert hatte. Srbik habe die Akademie "in keiner Weise im Geiste des Nationalsozialismus geleitet". Im Gegenteil: Er sei "mit mannhafter Stärke gegen untragbare politische Zumutungen aufgetreten", so der damalige Festredner. Die traurige Wahrheit: Die Wiener Akademie war eine Hochburg des Nazitums gewesen. Keine andere deutsche Akademie hatte so viele NSDAP-Mitglieder (54 Prozent) in ihren Reihen gehabt. Die meisten waren aus Karrieregründen nach dem März 1938 schnell beigetreten. Die Wiener Gelehrten hatten auch keinen ihrer jüdischen Kollegen gerettet. Kein einziger Wissenschafter legte aus Solidarität mit den Kollegen seine Mitgliedschaft zurück.

Man habe sich "immer ganz unpolitisch" verhalten-das war das Selbstverständnis ein halbes Jahrhundert lang, sagt Feichtinger. Sieben Angehörige der Akademie wurden deportiert und ermordet, 21 Mitglieder konnten rechtzeitig fliehen.

Christa Zöchling spricht mit dem Historiker Johannes Feichtinger über die Akademie, die eine Nazi-Hochburg war und sich 1945 als Opfer darstellte.

Der Glaube, man sei unpolitisch, hatte Tradition. Im Jahr ihrer Gründung 1847, als revolutionäre Forderungen nach dem freien Wort und dem Ende der Zensur laut wurden, setzte sich in der Akademie die Haltung durch, den "ideologischen Zweigen des Wissens" und Sozialfragen keinen Platz zu geben, um Staat und Kirche nicht zu verärgern. Eine Brandmauer gegen Rassentheorien, Antisemitismus und völkische Überheblichkeit war das nicht.

Die Gelehrtengesellschaft war von Anfang an so organisiert, dass sie sich aus sich selbst erneuert. Nur aus dem Kreis der stimmberechtigten Mitglieder in den beiden Klassen-der mathematisch-naturwissenschaftlichen und der philosophisch-historischen Klasse-konnte jeweils ein neues Mitglied vorgeschlagen und darüber abgestimmt werden.

Die goldenen Jahre der Akademie, in denen Forscher die Welt umspannten, Reisen in alle Kontinente unternahmen, eine Expedition zum Nordpol durchführten, die Welt umsegelten, die afrikanischen Wüsten, Indien, Persien, China und Lateinamerika erkundeten, fremde Sprachen und Kulturen aufzeichneten, an Ausgrabungen teilnehmen, zu anerkannten Experten des Orients und der Balkanländer wurden, sich in den Dienst der Industrialisierung stellten, Wetterbeobachtung betrieben, die natürliche radioaktive Strahlung entdeckten, das erste Tonarchiv gründeten und die Stimme von Kaiser Franz Joseph dort für alle Zeiten konservierten, gingen mit dem Zusammenbruch der Monarchie zu Ende.

Schon in den ersten Jahren der neuen Republik, 1921, warnte der damalige Akademiepräsident Oswald Redlich vor "gefährlichen Strömungen im Geistesleben"-der Irrationalismus nehme zu, Fakten und Empirie würden wenig gelten. Vor allem die philosophisch-historische Abteilung der Akademie geriet in dieses Fahrwasser. Völkische Wissenschaften waren modern. Man betrieb "Rasse"-und Erbforschung, vermaß und kategorisierte Kriegsgefangene. An der Universität Wien hatte sich in jenen Jahren rund um den Historiker Heinrich Srbik eine Seilschaft leidenschaftlicher Antisemiten gebildet, die jeden begabten Nachwuchswissenschafter boykottierte, wenn er jüdischer Herkunft war oder politisch links. Ebenso mauerte sie gegen jene Kollegen, die berühmter waren als sie selbst. Sie hatte sich im Geheimen organisiert und nannte sich die "Bärenhöhle".19 Professoren der philosophischen Fakultät an der Universität Wien gehörten dazu, davon waren 17 stimmberechtigte Mitglieder der Akademie, auch illegale NSDAPler darunter, die später unter den Nationalsozialisten große Karrieren machten. Kein einziger Wissenschafter jüdischer Herkunft wurde in diesen Jahren in die philosophische Klasse der Akademie aufgenommen. Auch bei den Naturwissenschaftern grassierte der Antisemitismus, doch jüdische Physiker, Chemiker und Mediziner waren bereits so etabliert, dass man an ihnen nicht vorbeikam. Einige wurden in die Akademie gewählt.

Die Akademie stellte sich nach 1945 als Opfer der Nationalsozialisten dar.

