FPÖ-Bürgermeister in Klagenfurt Christian Scheider, der 2010 den damaligen Magistratsdirektor suspendierte, ist mittlerweile abgewählt.

Amtsleiter: Die mächtigen Unbekannten in den Gemeindestuben

Die obersten Gemeindebeamten sind Schlüsselfiguren für den Erfolg jedes Bürgermeisters. Stimmt die Chemie nicht, kann es zu heftigen Konflikten kommen -so wie derzeit in Wels.

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Einen unliebsamen Beamten zu entsorgen, kann teuer werden. 1,3 Millionen Euro: So viel soll die Suspendierung des Klagenfurter Magistratsdirektors Peter Jost durch den damaligen Bürgermeister Christian Scheider (FPÖ) im Jahr 2010 gekostet haben. Doch Jost rief das Arbeitsgericht an und bekam nach drei Jahren Recht, Gehaltsnachzahlung inklusive. FPÖ-Bürgermeister Scheider wurde inzwischen abgewählt, Jost führt bis heute den Magistrat.

In Wels könnte sich die Geschichte wiederholen. Vor zwei Wochen musste die Magistratsdirektorin ihr Büro räumen. Sie gilt als SPÖ-nahe, der neue FPÖ-Bürgermeister Andreas Rabl forcierte ihre Abberufung. Der Fall wird wohl noch heuer beim Landesverwaltungsgericht landen - Ausgang ungewiss. Die geschasste Magistratsdirektorin erhebt jedenfalls schwere Vorwürfe gegen den Bürgermeister.

Ich habe in Purgstall drei Bürgermeister erlebt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da muss der Amtsleiter ein bisschen situationselastisch sein. (Haugensteiner)

Aus mehreren Gemeinden sind teils heftige Konflikte zwischen Bürgermeistern und den obersten Verwaltungsbeamten überliefert. Andernorts führen die gewählten Ortschefs die Amtsleitung in Personalunion selbst aus. Die Verwaltungsbeamten sind maßgeblich für Erfolg oder Misserfolg der Bürgermeister mitverantwortlich. Deshalb wird versucht, politischen Einfluss auf sie zu nehmen.

Amtsleiter (Gemeinden), Stadtamtsdirektoren (Städte) und Magistratsdirektoren (Statutarstädte) sind die grauen Eminenzen der Kommunen. Während die Gemeindepolitiker Bauten eröffnen, Festtagsreden schwingen und im Gemeinderat debattieren, werken die Beamten im Hintergrund. Jede Baugenehmigung, jede Mitarbeiteranstellung und jede Bürgerbeschwerde geht über ihren Schreibtisch. Sie sind juristisch mit der Gemeindeordnung vertraut, bereiten politische Beschlüsse für den Gemeinderat auf und prüfen Anliegen auf deren Umsetzbarkeit. Und sie müssen sich keiner Volkswahl stellen - weshalb sie meist mehrere Bürgermeister überdauern.

"Es hat Zeiten gegeben, da war der Amtsleiter der Sekretär vom Bürgermeister. Das ist vorbei", sagt Franz Haugensteiner, der das Gemeindeamt im niederösterreichischen Purgstall leitet. Österreichischem Usus gemäß haben auch die Amtsleiter eine eigene Interessensvertretung : den Fachverband der leitenden Gemeindebediensteten. Haugensteiner ist dessen Bundesobmann. Schalten und walten, wie sie wollen, können die Gemeindebeamten, sie sind an die Weisungen des Bürgermeisters gebunden, jedenfalls nicht, versichert er: "Ich habe in Purgstall drei Bürgermeister erlebt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da muss der Amtsleiter ein bisschen situationselastisch sein."

Bereits drei Mal wurde Reißner suspendiert, jedes Mal entschied die Disziplinarkommission des Landes Burgenland gegen den Rausschmiss.

In Zeiten, in denen absolute Mehrheiten schwinden und politische Wechsel häufiger werden, entstehen zwangsläufig neue Konstellationen: "Der Amtsleiter hat zu funktionieren, egal, welche Farbe der Bürgermeister hat", sagt Haugensteiner. Chefbeamten haben seiner Vorstellung nach unpolitische Garanten für Stabilität zu sein.

In der Praxis ist das freilich nicht immer so: Besetzungen erfolgen nach Mehrheitsprinzip im Gemeindevorstand oder im Stadtrat. Die Personalauswahl hat nicht selten politische Schlagseite, womit der Grundstein für Konflikte gelegt ist.

Der wohl bizarrste Fall spielt in Ritzing im Burgenland. Die Gemeinde war jahrzehntelang eine rote Hochburg. Sein ganzes Berufsleben lang ist Johann Reißner dort schon Amtsmann, wie die Funktion im Burgenland genannt wird. 2007 kam es zur politischen Wende, seither regiert ÖVP-Bürgermeister Walter Roisz. Die beiden arrangierten sich, werkten gemeinsam fünf Jahre ohne gröbere Probleme. 2012 kam es zum Bruch: Amtsmann Reißner ging ins Büro von Bürgermeister Roisz und teilte ihm mit, er werde für die SPÖ als Bürgermeister kandidieren.

Reißner unterlag und ist seither Vizebürgermeister, seinen Job als Amtsmann behielt er trotzdem. Der siegreiche Ortschef hat ihm das bis heute nicht verziehen, im Gegenteil: Bereits drei Mal wurde Reißner suspendiert, jedes Mal entschied die Disziplinarkommission des Landes Burgenland gegen den Rausschmiss. Doch der Bürgermeister ließ im Gemeindeamt die Schlösser durch Chipkarten ersetzen, seither ist Reißner "räumlich und sozial isoliert". Er gelangt nur noch in die alte Bibliothek, wo er einen kleinen Schreibtisch hat, die restlichen Räumlichkeiten sind für ihn tabu. "Ich kann nur durch die Haupttür reingehen.

Im Extremfall könnte der Amtsleiter den Bürgermeister "dumm sterben lassen", wie es Maimer und Wirth formulieren.

Dort, wo die Gemeindemitarbeiterinnen und der Bürgermeister sitzen, komme ich nicht hin", erzählt er. Auch vom Postverkehr sei er abgeschnitten. Gutachten der Antidiskriminierungsstelle bescheinigten ihm Diskriminierung am Arbeitsplatz, doch Sanktionen gegen den Bürgermeister sind im Gesetz nicht vorgesehen. Reißner ist pragmatisiert. Und so können die Kontrahenten nur warten. Die nächsten Gemeinderatswahlen stehen 2017 an.

Helmut Mödlhammer, Präsident des Gemeindebundes und selbst jahrzehntelang Bürgermeister im Salzburger Hallwang, weiß, wie wichtig gutes Einvernehmen mit Amtsleitern ist: "Es muss Harmonie herrschen. Man geht auf ein Bier, macht Mitarbeiterschulungen. Ganz entscheidend ist, dass man Verständnis auch fürs persönliche Umfeld des anderen zeigt." Von Pragmatisierungen und politischen Besetzungen hält er wenig: "Der Amtsleiter ist Chef des inneren Dienstes und hat keine Parteipolitik zu machen."

Lähmende Pattstellungen wie in Ritzing beschäftigen auch das Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ). Das Institut , bei dem 230 der 2100 österreichischen Gemeinden Mitglied sind und Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, schlägt befristete Verträge vor: "Bei moderneren Verwaltungseinheiten werden die Amtsleiterposten auf Zeit vergeben. In der Privatwirtschaft würde sich niemand wundern, wenn ein neuer Chef seine engsten Mitarbeiter auswechselt", sagen Alexander Maimer und Klaus Wirth vom KDZ: "Wenn es überhaupt keine Scheidungsmöglichkeiten gibt, landen Konflikte oft blutig vor Gericht."

Dem KDZ-Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass ein Amtsleiter "seine Funktion so ausnutzen kann, dass sie zum Wohle oder Nachteil des Bürgermeisters gereicht" - etwa wenn Fristen vergessen, Entscheidungsprozesse verzögert oder sensible Informationen ausgeplaudert werden. In der hierarchischen Verwaltungsstruktur wandert alles von unten nach oben. Im Extremfall könnte der Amtsleiter den Bürgermeister "dumm sterben lassen", wie es Maimer und Wirth formulieren. Befristungen würden die Position des obersten Gemeindebeamten gegenüber dem Bürgermeister jedenfalls schwächen.

Ebenfalls neun Bürgermeister, die zugleich Amtsmänner sind, zählt das Burgenland.

Rudolf Winter war jahrelang Amtsleiter der niederösterreichischen Kleingemeinde Aschbach. Das Verhältnis mit dem Bürgermeister war ungetrübt -bis zum Jahr 2011, als in einem Prüfbericht des Landes Niederösterreich massive Verfehlungen bei Bauaufträgen in der Gemeinde kritisiert wurden. Winter wollte die rechtswidrige Praxis ändern. "Als Erstes versucht man, den Bürgermeister zu überzeugen. Dann geht man zu seinen Parteikollegen. Wenn das auch nichts nützt, geht man zur Opposition."

Da Winter die Missstände in der eigenen Gemeinde schließlich bei der Bezirkshauptmannschaft anprangerte, warf ihm der Bürgermeister "Vertrauensbruch" vor. Winter wurde fristlos entlassen, Anzeigen gegen den Ortschef bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft brachten kein Ergebnis. "Wer als Amtsleiter mit dem Bürgermeister ohne Hinterfragen mitzieht, hat ein wunderschönes Leben. Wer sich auf gesetzlichen Grundlagen beruft, hat es schwer", konstatiert Winter. Der Bürgermeister ist nach einer herben Wahlniederlage inzwischen zurückgetreten - und Winter hat nach langer Suche eine neue Kommune gefunden: Muhr in Salzburg. "Dort ist alles genau andersrum als in meiner Heimatgemeinde. Muhr hat mehrere Millionen Euro Rücklagen, geht sorgfältig mit dem Geld um, und meine Bestellung erfolgte nach einem Hearing im Gemeinderat", schwärmt Winter.

Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk, spezialisiert auf Verwaltungsrecht, hält wegen solcher Fälle wenig von befristeten Verträgen, "damit keine Willfährigkeit eintritt und der Amtsleiter nicht nur das tut, wovon er sich einen Vorteil für die Wiederbestellung erwartet".

Denkbar friktionsfrei gestaltet sich das Verhältnis zwischen Bürgermeister und Amtsleiter, wenn beide Funktionen von einer Person bekleidet werden. Das ist in den meisten Bundesländern erlaubt, in Kärnten nicht. Wie die niederösterreichische FPÖ von ihren Ortsparteien erheben ließ, wird diese Doppelfunktion in zumindest neun der 573 Gemeinden praktiziert. Die Freiheitlichen rund um Klubobmann Gottfried Waldhäusl brachten im Juni dieses Jahres einen Antrag im Landtag ein, um solche Ämterkumulationen zu verbieten -er wird nach der Sommerpause behandelt. "Das gehört abgestellt. Die müssen sich entscheiden, ob sie Amtsleiter oder Bürgermeister sein wollen", sagt Waldhäusl. Ebenfalls neun Bürgermeister, die zugleich Amtsmänner sind, zählt das Burgenland, aus den übrigen Ländern sind keine genauen Zahlen zu erfahren.

Wenn die Bevölkerung merkt, dass etwas nicht stimmt, werde ich abgewählt. (Birnstingl)

Doppelfunktionen "gefährden die innere Balance in der Gemeinde", meint Verfassungsjurist Funk. "Das Vieraugenprinzip ist immer noch besser, als wenn der Bürgermeister seine Entscheidungen alleine trifft, durchführt und die Voraussetzungen dafür prüft." Ähnlich dürfte es der Rechnungshof sehen. In der steirischen Gemeinde Fohnsdorf, die mit dem Bau einer Therme ihre Finanzen strapazierte, gab es elf Jahre lang keinen Amtsleiter; der Bürgermeister führte die Funktion einfach selbst aus, ohne dafür je bestellt worden zu sein. In einem Prüfbericht empfahl der Rechnungshof eine "Entflechtung" der beiden Ämter.

Einer dieser Doppelfunktionsträger ist Josef Birnstingl aus Sankt Bartholomä in der Steiermark. Er ist demnach sein eigener Vorgesetzter, legislatives und exekutives Organ zugleich: "Am Vormittag schaffe ich mir die Arbeit als Bürgermeister an, am Nachmittag mache ich sie dann als Amtsleiter", witzelt Brinstingl. Und im Ernst: "Wenn ich im Büro sitze, bin ich Amtsleiter, wenn ich rausgehe, bin ich Bürgermeister. Wenn ich also zu einer Bauverhandlung oder zu einer Eröffnung muss, dann stemple ich mich aus -einfach für meine eigene Rechtfertigung." Ob das nicht zu viel Macht in einer Hand sei?

"Ein Amtsleiter ist weder berechtigt, irgendetwas zu unterschreiben, noch Überweisungen zu tätigen. Ich bekomme nicht einen Euro ausgehändigt, wenn nicht der Gemeindekassier unterschreibt."

Birnstingl hat niemanden, der ihn auf juristische Fehler hinweisen könnte, dennoch sieht er die Kontrolle gewährleistet: "Wenn die Bevölkerung merkt, dass etwas nicht stimmt, werde ich abgewählt."

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.