Im Lebensmittelhandel ist Teilzeitarbeit mittlerweile nicht mehr die Ausnahme, sondern Standard.

Arbeitsmarkt: Feministinnen stören sich am Teilzeitboom

Vor 20 Jahren war das Recht auf Teilzeitarbeit eine Forderung beim Frauenvolksbegehren. Mittlerweile haben Feministinnen keine Freude mehr damit. Das Konzept ist ein zu großer Erfolg, immer weniger Österreicherinnen wollen ganztags schuften.

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Sieben Jahre sind eine lange Zeit, da kann man zwischendurch leicht den Optimismus verlieren. Doch am 26. Mai 2004 war es schließlich so weit: Das Parlament beschloss mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und SPÖ die Einführung der Elternteilzeit. Etwas mehr als zwei Monate später, am 1. Juli, trat die Novelle bereits in Kraft. Seither haben junge Mütter und Väter das gesetzlich verbriefte Recht, bis zu sechs Jahre lang in Teilzeit zu arbeiten.

Ausgerechnet die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel, ansonsten nicht bekannt für feministische Anwandlungen, erfüllte damit eine Forderung des Frauenvolksbegehrens von 1997. "Teilzeit oder neue freiberufliche Tätigkeiten gelten als Patentrezepte, damit Frauen Beruf und Familie vereinbaren können“, hatte Eva Rossmann, eine der Initiatorinnen, einst erklärt. Derzeit arbeitet Rossmann mit Kolleginnen an einer Neuauflage des Frauenvolksbegehrens. Zu viele Forderungen von damals seien unerfüllt geblieben, erklären die Proponentinnen. Von Dankbarkeit für den schwarz-blauen Meilenstein bei der Teilzeitarbeit kann indes keine Rede sein. "Heute wäre ich mit so einer Forderung viel vorsichtiger“, erklärte Rossmann jüngst in der Tageszeitung "Der Standard“. Aus feministischer Perspektive war die Sache nämlich keine so gute Idee.

Pass auf, was du dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen, lautet ein Kalenderspruch. Wie berechtigt diese Warnung gerade in der Frauenpolitik sein kann, zeigt ein Blick auf die Zahlen der Statistik Austria: Fast die Hälfte aller unselbstständig erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit. Vor 20 Jahren waren es nicht einmal 30 Prozent. Bei den Männern gab es im selben Zeitraum zwar prozentuell eine noch stärkere Zunahme, in absoluten Zahlen klafft zwischen den Geschlechtern aber eine riesige Lücke. Zuletzt waren etwas mehr als 203.000 Männer teilzeitbeschäftigt und fast 860.000 Frauen.

Sind doch wieder die Männer schuld?

Nun bemisst sich das Lebensglück eines Menschen sicher nicht an der Zahl seiner wöchentlichen Arbeitsstunden. Wenn Frauen etwas mehr Augenmerk auf ihre Work-Life-Balance legen als Männer, wäre das eigentlich kein Grund zur Besorgnis. Aber das Problem ist: So war es nicht geplant. Arbeitsfreie Nachmittage oder lange Wochenenden haben nämlich ihren Preis. Dienstnehmer in Teilzeit verdienen weniger, werden seltener befördert, bekommen häufig die uninteressanteren Jobs als ihre Vollzeitkollegen und erwerben deutlich weniger Pensionsanspruch. Gut gemeinte Frauen- und Familienpolitik hat also möglicherweise dazu beigetragen, den Gender Gap auf dem Arbeitsmarkt zu zementieren. Oder sind doch wieder die Männer schuld? Diesfalls in Gestalt von Arbeitgebern, Bürgermeistern und Ehegatten, die Frauen in Teilzeitjobs drängen, beim Ausbau von Kindergärten trödeln und nach wie vor ihre Hemden nicht selber bügeln wollen?

Frauenpolitik ist ideologisch vermintes Terrain, weshalb ein entspannter Diskurs häufig schwer fällt. Aber versuchen kann man es ja trotzdem: Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass die Österreicher mit ihrem Hang zu Halb- und Dreiviertelengagements international nicht alleine dastehen. In vielen Ländern Europas stieg der Anteil solcher Jobs in den vergangenen 20 Jahren deutlich an - und überall ist der Frauenanteil höher als jener der Männer. Die weibliche Neigung zum Downsizing der Bürozeiten lässt sich also nicht leugnen. Spitzenreiter sind die Niederlande, wo drei Viertel der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeiten, allerdings auch ein Viertel der Männer. Dahinter kommen aber bald Österreich und Deutschland, wo die Werte fast gleich hoch sind. Einen positiven Nebeneffekt gibt es bei aller Besorgnis auch: Wenn der Teilzeitanteil steigt, steigt für gewöhnlich auch die Erwerbsquote. In Österreich sind heute um 450.000 Frauen mehr berufstätig als noch vor 20 Jahren.

An der Familienplanung und dem vielfach beklagten Fehlen von Betreuungseinrichtungen alleine kann es nicht liegen, wenn so viele Frauen in Österreich dem Nine-to-five-Modell abschwören. Mütter von kleinen Kindern arbeiten zwar überdurchschnittlich oft in Teilzeit. Allerdings gibt es schon in der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren - in der weder eigene Kinder noch betreuungsbedürftige Angehörige eine große Rolle spielen dürften - eine beachtliche Kluft zwischen den Geschlechtern (siehe Grafik). Familienministerin Sophie Karmasin hält das für eine Folge alter Rollenmuster. "Erwerbstätigkeit, Joborientierung und finanzielle Unabhängigkeit stehen bei vielen Frauen auf der Prioritätenliste nicht ganz oben“, meint sie. Elisabeth Vondrasek, Frauenvorsitzende der Gewerkschaft Vida, drückt denselben Sachverhalt etwas anders aus. Frauen würden sich nach wie vor verpflichtet fühlen, die unbezahlte Arbeit in Familie und Haushalt zu erledigen. "Männer definieren sich in erster Linie über ihre Leistungen am Arbeitsplatz.“ Da sei wohl noch viel Bewusstseinsbildung notwendig, meint Vondrasek.

Sozialministerium sieht "systematischen Benachteiligung von Frauen“

Die Arbeiterkammer sucht die Verantwortung eher bei den Arbeitgebern. Frauen würden beim Wiedereinstieg in den Beruf behindert, wurde jüngst berichtet. Außerdem gebe es Branchen, die fast nur noch Teilzeitjobs anbieten (was stimmt). Im jüngsten Sozialbericht, den das Sozialministerium im Februar vorlegte, ist ebenfalls von einer "systematischen Benachteiligung von Frauen“ auf dem Arbeitsmarkt die Rede.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kam eine von den ÖVP-Frauen vor Kurzem beim Meinungsforschungsinstitut OGM in Auftrag gegebene Umfrage. Von den Frauen in Teilzeit erklärten laut OGM immerhin 96 Prozent, dass sie ihre Arbeitssituation "auf eigenen Wunsch“ so gestaltet hätten. In dieses Bild passt auch eine Studie der Akademie der Wissenschaften, die Mitte April publiziert wurde: Die Österreicherinnen bleiben in großer Zahl selbst dann in Teilzeit, wenn die Kinder längst aus dem Haus sind. Anders als früher haben es heute auch gut ausgebildete Frauen nicht mehr eilig mit der Rückkehr in den Fulltime-Stress. "Die Unterschiede nach Bildung gibt es hier nicht mehr“, erklärte Co-Autorin Isabella Buber-Ennser bei der Präsentation der Studie.

Eine der umfangreichsten Untersuchungen des Teilzeitphänomens wurde vom Institut für Familienforschung an der Uni Wien gemacht und stammt aus dem Jahr 2014. Man könne davon ausgehen, dass sich an den Fakten und Trends seither nichts Wesentliches geändert habe, sagt Olaf Kapella, einer der Autoren. Auf über 70 Seiten werden alle denkbaren Aspekte der Thematik behandelt - mit teilweise kuriosen Ergebnissen:

  • Bei Frauen ohne Kindern stieg die Teilzeitquote zwischen 2005 und 2012 etwas stärker als bei Frauen mit Kindern.
  • Männer ohne Kinder waren öfter in Teilzeit tätig als solche mit Familie.
  • Die Vollzeiterwerbsquote bei Frauen ist trotz aller Maßnahmen im letzten Vierteljahrhundert nicht etwa gestiegen, sondern gefallen. Ihren höchsten Wert erreichte sie im Jahr 1992.
  • In Teilzeit tätige Männer sind mit ihrer Situation fast durchwegs unzufriedener als Frauen. So gab unter männlichen Arbeitern mehr als ein Viertel an, unfreiwillig in Teilzeit zu sein - bei den Arbeiterinnen waren es nur 15 Prozent.
  • Zwischen Frauen und Männern, die mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten, herrscht offenbar längst völlige Gleichberechtigung. Jeweils 14 Prozent aus beiden Gruppen gaben an, eine Führungsposition zu bekleiden.

"Man muss den Frauen klarer kommunizieren, welche Auswirkungen es für sie haben kann, wenn sie sehr lange in Teilzeit arbeiten“, meint Studienautor Kapella. Zugleich sei aber die Frage für den Gesetzgeber, wie weit er sich in die privaten Entscheidungen der Bürger einmischen wolle - und ob das den gewünschten Effekt habe. "Wir stellen durchaus eine Retraditionalisierung der Geschlechterrollen fest.“

Wenn Politiker jetzt über die hohe Teilzeitquote klagen, muss man sie daran erinnern, dass der Gesetzgeber selbst den Anreiz erhöht hat. Wer etwa sein Recht auf Elternteilzeit in Anspruch nimmt, ist pro Kind bis zu vier Jahre unkündbar. Mit etwas Planung (und ein paar Kindern) lässt sich daraus eine Quasi-Pragmatisierung machen. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist das ein ziemlich gutes Argument für einen Rückzug vom Fulltime-Joch. Hätten sich seinerzeit SPÖ und Grüne durchgesetzt, wäre der Kündigungsschutz sogar noch großzügiger ausgefallen. Gefordert war eigentlich, dass er bis zum Schuleintritt des Kindes gelten solle. Kritik gab es außerdem am Umstand, dass ein Recht auf Teilzeit nur in Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern gilt. Damit werde die neue Regelung zum "Minderheitenprogramm“, prognostizierte der damalige AK-Präsident Herbert Tumpel. Ganz so schlimm kam es bekanntlich nicht.

Teilzeit als neuer Standard

Für Arbeitgeber ist Teilzeit ebenfalls attraktiver, als sie sein müsste. Wenn Überstunden anfallen, sind sie wesentlich billiger als bei einem Vollzeitjob. Das wird einer der Gründe sein, warum Teilzeit etwa im Lebensmittelhandel nicht mehr die Ausnahme, sondern längst der Standard ist. Auf der Website des Arbeitsmarktservice werden unter dem Suchbegriff "Verkäufer/in Lebensmittel“ derzeit ziemlich genau doppelt so viele freie Teilzeit- wie Vollzeitstellen ausgewiesen.

Nicht zuletzt sorgen auch die hohen Steuern in Österreich dafür, dass es sich unterm Strich rechnen kann, weniger lange im Büro zu sitzen. Wie das Wirtschaftsforschungsinstitut vor drei Jahren (mit Zahlen von 2011) erhob, sind die Bruttostundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten im Schnitt zwar etwas niedriger, die Nettolöhne wegen der geringeren Steuerbelastung aber etwas höher als im Vollzeitbereich.

Ein Karrierehindernis ist der weibliche Hang zum Downsizing der Bürozeiten aber zweifellos. Für die Frauenpolitik muss der Befund ernüchternd sein: Immer mehr Frauen sind bestens ausgebildet; unter den Studenten an heimischen Universitäten liegt die Frauenquote bereits bei über 50 Prozent. Zugleich sind offenbar immer weniger Frauen bereit, mit vollem (Zeit)Einsatz an ihrer Karriere zu arbeiten. Die alte Forderung nach der Hälfte der Macht bekommt da einen etwas bitteren Beigeschmack. Was, wenn zu viele Frauen an der Hälfte der Macht nur halbtags interessiert sind?

Mit solchen Spitzfindigkeiten will sich das neue Frauenvolksbegehren erst gar nicht beschäftigen. Unter den Forderungen, mit denen die Organisatorinnen Anfang nächsten Jahres um Unterschriften werben wollen, findet sich auch jene nach einem Mindestlohn von 1750 Euro - bei einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche.

Das hieße Teilzeit für alle. Und wehe, die Männer arbeiten dann wieder länger.

Rosemarie Schwaiger