Johannes Feichtinger

Co-Herausgeber der 175-jährigen Akademiegeschichte

Es fällt allerdings auf, dass der damals schon berühmte Physiker Albert Einstein, seine "Relativitätstheorie" war 1905 erschienen, mit dem Nobelpreis wurde er 1922 ausgezeichnet, keine Einladung als korrespondierendes Mitglied erhielt. Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud wurde nicht gefragt. Der Mediziner Karl Landsteiner, der in Wien wirkte und für die Entdeckung der Blutgruppen im Jahr 1930 den Nobelpreis erhielt, wurde nie vorgeschlagen. Landsteiner war zum römisch-katholischen Glauben konvertiert. Der "Bärenhöhle" galt er wohl noch immer als zu bekämpfender Jude.

Otto Loewi, der an der Universität Graz forschte und lehrte und 1936 für die Entdeckung von Neurotransmittern bei der Impulsgebung an Organe mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hat ebenfalls nie eine Einladung bekommen. 1938 wurde er inhaftiert und durfte erst ausreisen, nachdem er den NS-Behörden sein Nobelpreisgeld überlassen hatte.

Viktor Franz Hess, der 1936 den Nobelpreis für die Entdeckung der kosmischen Strahlung erhielt, wurde nur als korrespondierendes Mitglied, also ohne Stimmrecht, akzeptiert und 1940 wegen seiner jüdischen Ehefrau aus der Akademie ausgeschlossen. Der Quantenphysiker und Nobelpreisträger Erwin Schrödinger wurde mit der Begründung "Hitlergegner und politisch unzuverlässig" aus der Akademie entfernt.

Die Willfährigkeit der Spitze der österreichischen Gelehrten war kaum zu überbieten. Schon am Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten, am 13. März 1938, diente sich Akademiemitglied Srbik mit einem Glückwunschtelegramm Adolf Hitler an. Wenige Wochen später gab sich die Akademie in vorauseilendem Gehorsam-Srbik war bereits Präsident-eine Satzung, in der sie sich von der Freiheit der Wissenschaft verabschiedete und in den "Dienst des deutschen Volkes" stellte. Im April 1938 durften jüdische Mitarbeiter das Haus nicht mehr betreten. Die Biologische Versuchsanstalt verlor dadurch zwei Drittel ihrer Mitarbeiter. Sieben von ihnen wurden Opfer der Shoah, der Betrieb der Forschungsstelle bald eingestellt.

DIE ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN 1947-2022

(3 BÄNDE) Die erste umfassende Geschichtsaufarbeitung der ÖAW mit ihren 1800 Seiten ist auf der Website der ÖAW abrufbar.
 

Das Institut für Radiumforschung erhielt einen strammen Nazi als Chef. An der deutschen Atombombenforschung konnten die Wiener dennoch nicht teilnehmen. Jeder dritte Mitarbeiter des Radiuminstituts war geflüchtet. Auch an Geräten fehlte es. Ein Neutronengenerator, dessen Ankauf ein Jahresbudget der Akademie überstieg, wurde kriegsbedingt nie geliefert. Der renommierte österreichische Quantenphysiker und spätere Nobelpreisträger Wolfgang Pauli hatte sich in die Schweiz gerettet. Die Österreicherin Lise Meitner, Mitentdeckerin der Kernspaltung, für die Otto Hahn allein den Nobelpreis bekam, war glücklich nach Schweden entkommen.

Die "Rasse-"und Erbforschung blühte dagegen auf. Der Schwerpunkt lag auf deutschen Sprachinseln und vergleichenden Untersuchungen russischer Kriegsgefangener aus Lagern des Ersten Weltkrieges (das Material gab es schon) und des Zweiten Weltkrieges. Man wollte die veränderte "rassische" Zusammensetzung beweisen.

Nach 1945 war die Mehrheit der Akademiemitglieder nationalsozialistisch belastet. Doch der Vorschlag des Historikers und Akademiemitglieds Alfons Dopsch, kein einziger ehemaliger Nazi dürfe jemals in der Akademie forschen, wurde abgeschmettert.

Im Mitgliederverzeichnis 1948 schienen die meisten ehemaligen NSDAP-Mitglieder schon wieder auf.

Die Altherrenrunde hatte gesiegt und mit ihr auch eine Ignoranz gegenüber Frauen. Die erste Wissenschafterin, die in der Akademie ein Stimmrecht bekam, war die langjährige Leiterin des Radiuminstituts Berta Karlik. Das war 1973-das Jahr ihrer Pensionierung. Die zweite Frau war die Biologin Renée Schröder im Jahr 2003. Als Schröder daraufhin bei der Festversammlung in einer der vorderen Reihen Platz nahm, raunzte ein älterer Herr: "Ehefrauen dürfen hier nicht sitzen."2012 trat Schröder aus der Akademie aus. Auch aus Solidarität mit ihrer Kollegin und Freundin, der renommierten Sprachwissenschafterin Ruth Wodak, die-mehrmals vorgeschlagen-nie eine Mehrheit für ihre Mitgliedschaft bekam. Der Frauenanteil in der philosophischhistorischen Klasse beträgt aktuell 21 Prozent, in der mathematisch-naturwissenschaftlichen 13 Prozent. Geht es in dem Tempo weiter, dauert es bis zur Geschlechterparität weitere 200 bis 400 Jahre.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling